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Rüttgers, der Tiger und die Folgen

 

Man vergisst das so schnell: Erst zwei Jahre ist es her, da wurde in NRW ein Wahlkampf geführt, gegen den der diesjährige ein Kindergeburtstag ist. Jürgen Rüttgers war damals noch Ministerpräsident einer schwarz-gelben Regierung und möglicherweise wäre er das auch geblieben, hätte er sich nicht in allerlei unschöne Affären verstrickt. Beispielsweise wurden Interessierten Gespräche mit dem CDU-Mann angeboten – gegen Geld. Dass dieser „Rent a Rüttgers“-Skandal und andere ans Licht kamen (und dort blieben), dafür sorgte damals unter anderem das Weblog Wir in NRW. Die Autoren dort schrieben fast durchweg unter Pseudonymen, und sie hatten exzellente Quellen: Immer wieder gelangten „Gabriele Gans“, „Leo Loewe“ oder „Theobald Tiger“ an brisante interne CDU-Dokumente – und stellten sie flugs ins Blog.

Wir in NRW, das für seine kritische Berichterstattung mit dem Otto-Brenner-Preis () ausgezeichnet wurde, gibt es noch immer. Im aktuellen Wahlkampf spielte es bislang indes keine Rolle. Nun aber ist das Projekt plötzlich wieder im Gespräch, denn der Stern berichtet, dass einer der Autoren, „Theobald Tiger“, nach der Wahl 2010 von der rot-grünen Minderheitsregierung „lukrative PR-Aufträge“ erhalten hätte. Wurde der Tiger für seine Rüttgers-kritische Berichterstattung also nachträglich belohnt?

Fakt ist: Der Mensch hinter dem Pseudonym „Theobald Tiger“ hat nach der Wahl 2010 eine PR-Firma namens steinkuehler-com gegründet, sich um Aufträge bei der NRW-Landesregierung beworben – und auch welche bekommen. Die Folge: Der Frontmann des „Wir in NRW“-Blogs, Alfons Pieper, und der Tiger trennten sich. Pieper sagt im Gespräch mit ZEIT ONLINE: PR und ein journalistisches Blog passen nicht zusammen. Also verstummte der Tiger, auf Wir in NRW erschienen seit Ende 2010 keine Texte mehr von ihm.

Die stern-Geschichte hält Pieper denn auch für „lächerlich“. Das Blog habe nie von irgendwem Geld bekommen, man sei nicht käuflich. Den Vorwurf, dass der Tiger für seine kritische Rüttgers-Berichterstattung nachträglich von der Kraft-Regierung belohnt worden sei, hält er für eine böse Kampagne. So einfach kriege man keine Aufträge von der Landesregierung, da seien doch Dutzende Stellen beteiligt.

Auch die Regierung selbst hat inzwischen auf den Stern-Bericht reagiert. Staatssekretär Thomas Breustedt, bestätigte Aufträge an steinkuehler-com, dementierte aber parteipolitische Motive. Demnach sind an den Inhaber von steinkuehler-com – den Tiger, also – seit 2010 Aufträge für Broschüren und andere Öffentlichkeitsinitiativen des Familienministeriums im Gesamtwert von rund 300.000 Euro erteilt worden. „Für alle Publikationen hat es ordnungsgemäße Vergabeverfahren beziehungsweise öffentliche Aufträge gegeben“, sagt Breustedt.

Ein Geschmäckle hat die Sache dennoch: Das Blog bezeichnet sich zwar stets als neutral, dennoch ging und geht es mit Rot-Grün deutlich netter um als mit Schwarz-Gelb. Pieper sagt dazu: Damals, im 2010er-Wahlkampf sei man eben fortlaufend von CDU-Insidern mit neuen Dokumenten gefüttert worden. Ein solcher Maulwurf fehlt offenbar in der SPD. Was er zutage fördern würde? Wir wissen es nicht. Ob sich aber Hannelore Kraft vermieten lassen würde, darf bezweifelt werden.