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Wem hilft das TV-Duell?

Vom TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier konnte vor allem der SPD-Kandidat profitieren. Dies zeigt eine Experimentalstudie der Universitäten Koblenz-Landau, Hohenheim und Mannheim. An fünf Standorten – Landau, Stuttgart, Mannheim, Kaiserslautern und Jena – verfolgten rund 450 Personen das TV-Duell und bewerteten die Politiker live. Direkt vor und direkt nach der Debatte wurden sie unter anderem zu ihren Einstellungen gegenüber den beiden Kanzlerkandidaten befragt.

Unter den etwa 380 westdeutschen Untersuchungsteilnehmern konnte Steinmeier erhebliche Sympathiegewinne verbuchen. Es gelang ihm, sich auf einem elf Skalenpunkte umfassenden Sympathieskalometer um 0,7 Skalenpunkte zu verbessern. Besonders deutlich legte Steinmeier unter parteipolitisch unabhängigen Wähler zu (+0,9), aber auch in den eigenen Reihen und im schwarz-gelben Lager stieg sein Ansehen durch seinen Debattenauftritt signifikant (+0,6 bzw. +0,7). Der Sympathiewert von Angela Merkel veränderte sich hingegen nicht. Der Imagegewinn Steinmeiers strahlte auch auf die die Bewertung der SPD aus. Sie legte um 0,4 Skalenpunkte zu, während die Union einen Zehntelskalenpunkt hinzugewann.

Das TV-Duell verursachte auch Verschiebungen bei der Kanzlerpräferenz. Rund 15 Prozent der Versuchspersonen änderten ihre Kanzlerpräferenz aufgrund der Eindrücke, die sie aus der 90-minütigen Diskussion gewonnen hatten. Das bessere Ende hatte auch hier Steinmeier, dem es zwar genauso wenig wie Merkel gelang, Anhänger aus dem gegnerischen Lager für sich zu gewinnen, der aber etwa doppelt so viele Unentschiedene wie die Kanzlerin von sich überzeugen konnte.

Das TV-Duell hat also eine direkte Wirkung gezeigt. Dies deckt sich mit den Befunden für die Fernsehdebatten 2002 und 2005, für die auch deutliche unmittelbare Effekte auf politische Einstellungen nachgewiesen werden konnten. Nun gilt es für Frank-Walter Steinmeier und die SPD, diesen Rückenwind zu nutzen, um „zählbare“ Erfolge zu verbuchen – also sich vor allem in den Umfragen hinsichtlich der Sonntagsfrage zu verbessern. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, da die Einstellung zu Kandidaten und Parteien der Wahlabsicht direkt vorgelagert ist. Vieles wird aber davon abhängen, wie sich das Medienecho auf das TV-Duell in den nächsten Tagen gestaltet.

 

Nur die Liebe zählt…? "Höhepunkte" der TV-Debatte 2005

Auch für die TV-Debatte 2005, in der Gerhard Schröder gegen Angela Merkel antrat, gibt eine Echtzeit-Messung, die durch die Universitäten Kaiserslautern, Landau und Mainz durchgeführt wurde, Einblicke in die spontanen Reaktionen der Zuschauer auf die Aussagen der Kandidaten (Abbildung 1). Die Untersuchung unter rund 50 ostdeutschen Zuschauern zeigt, dass der damalige Kanzler erneut seine besten Momente hatte, als er in seinem Auftakt- und Schlussstatement auf den Irak-Krieg einging – ein Thema, dass 2005 weder in der TV-Debatte noch im Wahlkampf ein zentrales Thema war. Schröder rekurrierte dennoch darauf – mit Erfolg, wie die Ausschläge zeigen. Günstig für ihn erwies sich auch die Kritik am Krisenmanagement von George W. Bush im Zusammenhang mit Hurrikan Katrina. Merkel wiederum gelang es mit Wirtschaftsthemen (Steuerflucht, Strompreise) die Zuschauer auf ihre Seite zu ziehen. Zudem punktete sie mit ihren Aussagen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Echtzeitbewertungen von Schröder und Merkel, TV-Duell 2005
deb2005

2005 gab es aber auch persönliche Momente während der Debatte, über deren Wirkung in der Nachlese heftig spekuliert wurde. Dies gilt insbesondere für die Liebeserklärung Gerhard Schröders an seine Frau („Sie lebt das, was sie sagt […] und das ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe“). Während der Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner sogar implizit mutmaßte, dass Schröder die Liebeserklärung geschadet hat („Viele Wähler könnten den Verdacht haben, dass es sich nur um einen Wahlkampfgag gehandelt hat“) war die Chefredakteurin der „Bunte“, Patricia Riekel, „ganz sicher, dass ihm die Liebeserklärung Stimmen gebracht hat“. Edmund Stoiber verstieg sich sogar in der Nachbetrachtung des Bundestagswahlkampfes zu folgender Behauptung: „Heute wissen wir, dass diese Aussage eine Schneise geschlagen hat in der Zustimmung zu Gerhard Schröder und zur SPD“.

