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Rüttgers, der Tiger und die Folgen

Man vergisst das so schnell: Erst zwei Jahre ist es her, da wurde in NRW ein Wahlkampf geführt, gegen den der diesjährige ein Kindergeburtstag ist. Jürgen Rüttgers war damals noch Ministerpräsident einer schwarz-gelben Regierung und möglicherweise wäre er das auch geblieben, hätte er sich nicht in allerlei unschöne Affären verstrickt. Beispielsweise wurden Interessierten Gespräche mit dem CDU-Mann angeboten – gegen Geld. Dass dieser „Rent a Rüttgers“-Skandal und andere ans Licht kamen (und dort blieben), dafür sorgte damals unter anderem das Weblog Wir in NRW. Die Autoren dort schrieben fast durchweg unter Pseudonymen, und sie hatten exzellente Quellen: Immer wieder gelangten „Gabriele Gans“, „Leo Loewe“ oder „Theobald Tiger“ an brisante interne CDU-Dokumente – und stellten sie flugs ins Blog.

Wir in NRW, das für seine kritische Berichterstattung mit dem Otto-Brenner-Preis () ausgezeichnet wurde, gibt es noch immer. Im aktuellen Wahlkampf spielte es bislang indes keine Rolle. Nun aber ist das Projekt plötzlich wieder im Gespräch, denn der Stern berichtet, dass einer der Autoren, „Theobald Tiger“, nach der Wahl 2010 von der rot-grünen Minderheitsregierung „lukrative PR-Aufträge“ erhalten hätte. Wurde der Tiger für seine Rüttgers-kritische Berichterstattung also nachträglich belohnt?

Fakt ist: Der Mensch hinter dem Pseudonym „Theobald Tiger“ hat nach der Wahl 2010 eine PR-Firma namens steinkuehler-com gegründet, sich um Aufträge bei der NRW-Landesregierung beworben – und auch welche bekommen. Die Folge: Der Frontmann des „Wir in NRW“-Blogs, Alfons Pieper, und der Tiger trennten sich. Pieper sagt im Gespräch mit ZEIT ONLINE: PR und ein journalistisches Blog passen nicht zusammen. Also verstummte der Tiger, auf Wir in NRW erschienen seit Ende 2010 keine Texte mehr von ihm.

Die stern-Geschichte hält Pieper denn auch für „lächerlich“. Das Blog habe nie von irgendwem Geld bekommen, man sei nicht käuflich. Den Vorwurf, dass der Tiger für seine kritische Rüttgers-Berichterstattung nachträglich von der Kraft-Regierung belohnt worden sei, hält er für eine böse Kampagne. So einfach kriege man keine Aufträge von der Landesregierung, da seien doch Dutzende Stellen beteiligt.

Auch die Regierung selbst hat inzwischen auf den Stern-Bericht reagiert. Staatssekretär Thomas Breustedt, bestätigte Aufträge an steinkuehler-com, dementierte aber parteipolitische Motive. Demnach sind an den Inhaber von steinkuehler-com – den Tiger, also – seit 2010 Aufträge für Broschüren und andere Öffentlichkeitsinitiativen des Familienministeriums im Gesamtwert von rund 300.000 Euro erteilt worden. „Für alle Publikationen hat es ordnungsgemäße Vergabeverfahren beziehungsweise öffentliche Aufträge gegeben“, sagt Breustedt.

Ein Geschmäckle hat die Sache dennoch: Das Blog bezeichnet sich zwar stets als neutral, dennoch ging und geht es mit Rot-Grün deutlich netter um als mit Schwarz-Gelb. Pieper sagt dazu: Damals, im 2010er-Wahlkampf sei man eben fortlaufend von CDU-Insidern mit neuen Dokumenten gefüttert worden. Ein solcher Maulwurf fehlt offenbar in der SPD. Was er zutage fördern würde? Wir wissen es nicht. Ob sich aber Hannelore Kraft vermieten lassen würde, darf bezweifelt werden.

 

Schwarz-rote Signale bereits in den Wahlprogrammen? Die programmatische Positionierung der Parteien im Saarland vor der Landtagswahl am 25. März 2012

Neben Schleswig-Holstein und – seit gestern – Nordrhein-Westfalen stehen in diesem Jahr auch im Saarland vorgezogene Wahlen zum Landesparlament an. Nachdem Christ- und Sozialdemokraten an der Saar bereits im Vorfeld der Wahl sehr deutlich signalisiert haben, eine gemeinsame Regierungskoalition zu bilden, ist die Debatte über die künftige parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung wenig spannend. Neben der Frage, wie viele der bislang im Saarbrücker Landtag vertretenen Parteien noch den Sprung über die 5%-Hürde schaffen, ist von Interesse, wie die Parteien auf das Ende der ersten „Jamaika“-Koalition aus CDU, FDP und Grünen in einem Bundesland programmatisch reagiert haben. Zeichnet sich die Bildung einer schwarz-roten Koalition in Saarbrücken auch anhand der in den Wahlprogrammen der Landesparteien formulierten inhaltlichen Positionen ab?

Eine Inhaltsanalyse der Wahlprogramme aus den Jahren 2009 und 2012 kann hier erste Erkenntnisse liefern (siehe Bräuninger und Debus 2012 für eine genauere Beschreibung der Daten und des angewandten Verfahrens). Die folgende Abbildung zeigt die programmatischen Positionen der fünf momentan im Saarbrücker Landtag vertretenen Parteien sowie der Piratenpartei, die gute Chancen hat, in den Landtag des kleinsten deutschen Flächenstaates einzuziehen. Berücksichtigt werden dabei eine wirtschafts- und sozialpolitische Dimension, die zwischen staatsinterventionistischen und marktliberalen Positionen unterscheidet, sowie eine innen-, rechts- und gesellschaftspolitische Dimension, die zwischen progressiv-libertären und konservativ-autoritären Standpunkten differenziert. Es fällt auf, dass SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ihre Positionen auf diesen beiden „Makropolitikfeldern“ kaum bis gar nicht verändert haben. Da das Wahlprogramm der Linken 2012 recht kurz ausfällt, ist der Schwankungsbereich der ermittelten Parteiposition recht groß, so dass nicht mit statistischer Sicherheit von einer Positionsverschiebung der Linken gesprochen werden kann. Die Piratenpartei ist gesellschaftspolitisch explizit progressiv-libertär ausgerichtet, in sozioökonomischen Fragen steht sie jedoch Union und FDP nahe.

Diese Positionierung überrascht vor dem Hintergrund der Forderung der Piratenpartei nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, spiegelt aber auch andere, eher wirtschaftsliberale Forderungen wie die nach deutlichen Ausgabenkürzungen zur Schuldentilgung, einer effizienten, auf dem Leistungsprinzip basierenden Verwaltung oder die zustimmende Haltung zur Leiharbeit wider. Zudem dominiert im Gegensatz zu FDP oder CDU weniger das Politikfeld Wirtschaft und Soziales, sondern vielmehr Fragen der Innen- und Gesellschaftspolitik die Programmatik der Piraten. Daher darf die hier ermittelte wirtschaftsliberale Position der Piraten nicht überbewertet werden. Aus inhaltlichen Gründen könnten die Piraten daher – zumindest zu einem gewissen Grad – eine Alternative für frustrierte Anhänger der zerstrittenen Saar-Liberalen sein, denen – wie zu sozialliberalen Zeiten – Reformen des politischen Systems am Herz liegen.

Die CDU als die momentan die Regierung und die Ministerpräsidentin stellende Partei im Saarland hat hingegen eine deutliche Veränderung ihrer Position in gesellschaftspolitischen Fragen vorgenommen: Sie nimmt nun ähnlich moderat progressive Positionen in diesem Politikfeld an und hat sich damit ihrem gewünschten Koalitionspartner SPD klar angenähert. In Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik müssen jedoch in anstehenden Verhandlungen nach der Wahl noch ein paar Unterschiede zwischen beiden Parteien überwunden werden. Ob diese Distanzen zwischen Union und SPD in dem zentralen Politikbereich Wirtschaft und Soziales eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und CDU so erschwert, dass ein rot-rotes Bündnis möglich wird? Wohl kaum, wenn man den Bekundungen der Saar-SPD hinsichtlich der Präferenz für eine gemeinsame Regierung mit der Union folgt.

Literaturverweis:

Bräuninger, Thomas und Marc Debus (2012): Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Die programmatischen Ausrichtungen der Berliner Parteien zur Abgeordnetenhauswahl 2011: Deutliche Verschiebungen

Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus findet seit Monaten eine hohe Beachtung in den Medien wie auch in der politischen Öffentlichkeit. Dies hing zunächst maßgeblich damit zusammen, dass in Folge der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Renate Künast gute Chancen eingeräumt wurden, stärkste parlamentarische Kraft zu werden. Mit dem Abflauen der Stärke von Bündnis 90/Die Grünen in den Umfragen und dem nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die amtierende Regierungskoalition aus SPD und der Linken keine Mehrheit im künftigen Berliner Abgeordnetenhaus erreicht, rückt verstärkt die Frage in den Vordergrund, welche Parteien nach der Wahl eine gemeinsame Regierungskoalition bilden können.

In diesem Zusammenhang kommt den Politikzielen der Parteien eine entscheidende Rolle zu. Eine Grundlage zur Evaluierung der inhaltlichen Schnittmengen von Parteien, denen eine zentrale Funktion im Regierungsbildungsprozess zukommt, stellen die Wahlprogramme dar, die im Vorfeld von Wahlen verfasst werden und das Ziel haben, Wählern als auch den parteipolitischen Konkurrenten die eigenen Politikpositionen zu signalisieren. Eine quantitative Inhaltsanalyse der Wahlprogramme der Berliner Parteien zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006 und 2011 macht deutlich, dass eine vergleichsweise große programmatische Dynamik vorherrscht (siehe Abbildung 1). So haben insbesondere CDU und FDP ihre wirtschaftspolitischen Positionen deutlich verändert: Während die Berliner Freidemokraten nunmehr moderate statt explizit marktliberale Positionen zur Abgeordnetenhauswahl 2011 vertreten, so hat die Union beinahe eine linke, der Haltung der SPD in sozioökonomischen Fragen sehr ähnliche Position in diesem Politikfeld eingenommen. Die Berliner CDU veränderte – im Vergleich zu 2006 – auch ihre gesellschaftspolitische Position und formuliert nunmehr eher progressive Politikziele. Insgesamt betrachtet haben sich die Christdemokraten in der Bundeshauptstadt derart auf die SPD zu bewegt, so dass sich die Positionen der beiden Parteien in den beiden Politikbereichen Wirtschaft und Gesellschaft kaum voneinander unterscheiden. Das programmatische Verhalten der Union kann dahingehend gedeutet werden, dass sie – aufgrund der Distanzverringerung zu SPD als auch Grünen – die inhaltlichen Hürden für ein rot-schwarzes oder schwarz-grünes Bündnis verringern wollte. Auch die Berliner Grünen haben sich ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Dimension und damit in Richtung der Position des SPD-Wahlprogramms 2011 zu bewegt. Der nunmehr progressivste parteipolitische Akteur in Fragen der Innen-, Rechts und Gesellschaftspolitik ist – neben der Linken, die ihre Position im Politikraum nicht in signifikanter Form verschoben hat – die Piratenpartei.