Die RTR-Daten sprechen zunächst einmal eine andere Sprache. Sie zeigen, dass die ostdeutschen Rezipienten überhaupt nicht reagierten, als Schröder Süßholz raspelte. Möglicherweise haben die Zuschauer die Aussage überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Dennoch kann Schröder der Einblick in sein Privatleben genutzt haben – und zwar weil die Experten dieser Aussage im Nachhinein so viel Bedeutung zugemessen haben. Damit kommt ein vierter Akteur ins Spiel, der neben den beiden Kandidaten und den Fernsehzuschauern über die Effekte von TV-Debatten entscheidet: die Massenmedien, die über Debatten breit berichten – und zwar höchst selektiv und stark wertend. Sie sind in der Lage, persönliche Beobachtungen zurechtzurücken; sie sind auch in der Lage, Einschätzungen, die vorher nicht existiert haben, zu generieren – wie etwa die große Bedeutung der Schröderschen Liebeserklärung.

Literatur:

Maurer, M./Reinemann, C./Maier, J./Maier, M. (2007). Schröder gegen Merkel. Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Wahlpflicht in Deutschland – eine sinnvolle Maßnahme?

„Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht.“ So äußerte sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen gegenüber der BILD-Zeitung angesichts der geringen Europawahlbeteiligung (43,3 Prozent) und forderte für Deutschland eine Wahlpflicht nach dem Modell Belgiens (und gut zwei Dutzend weiterer Staaten). Komme man dieser Pflicht nicht nach, solle man nach den Vorstellungen von Thießen mit 50 Euro zur Kasse gebeten werden (siehe zur Wahlpflicht auch das Pro und Contra von Thorsten Faas in diesem Blog).

Thießen befindet sich mit seinem Unmut über geringe Wahlbeteiligungsraten in guter Gesellschaft. Denn die vorherrschende Meinung in Politik und Medien ist, dass eine hohe Wahlbeteiligung identisch ist mit einer starken Demokratie. Je mehr Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, desto besser sind die politischen Akteure und ihre Entscheidungen legitimiert. Dass Wahlen eigentlich den Zweck erfüllen sollen, eine handlungsfähige Regierung hervorzubringen (ein Ergebnis, das es bei Europawahlen ohnehin nicht gibt), ist hier zweitrangig; wichtiger ist, dass möglichst alle sagen, was sie eigentlich wollen. Und da die Bürger dies offenbar immer seltener freiwillig tun (Stichwort: sinkende Wahlbeteiligung auf allen Ebenen des politischen Systems seit Ende der 1980er Jahre), muss man sie zu ihrem „Glück“ zwingen.

Dabei gibt es genügend Beispiele, die belegen, dass der angenommene Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der Qualität des demokratischen Prozesses kein zwangsläufiger ist. Beispiel Weimar: Die Wahlbeteiligung bei der letzten freien Wahl Anfang 1933 lag bei „traumhaften“ 89 Prozent. Die systemfeindlichen Parteien NSDAP und KPD konnten insgesamt 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Das Ende Weimars ist bekannt. Beispiel Belgien: Rechtsextreme Parteien wie z.B. die Vlaams Belang (bis 2004: Vlaams Blok) sitzen hier schon lange im Parlament und nehmen bis zu einem Fünftel der Sitze für sich in Anspruch. Bei der Europawahl 2009 erzielten sie immerhin 16 Prozent. Kurz: An der Höhe der Wahlbeteiligung lässt sich eben nicht ablesen, ob wir es mit guten Demokraten oder dem genauen Gegenteil zu tun haben. Um dies zu beurteilen, muss man die Motive von Wähler und Nichtwählern kennen.

Die Nichtwählerforschung kann immer wieder zeigen, dass letztere häufig deshalb der Wahlurne fern bleiben, weil sie sich für Politik weniger interessieren (was legitim sein sollte in einer Demokratie – genau wie wir es akzeptieren müssen, dass es Menschen gibt, die mit Fußball nichts anfangen können). Dummerweise sind überdurchschnittlich viele Bürger, die für die Politikvorstellungen extremer Parteien empfänglich sind, politisch weniger interessiert. Wenn man diese Menschen nun per Gesetz dazu zwingt, ihre politischen Präferenzen zum Ausdruck zu bringen, muss man sich in jedem Fall darauf einstellen, dass sie ihre Stimmen nicht zwangsläufig an die etablierten Parteien verteilen. Dass dies dann von denjenigen goutiert wird, die heute laut nach einer Wahlpflicht rufen, ist kaum vorstellbar. Denn Demokratie ohne Demokraten – und hier ist Thießen beizupflichten – funktioniert nicht.