Es wird also spannend werden, inwiefern sich die in den 2011er Wahlprogrammen der Berliner Parteien formulierten Politikziele im Regierungsbildungsprozess bemerkbar machen werden. Sollte es für eine rot-rote Neuauflage nicht reichen, dann erscheint eine große Koalition, ein rot-grünes wie schwarz-grünes Bündnis oder auch eine Dreier-Koalition unter Einbeziehung der Piratenpartei – etwa in Form einer Koalition aus SPD, Linken und Piraten – durchaus möglich. Dies hängt aber vor allem davon ab, wie viele Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten sein werden und damit von der Frage, ob die Piratenpartei und die Liberalen den (Wieder-)Einzug in das Parlament überhaupt erreichen. Es bleibt also nicht nur bis zum 18. September, sondern auch in der Zeit nach der Wahl im Land Berlin politisch mehr als spannend.

Abbildung 1: Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen der Berliner Landesparteien 2006 und 2011

 

Wieder Rot-Schwarz in Mecklenburg-Vorpommern?

Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern spielt nur eine geringe Rolle in der politischen Tagesberichterstattung. Lediglich die Auswirkungen der innerhalb der Linken im nordöstlichsten deutschen Bundesland geführten Debatte um den Mauerbau von 1961 auf das Wahlergebnis wurden in den letzten Wochen ausführlicher thematisiert. Eine offene Frage ist zudem, ob die FDP aufgrund der für sie schlechten bundespolitischen Rahmenbedingungen den Wiedereinzug in den Landtag von Schwerin schafft. Die Umfragen sehen die Liberalen – ähnlich wie die rechtsextreme NPD – knapp unter der 5%-Hürde.

Sollten nur vier Parteien – SPD, CDU, die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen – in das Landesparlament einziehen, wie es die letzten Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen sowie von Infratest dimap andeuten, aus welchen Parteien wird sich dann die nächste Regierung zusammensetzen? Bleibt die Koalition aus Sozial- und Christdemokraten im Amt oder kommt es zu einer Koalition aus SPD und Linken, die in Mecklenburg-Vorpommern bereits zwischen 1998 und 2006 amtierte? Eine Inhaltsanalyse der Wahlprogramme der Landesparteien von 2006 und 2011 macht zunächst deutlich, dass die beiden Regierungsparteien SPD und CDU in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen ihre programmatische Position signifikant nach links verschoben haben (siehe Abbildung 1). Linke, Grüne und FDP änderten ihre inhaltlichen Standpunkte weder in wirtschafts- noch in gesellschaftspolitischen Fragen in entscheidendem Ausmaß ab. Die inhaltliche Distanz zwischen Sozialdemokraten und Union hat sich insgesamt betrachtet leicht verringert und entspricht ungefähr dem Abstand zwischen den Positionen von SPD und Linken. Aus dieser Perspektive könnte die SPD auch ein Bündnis mit den Sozialisten eingehen und die Koalition mit der Union beenden.

Abbildung 1: Programmatische Positionen der Parteien in Mecklenburg-Vorpommern

Allerdings spielen bei der Regierungsbildung allgemein und in den deutschen Bundesländern insbesondere noch weitere Faktoren eine Rolle, die in Betracht gezogen werden müssen. Dazu zählen etwa das Ziel der Parteien, möglichst viele Regierungsämter zu besetzen, der Amtsinhaberbonus, der der amtierenden Regierungskoalition einen gewissen Vorteil zugesteht, die vor einer Wahl getätigten Koalitionsaussagen der Parteien und die Mehrheitssituation im Bundesrat. Werden alle diese Faktoren inklusive der programmatischen Distanzen zwischen den parlamentarisch vertretenen Parteien berücksichtigt, dann lassen sich – mit Hilfe multivariater statistischer Analyseverfahren – die Wahrscheinlichkeiten für alle theoretisch möglichen Koalitionsvarianten berechnen (für eine genauere Beschreibung siehe Bräuninger & Debus 2011). Eine solche Analyse liefert folgendes Ergebnis: Von allen 15 theoretisch möglichen Koalitionen, die in dem aus vier Parteien bestehenden Parlament (SPD, CDU, Linke und Grüne) möglich sind, dominieren erwartungsgemäß zwei Parteikombinationen das Bild. Dies sind die amtierende Regierungskoalition aus Sozial- und Christdemokraten mit einer Wahrscheinlichkeit von 56,9% und ein Bündnis aus SPD und Linken mit einer Chance von 41,6%. Die restlichen 1,5% verteilen sich auf die verbleibenden 13 anderen theoretisch möglichen Parteienkombinationen. Diesem Ergebnis zufolge stehen die Chancen für eine Neuauflage der Koalition aus SPD und Union – wie auch schon in Sachsen-Anhalt wenige Monate zuvor – in Mecklenburg-Vorpommern nicht schlecht.

Literatur:

Bräuninger, Thomas und Marc Debus (2011): Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Die NRW-Landtagswahl im deutschen Föderalismus

Nils Bandelow

Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Die Wahl ist die Grundlage für die spätere Bildung der Regionalregierung in dem bevölkerungsstärksten Bundesland Deutschlands. Aber gibt es in Deutschland überhaupt so etwas wie „Regionalwahlen“? Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Vielleicht ist sie wichtig für die Bildungspolitik in NRW. Studiengebühren, das Schulsystem – und (nicht ganz unabhängig von Bildung) – auch die unbelehrbaren Raucher in den Kneipen zwischen Bielefeld und Bonn könnten vom Ergebnis betroffen sein.

Trotz aller Föderalismusreformen bleibt die Landtagswahl in NRW aber in erster Linie eine Wahl zur Bundespolitik. Sie ist es schon unabhängig vom Ergebnis: Nie war es so deutlich wie jetzt (obwohl auch frühere Regierungen derselben Logik gefolgt sind): Reformen auf Bundesebene, die vielen schaden und wenigen nützen, macht man nach  Landtagswahlen – und nicht davor. Aber wie wird sich die Wahl inhaltlich auswirken? Nun, es könnte sein, dass sich nichts verändert. Wenn die „christlich-liberale“ Regierung auch in NRW bestätigt würde, dann wären Jürgen Rüttgers und Andreas Pinkwart gestärkt. Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister hätten dann für die Zukunft jeweils einen wichtigen internen Rivalen behalten.

Die Alternative ist jede andere Koalitionsregierung in NRW. Sollte eine der Oppositionsparteien – egal  welche – an der Landesregierung beteiligt werden, dann sind die Gewinner: Bündnis 90/Die Grünen. Das gilt selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall einer rot-roten Landesregierung, selbst dann, wenn die Grünen den Einzug in den Landtag verpassen würden. Wieso das? Bisher verfügen schwarz-gelbe Landesregierungen insgesamt über eine theoretische knappe Mehrheit im Bundesrat. Die Mehrheit ist theoretisch, weil die Kammer der Landesregierungen selten ausschließlich nach parteipolitischen Vorgaben entscheidet. Aber bisher reicht es eben, wenn Merkel und Westerwelle ihre Leute hinter sich bringen. Dann – und nur dann – können sie jedes Gesetz und jede Verordnung verabschieden, solange das Grundgesetz unberührt bleibt.

Dies kann sich nach der „Landtagswahl“ in NRW ändern. Die Anführungsstriche sollen verdeutlichen: Hier handelt es sich um eine Wahl, deren Bedeutung für den Bund wichtig ist. Nicht nur, weil sie ein Signal sendet, und eine Rückmeldung gibt, für die bisherige Arbeit der Regierung.

Die wichtigste Bedeutung der Landtagswahl in NRW liegt darin, dass sie die schwarz-gelben Landesregierungen um ihre Mehrheit im Bundesrat bringen kann. Um eines klar zu stellen: Das heißt nicht, dass „die Opposition“ dann eine Mehrheit im Bundesrat hätte, auch nach der NRW-Wahl werden unionsgeführte Regierungen eine Mehrheit im Bundesrat stellen. Diese Mehrheit braucht die Opposition aber auch nicht. Koalitionen auf Landesebene pflegen zu vereinbaren, dass sie sich bei Unstimmigkeiten im Bundesrat der Stimme enthalten. Da Enthaltungen (auch nach dem gescheiterten Vorstoß von Wolfgang Schäuble, dies zu ändern) bei der Gesetzgebung des Bundes weiterhin wie Nein-Stimmen zählen, fehlt jedem Regierungsentwurf für ein zustimmungspflichtiges Gesetz die Mehrheit im Bundesrat. Konkret heißt das: Nicht nur knapp die Hälfte aller Gesetzesvorhaben der Bundesregierung drohen zu scheitern, sondern es sind vor allem die zentralen Reformen, die eine Zustimmung durch die Länderkammer benötigen.

Was würde das politisch bedeuten? Die Bundesregierung bräuchte die Zustimmung von Landesregierungen, an denen mindestens eine Oppositionspartei beteiligt ist. Und dabei würde die Zustimmung der Länder Hamburg und Saarland reichen – in beiden Ländern sind die Grünen an den Landesregierungen beteiligt. Inhaltlich heißt das: Die schwarz-gelbe Bundesregierung würde in wichtigen Fragen zu „Jamaika“ mutieren. Die Alternative wäre es, mit der SPD zu verhandeln – hier wäre der Preis gegenwärtig wohl noch höher.

Die Grünen werden also plötzlich in der Lage sein, einen Preis zu verlangen, um schwarz-gelb entscheidungsfähig zu halten. Wie wird dieser Preis aussehen? Er könnte generelle Forderungen enthalten, etwa das Festhalten am Zeitplan für den Atomausstieg. Die Grünen könnten auch „billige“ Forderungen stellen, etwa in der Gleichstellungspolitik. Dies wäre „billig“, weil wesentliche grüne Positionen längst von führenden Vertreterinnen der Bundesregierung geteilt werden.

Wahrscheinlicher sind aber Tauschvereinbarungen, die jedes einzelne Politikfeld betreffen. Denn auch wenn im Bundesrat Parteienvertreter sitzen und man dann die Grünen braucht: Einen neuen förmlichen Koalitionsvertrag wird es nicht geben. Jedes einzelne Gesetz muss so gestrickt sein, dass die Grünen in Hamburg und im Saarland zustimmen können. Das heißt etwa in der Gesundheitspolitik: Es wird Forderungen nach einer Stärkung von Qualitätssicherung und (nichtmedizinischer) Prävention geben – und diese werden auch erfüllt werden. In der Verkehrspolitik werden sich die Grünen für ein Nachhaltigkeitskonzept einsetzen, das nicht allein technische Lösungen sondern auch Verhaltenssteuerungen beinhaltet.

Insgesamt wird sich nicht nur der Inhalt der Bundespolitik ändern. Die neuen Machtverhältnisse werden alle Beteiligten auf die Probe stellen: Sind die Grünen bereit für Jamaika? Wird sich ein Bündnis mit den Grünen in der CDU durchsetzen lassen? Wie wird die Kanzlerin mit den zu erwartenden Widerständen aus FDP und CSU umgehen? Die Landtagswahl in NRW ist somit spannend. Sie wird nicht nur die Machtverhältnisse auf Bundesebene nachhaltig mitbestimmen, sondern auch die Weichen für die zukünftige Entwicklung unseres Parteiensystems stellen.

 

"Honeymoon" is over

Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen: Gesundheitspolitik in der Krise, Umfragetief für die FDP, Einbußen für die wichtigsten Regierungspolitiker. Im Politbarometer der vergangenen Woche erhält die schwarz-gelbe Regierung erstmals negative Beurteilungen, im Deutschland-Trend der ARD gaben Befragte in den vergangenen Tagen an, die jetzige Regierung sei schlechter als die Vorgängerregierung. Die Koalition, so scheint es, befindet sich in einer echten Krise. Tatsächlich?

Fakt ist, dass es in der Regierung noch nicht rund läuft. Einiges ist durch den Regierungswechsel bedingt. Selbst Wunschkoalitionen müssen sich erst einmal finden. Man denke zurück an den Regierungsantritt von Rot-Grün 1998: Von Dezember 1998 an ging es mit der Unterstützung für die neue Regierung bergab. Ein erster Schock war die verlorene Landtagswahl in Hessen am 7. Februar 1999, die auch die Mehrheit im Bundesrat kostete. Es folgte ein Stimmungstief im März 1999, der absolute Tiefpunkt im September 1999, und erst die CDU-Spendenaffaire (Winter 1999/2000) führte zu erheblichen Verbesserungen der Bewertungen für Rot-Grün.

Insofern ist das, was derzeit in Berlin passiert, nicht neu. Und es ist durchaus typisch für die erste Phase einer Legislaturperiode. Neu gewählte Regierungen erhalten in der Regel kurz nach einer Wahl die besten Bewertungen, was Bestätigungseffekt im „Honeymoon“ genannt wird. Doch Flitterwochen dauern nie lange. Im Anschluss muß dann nicht mehr nur – wie im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen – geredet, sondern regiert werden. Und die ersten wichtigen und für Teile der Bevölkerung harten Politikentscheidungen müssen früh, wenn auch nicht sofort getroffen werden. Am Ende einer Legislaturperiode ist dies weitaus schwieriger, denn da muss der Souverän wieder gewonnen und keinesfalls vergrätzt werden.

Doch wie steht es im Lichte dieser Erfahrungen um die Lage der Koalition im Februar 2010? Gemessen an den ersten Monaten der letzten Regierungen, geht es Schwarz-Gelb „den Umständen entsprechend“. Das bedeutet, dass man nicht von einer Krise der Regierung sprechen kann, auch wenn die Holperer doch recht zahlreich sind. Aus der Perspektive einer ganzen Legislaturperiode hat die Regierung noch genug Zeit, in Tritt zu kommen. Ein wenig problematisch ist allerdings der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. Geht es „normal“ weiter, also für Schwarz-Gelb bis auf weiteres nach unten, dann wird es für Union und FDP schwierig werden, die Landtagswahl im größten deutschen Bundesland am 9. Mai 2010 zu gewinnen.

Landtagswahlen weisen allerdings ein paar Spezifika auf, die schwer kalkulierbar sind. Es wird vor allem darum gehen, welche Lager und Parteien ihre Klientel bei einer vermeintlich weniger wichtigen Wahl besser moblisieren können. Ist der Bundestrend für Schwarz-Gelb weiter negativ, dann sind Mobilisierungsdefizite für Union und FDP sehr wahrscheinlich, zumal die Regierungskonstellation im Bund und in NRW die gleiche ist. Allerdings werden Landtagswahlen auch von landesspezifischen Faktoren beeinflusst. Hier wird es um die Zufriedenheit der Bürger NRWs mit den Politikergebnissen, mit ihrem Ministerpräsidenten und um politische Alternativen gehen. Letzteres könnte zum Problem für die Opposition werden. Rot-Grün liegt derzeit klar hinter Schwarz-Gelb zurück und hat damit keine eigene Machtperspektive. Insofern wird es spannend werden: Wer „könnte“ mit wem, zu welchem Zweck und vor allem mit welchen Erfolgsaussichten? Wird es zu bunt und unübersichtlich, bliebe der Rückgriff auf ein bekanntes, bestenfalls auch bewährtes Koalitionsmodell.

 

Thüringen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin?

Nach der Landtagswahl gibt es in Thüringen zwei realistische Koalitionsoptionen: Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün. Der Spitzenkandidat der SPD, Christoph Matschie, hat am Wahlabend und am Tag darauf betont, dass es mit der Thüringer SPD keinen Ministerpräsidenten der Linken geben wird. Auch die Grünen haben große Vorbehalte gegen Bodo Ramelow. Wie die SPD stößt man sich an zwei Kandidaten (jetzt: Abgeordnete) auf der Landesliste der Linken, die keine ganz reine „DDR-Weste“ haben. Ramelow und die Linke beanspruchen dagegen das Amt des Ministerpräsidenten. Matschie lässt verlauten, dass er eher eine Koalition mit Dieter Althaus und der CDU eingehen wird als unter der Führung eines linken Ministerpräsidenten Rot-Rot-Grün zu versuchen. Andererseits weisen die drei Parteien der Linken auf programmatische Übereinstimmungen hin, die ein Rot-Rot-Grünes Bündnis lohnenswert machten.

Was tun? Nun, die Linke wird nie und nimmer Herrn Matschie zum Ministerpräsidenten wählen, SPD und Grüne dagegen nicht Herrn Ramelow. Da bleibt eigentlich nur noch die Große Koalition, die vielleicht gar nicht das Schlechteste für Thüringen wäre. Andererseits könnte man gleich ein weiteres Mal etwas Neues wagen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin in Thüringen? Diese hiesse dann Astrid Rothe-Beinlich. Für die Grünen könnte sich mit diesem Personalvorschlag eine Regierungsoption eröffnen. In Thüringen haben sie – verglichen mit dem Saarland oder Sachsen – nur eine Option: Rot-Rot-Grün. Eine grüne Ministerpräsidentin hätte zwischen zwei roten Blöcken zu moderieren und liefe natürlich Gefahr, zwischen SPD und Linken aufgerieben zu werden. Andererseits: Wer es nicht versucht, hat in jedem Fall verloren. Aber vielleicht gehen die Grünen ja gern in die Opposition. Hierzu meinte ein gewisser Franz Müntefering einmal: Opposition ist Mist.

 

Haben Landtagswahlergebnisse Effekte auf die Bundestagswahl?

Es ist ein beliebtes Spiel am Abend nahezu jeder Landtags-, Europa- oder Bundespräsidentenwahl. Journalisten fragen Experten – meist Politikwissenschaftler – danach, welche Auswirkungen dieses regionale Wahlergebnis auf die Bundesebene haben wird. Die Experten spielen häufig mit und mutmaßen darüber, dass diese unerwartet hohen Verluste, Gewinne oder diese neue Koalitionskonstellation schon in der ein oder anderen Weise die Bundespolitik beeinflussen werde.

Aus Sicht der Wissenschaft sollte man mindestens ein Fragezeichen hinter solche Medienspiele setzen. Zum einen können die Wähler sehr wohl zwischen verschiedenen Wahlebenen unterscheiden. Gute Indikatoren sind unterschiedliche Wahlbeteiligungsraten oder die ganz unterschiedliche Bewertung von Bundes- oder Landesregierungen sowie -parteien. Und am gleichen Tag gab es schon häufig in verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedliche Wahlergebnisse wie z.B. am 25. März 2001 in Baden-Württemberg (hier gewann die CDU hinzu und blieb in der Regierung) und in Rheinland-Pfalz (hier gewann die SPD hinzu und blieb an der Regierung). In beiden Fällen spielte die Landespolitik für die Wahlentscheidung die zentrale Rolle.

Wir wissen andererseits, dass Wahlergebnisse niedrigerer Ordnung stets zu einem variablen Grad von der Bundespolitik beeinflusst werden. Vor allem inmitten von Legislaturperioden des Bundestags gibt es häufig starke anti-gouvernementale Effekte, die dann auch die Landesparteien zu spüren bekommen. Viele Wähler protestieren auf der ihnen gerade zur Verfügung stehenden (Landes-)Ebene gegen die Bundesregierung. Dies begünstigte vor fünf Jahren die CDU im Saarland, die PDS in Thüringen und die NPD in Sachsen. Nun stehen wir am Ende der Legislaturperiode auf Bundesebene, so dass diese Effekte deutlich schwächer sein werden. Zum anderen ist vor allem die CDU nicht mehr in der Opposition, sondern führende Regierungspartei. Insbesondere für sie wird es schwieriger als 2004, zumal im Saarland, wo der Regierungschef immerhin schon zehn Jahre im Amt ist.

Mögliche Effekte von Landtagswahlergebnissen auf Bundestagswahlergebnisse sind demgegenüber vor allem eines: hoch spekulativ. Nicht vier, sondern zwei Wochen vor der Bundestagswahl 1998 fand eine Landtagswahl in Bayern statt. Die CSU gewann damals – trotz hoffnungsloser Situation der Union auf Bundesebene – hinzu und verteidigte souverän die absolute Mehrheit in Bayern. Ein Bundeseffekt dieser Wahl blieb aus, zumindest zwei Wochen später. Es gab in Umfragen zwar einen temporär positiven Effekt für die CDU/CSU in der Woche unmittelbar nach der damaligen Bayernwahl, doch bis zur Bundestagswahl war dieser Effekt verflogen. Selbst die Bayern konnten Kohl nicht retten.

Wie also sollten die drei Landtagswahlen (oder gar die Kommunalwahlen in NRW) von heute Einflüsse auf das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl am 27. September haben? Und wie sollten sie Steinmeier zurück „ins Rennen“ bringen? Sicher, systematisch ausschliessen kann man bundespolitische Effekte nicht, vor allem wenn es sich um dramatische Ergebnisse handelt. Doch wenn beispielsweise ein Ministerpräsident stürzt, hat das zwar politische Effekte, vor allem auf innerparteiliche Machtverhältnisse, aber das Wahlverhalten auf der weitaus wichtigeren politischen Ebene, dem Bund, wird davon weitgehend unbeeinflusst bleiben. Zwar entschlossen sich Schröder und Müntefering noch am Abend der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005, vorgezogene Neuwahlen anzustreben. Doch die NRW-Wahl war lediglich der schmerzhafte Endpunkt einer langen Leidenszeit. Vorausgegangen waren Landtagswahlpleiten in Serie, ein „Heide-Mörder“ und eine Abspaltung von der SPD, die WASG. Die Lage ist 2009 eine völlig andere. Deshalb werden die Wahlen von heute vor allem eines sein: Der Startschuss für den Endspurt des Bundestagswahlkampfs 2009. Hier geht es dann um eine neue Bundesregierung. Die landespolitischen Ergebnisse von heute werden, davon sollte man ausgehen, für die Wähler dann keine Rolle mehr spielen.

 

Drei Landtagswahlen im Vorfeld einer Bundestagswahl – wie stehen die Chancen für die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten in Sachsen, Thüringen und an der Saar?

Wahlergebnisse in den Bundesländern senden in der Regel immer Signale in Richtung Bundespolitik aus. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Stimmengewinne und –verluste der Parteien, sondern auch für die Muster der Regierungsbildung. Man erinnere sich hier an die erstmalige Bildung einer rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen 1995: der damalige Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) und wohl auch weite Teile der strukturell eher konservativen NRW-SPD waren alles andere als glücklich mit einem solchen Bündnis, doch blieb ihnen aufgrund der Mehrheitsverteilung im Landtag und dem Druck der Bundesebene, ein solches Bündnis im einwohnerstärksten deutschen Bundesland zu installieren, um so die Regierungsfähigkeit einer solchen Koalition für die Zeit nach der Bundestagswahl 1998 zu signalisieren, nichts anderes übrig, als eine rot-grüne Koalition einzugehen.

Es gibt eine Reihe weiterer, historisch älterer Beispiele, wo Koalitionen auf Landesebene dazu dienten, die Tragfähigkeit solcher Bündnisse auf Bundesebene auszutesten. Von den Landtagswahlen im Saarland, in Thüringen und in Sachsen und dem anschließenden Regierungsbildungsprozess könnte – gerade weil sie nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl stattfinden – eine ähnliche Bedeutung ausgehen. Dies rührt vor allem daher, dass die SPD – das Debakel um die gescheiterte Bildung einer rot-grünen, von der „Linken“ tolerierten Minderheitsregierung in Hessen 2008 vor Augen – ihren Landesverbänden nicht nur im Osten, sondern nun auch im Westen freie Hand für eine Zusammenarbeit mit der SED- bzw. PDS-Nachfolgepartei gegeben hat, ein solches Bündnis jedoch auf Bundesebene nach wie vor ausschließt. Generell haben die deutschen Parteien aus der verfahrenen Situation in Hessen nach den Wahlen vom Februar 2008 gelernt und schließen weniger Koalitionsoptionen a priori aus als zuvor. Dies gilt zu einem geringeren Grad für die kommende Bundestagswahl, wo die Grünen eine Jamaika-Koalition ausgeschlossen haben und die SPD jedwedes Bündnis mit der „Linken“ ablehnen, sondern vor allem für die drei kommenden Landtagswahlen. So ist ein schwarz-gelb-grünes Bündnis weder von CDU noch von FDP und Bündnisgrünen rundweg abgelehnt worden. Auch schließt die SPD eine Koalition mit der Linken im Saarland und in Thüringen nur dann aus, wenn die Sozialdemokraten nicht den Ministerpräsidenten stellen könnten.

Jüngste Umfragen von Infratest-Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen zeigen, dass eine Mehrheit für ein Bündnis für die in allen drei Ländern von jeweils beiden Parteien präferierte CDU/FDP-Koalition nur in Sachsen relativ sicher ist. Was sind nun dann die nächst wahrscheinlicheren Optionen? Auf der Grundlage gängiger Koalitionstheorien wissen wir, dass Parteien an der Besetzung politischer Ämter sowie an der Durchsetzung ihrer in Wahlprogrammen proklamierten inhaltlichen Positionen interessiert sind. Daraus lässt sich kurz gefasst ableiten, dass Koalitionen umso wahrscheinlicher sind, wenn sie

* über eine sie stützende Mehrheit im Parlament verfügen, diese Mehrheit jedoch nicht übergroß ist und von so wenigen Parteien wie möglich getragen wird;
* aus solchen Parteien zusammengesetzt ist, die möglichst ähnliche programmatische Positionen vertreten.

Zusätzlich gibt es theoretische Ansätze, die der stärksten Parlamentspartei einen besonderen Vorteil im Regierungsbildungsprozess zusprechen und der amtierenden Koalition einen Startvorteil im neuen Regierungsbildungsprozess zugestehen. Des Weiteren sollten die im Wahlkampf getätigten Koalitionsaussagen einen Einfluss ausüben: wird eine Aussage zugunsten einer künftigen Koalition zwischen zwei (oder auch mehr) Parteien getroffen, dann sollte dies einen positiven Effekt auf die schlussendliche Bildung dieser Koalition ausüben. Wird ein Bündnis hingegen von vorneherein abgelehnt, dann sollten die Chancen zur Bildung einer solchen Koalition sinken. In Deutschland ist ein weiterer Faktor von Bedeutung, der sich aus der Rolle des Bundesrates in der Gesetzgebung ergibt: die Parteien auf Bundesebene sind daran interessiert, in den Ländern solche Koalitionen zu „installieren“, die mit der parteipolitischen Zusammensetzung von Regierung und Opposition auf Bundesebene übereinstimmen. Wenn solche Landesregierungen die Mehrheit der Sitze im Bundesrat stellen, die aus den selben Parteien wie die Bundesregierung gebildet sind, dann sollte es für die Bundesregierung einfacher sein, ihre Gesetzesinitiativen durch die Länderkammer zu bringen als in Situationen, wo die Bundestagsopposition eine Mehrheit im Bundesrat kontrolliert.

Auf der Grundlage eines Datensatzes, der alle 79 Regierungsbildungsprozesse in Bund und Ländern seit Januar 1990 beinhaltet und davon in 66 Fällen (83,5%) die Regierungsbildung korrekt voraussagt (Bräuninger & Debus 2008, 2009), können wir mit Hilfe multivariater statistischer Analysetechniken die Wahrscheinlichkeiten ermitteln, die jede theoretisch denkbare Koalition (hierzu zählen etwa auch Einparteien-Minderheitsregierungen) nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland aufweist. Auf der Grundlage der letzten Umfragen wird davon ausgegangen, dass nur in Sachsen Union und Liberale eine Mehrheit im Parlament erringen, wohingegen es keine Mehrheit für eine potentielle christlich-liberale Koalition in Thüringen und an der Saar gibt. Die programmatischen Positionen der Landesparteien werden anhand einer computergestützten Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen. Auf der Grundlage dieser Positionen lässt sich die ideologische Distanz zwischen den jeweiligen Parteien innerhalb jeder potentiell möglichen Koalition bemessen.

Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der am stärksten diskutierten Koalitionsoptionen sind in der folgenden Tabelle 1 getrennt nach Bundesland dargestellt. In Sachsen dominiert klar eine CDU/FDP-Koalition die Wahrscheinlichkeitsverteilung. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse scheint somit die Fortführung der Koalition aus Union und SPD sehr unwahrscheinlich, wenn CDU und Liberale eine gemeinsame Mehrheit im sächsischen Landtag erringen. Im Saarland und in Thüringen, wo wir das Wahlergebnis mit Hinblick auf die letzten Umfragewerte so simuliert haben, dass Union und FDP keine Mehrheit in den beiden Landtagen erreichen, stehen die Chancen für die Bildung einer Koalition aus CDU und SPD gut – sie dominiert ein Linksbündnis, dessen Chancen in beiden Ländern bei rund 10% liegt, sowie auch eine Jamaika-Koalition, die jedoch mit Wahrscheinlichkeitswerten von etwas weniger als 40% auf keinen Fall als chancenlos abzutun ist.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen

  Saarland Sachsen Thüringen
CDU und SPD 47,0% 13,6% 46,9%
CDU, FDP und Grüne 36,6% 0,0% 38,4%
SPD, Grüne und Linke 9,4% 0,0% 10,8%
CDU und FDP 3,0% 86,1% 0,1%

Nun basieren diese Schätzungen – wie oben beschrieben – auch auf einer Variable, die die Bedeutung der Kongruenz zwischen dem Parteienwettbewerb auf Bundes- und Landesebene umfasst. In diesem Fall impliziert dies einen positiven Effekt für eine Koalition aus CDU und SPD in den Ländern, da diese zum Zeitpunkt der Landtagswahlen im August 2009 (noch) die Bundesregierung stellen. Lässt man diese Variable aufgrund des mehr oder weniger offensichtlichen Wunsches von Union und SPD, die große Koalition in Berlin nach den kommenden Bundestagswahlen zu beenden, in den statistischen Schätzungen außer acht, dann ändert sich auch die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten auf die jeweils theoretisch möglichen Koalitionsoptionen. Die in Tabelle 2 abgetragenen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf die vier momentan am häufigsten diskutierten Szenarien der Regierungsbildung zeigen nunmehr, dass sowohl im Saarland als auch in Thüringen eine „Jamaika-Koalition“ leicht wahrscheinlicher ist als ein CDU/SPD-Bündnis. Die Chancen zur Bildung einer Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken steigen hingegen nur geringfügig an.

Tabelle 2: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen – Kongruenz zur Bundesebene wird nicht berücksichtigt

  Saarland Sachsen Thüringen
CDU, FDP und Grüne 43,1% 0,0% 42,5%
CDU und SPD 38,0% 19,8% 40,1%
SPD, Grüne und Linke 12,1% 0,0% 13,6%
CDU und FDP 3,0% 79,8% 0,1%

Da maßgeblich entscheidend für die Koalitionsbildung die Stärke der Fraktionen in den Landesparlamenten ist, sind die hier geschätzten Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Koalitionsoptionen naturgemäß nur unter Vorbehalt zu betrachten. Sollten sich im Saarland und in Thüringen Mehrheiten für CDU und FDP in den Landtagen bilden, dann ist eine Koalition dieser beiden Parteien nahezu sicher. Sollte es aber keine Mehrheit für das „bürgerliche Lager“ geben, dann sind die Chancen für „Jamaika“ im Saarland nahezu ähnlich gut wie für eine CDU/SPD-Koalition – lediglich für ein Linksbündnis sieht es – überraschenderweise – nicht so gut aus, was im Saarland wohl auch an den gegensätzlichen Forderungen von Grünen und Linken zur Zukunft des Bergbaus liegen mag.

Literatur

Bräuninger, Thomas/Debus, Marc (2008): Der Einfluss von Koalitionsaussagen, programmatischen Standpunkten und der Bundespolitik auf die Regierungsbildung in den deutschen Ländern, in: Politische Vierteljahresschrift 49, 309-338.
Bräuninger, Thomas/Debus, Marc (2009): Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2009: Wie wahrscheinlich ist eine Neuauflage der großen Koalition? Paper vorbereitet für den „Workshop zur Bundestagswahl 2009“ auf dem DVPW-Kongress in Kiel, 21. bis 25. September 2009.

 

Das Kieler Landeshaus im Schatten des Berliner Reichstags?

Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl hat das landespolitische Geschehen in Schleswig-Holstein die Bundespolitik wenigstens für den Moment aus dem Zentrum des öffentlichen Interesses verdrängt. Bedenkt man, dass eine Landesregierung, überdies eine, die von den gleichen Parteien getragen wird wie die Bundesregierung, auf des Messers Schneide steht, ist das nur allzu verständlich. Wie diese Krise ausgehen wird und ob der schleswig-holsteinische Landtag den Weg für eine Landtagswahl am 27. September ebnen wird, lässt sich im Moment nicht absehen. Dies gilt umso mehr, als geheime Abstimmungen gerade im nördlichsten Bundesland zu erheblichen Überraschungen führen können. Sollte es tatsächlich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen, stellt sich freilich die Frage, ob das Zusammentreffen von Landes- und Bundestagswahl Konsequenzen für das Wahlverhalten hätte.

Im deutschen Mehrebenensystem lassen sich die verschiedenen Politikarenen generell nicht scharf voneinander trennen. In Landtagswahlkämpfen spielt daher häufig die Bundespolitik eine wichtige Rolle. Auch Bürger reagieren mit ihrem Landtagswahlverhalten auf die Bundespolitik. Beispielsweise nutzen einige die Stimmabgabe bei einer Landtagswahl, um ihrer Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auszudrücken. Diese Verhaltensmuster haben dazu beigetragen, dass Landtagswahlen häufig als Nebenwahlen charakterisiert werden. Diese Charakterisierung mag in etlichen Fällen übertrieben sein. Bei Landtagswahlen, die am Tag der Bundestagswahl stattfinden, scheint sie der Realität jedoch recht nahe zu kommen. Dafür sprechen empirische Befunde zu parallel abgehaltenen Land- und Bundestagswahlen in der Vergangenheit. Parteien erzielten bei beiden Wahlen beinahe identische Stimmenanteile, und nur sehr wenige Wähler machten von der Möglichkeit des Stimmensplittings zwischen Land und Bund Gebrauch. Zudem scheint die Landtagswahlentscheidung vergleichsweise stark von bundespolitischen Motiven bestimmt gewesen zu sein. Die Zusammenlegung trug somit zu einer verstärkten bundespolitischen Durchdringung von Landtagswahlen bei.

Vor diesem Hintergrund liegen die Schlussfolgerungen für Schleswig-Holstein recht klar auf der Hand. Sollte die Landtagswahl auf den 27. September vorverlegt werden, wird es die Landespolitik vergleichsweise schwer haben, im Wahlkampf eine prominente Rolle zu spielen. Zudem wird das Landtagswahlverhalten relativ stark von bundespolitischen Faktoren beeinflusst werden. Es ist also damit zu rechnen, dass die Landtagswahl stärker als bei getrennten Urnengängen eine bundespolitische Nebenwahl sein wird. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Parteien davon profitieren werden. Denn wie schnell sich ein vermeintlich stabiler Bundestrend umkehren kann, das haben nicht zuletzt die Wahljahre 2002 und 2005 gezeigt.