 

Mission gescheitert: Zur Wirkungslosigkeit von EU-Informationskampagnen

Bei den heutigen Wahlen zum Europäischen Parlament ist einmal mehr zu erwarten, dass die Wähler weg bleiben. Letzte Umfragen gehen davon aus, dass in Deutschland wie schon 1999 und 2004 eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent geben wird.

Mit dem Ziel, Wähler von der Bedeutung der EU und der anstehenden Wahlen zu überzeugen, hat zum einen die Europäische Union, zum anderen das bayerische Europaministerium Informationskampagnen gestartet. Während die EU-Kampagne durch ihr Budget beeindruckte – insgesamt 18 Millionen Euro wurden für Großinstallationen, Werbeplakate und Spots ausgegeben – sollte die Bayern-Initiative mit dem Motto „Europa – was geht“ in erster Linie junge Wähler ansprechen. Dafür wurde eigens Commedy-Star Oliver Pocher engagiert, der in einem mehr als 4-minütigen Spot in seiner Rolle als „Straßen-Kobra“ versuchte, mit einem entsprechenden Slang den Nerv der Jugendlichen zu treffen.

Dass die Kampagnen ihr Ziel erreichen konnten, muss aber bezweifelt werden. In einer von Dr. Jürgen Maier, Prof. Dr. Michaela Maier (Universität Koblenz-Landau) und Dr. Silke Adam (FU Berlin) durchgeführten Experimentalstudie unter Studierenden der Universität Koblenz-Landau zeigten sich für keinen der beiden Werbespots mobilisierende Effekte. Einer Gruppe von 23 Studierenden wurde der im Rahmen der EU-Kampagne produzierte 32-Sekunden-Fernsehspot gezeigt. Eine zweite, 45 Studenten umfassende Gruppe wurde der Pocher-Spot gezeigt . Anschließend wurden die Probanden zu europapolitischen Themen befragt und ihre Ergebnisse mit einer 25-köpfigen Kontrollgruppe verglichen, die keinen der beiden Spots gesehen hat. Nach Kontrolle von Geschlecht und politischem Interesse zeigten sich weder hinsichtlich der Wahlbeteiligungsabsicht noch hinsichtlich der Bereitschaft, sich auch nach der Europawahl aktiv über die EU informieren zu wollen, statistisch signifikante Gruppenunterschiede. Das Ziel, junge Wähler für Europa zu interessieren und ihre Bereitschaft zu vergrößern, sich an der anstehenden Europawahl zu beteiligen, haben die Kampagnen somit offenbar verfehlt.

Die fehlende Reaktion der Probanden ist plausibel, denn die Spots geben kaum Aufschluss, warum es wichtig sein sollte, sich mit europäischen Themen zu beschäftigen oder heute zur Wahl zu gehen. Dass passt ins Bild, denn auch die Werbebemühungen der politischen Parteien sowie die Medienberichterstattung der Massenmedien signalisieren dem Wähler durch ihren konsequente Ausblendung von EU-Themen, dass die Europawahlen eigentlich nicht wichtig sind. Jüngster Beleg hierfür ist der fehlende Hinweis auf den Titelseiten der heutigen Sonntagsausgaben der Tageszeitungen, dass heute Europawahl ist. Wenn die Wähler deshalb 2009 erneut mehrheitlich zu Hause bleiben, wäre dies eigentlich ein Anzeichen dafür, dass Wähler durchaus vernünftig agieren – und ihre Zeit lieber in wichtiger Dinge investieren als in den Gang zum Wahllokal.

 

Showdown im Fernsehstudio – oder doch woanders?

Dass es auch bei der Bundestagswahl 2009 zu so genannten TV-Duellen zwischen Merkel und Steinmeier kommen wird, stand für Wahlkampfexperten und Wahlforscher eigentlich außer Frage: Zu groß ist der Anreiz der Wahlkampfstrategen, Wähler unter weitgehender Umgehung journalistischer Selektionskriterien direkt anzusprechen. Zu einzigartig ist die Chance, Wählern den Kontrast zum Kandidaten des gegnerischen Lagers unmittelbar vor Augen zu führen. Zu groß war das Publikumsinteresse bei den beiden Fernsehdebatten zwischen Schröder und Stoiber 2002 (jeweils rund 15 Millionen Zuschauer) bzw. der einzigen Live-Konfrontation zwischen Schröder und Merkel 2005 (21 Millionen Zuschauer). Zu groß ist damit der Marktanteil, der die an der Ausstrahlung solcher Duelle beteiligten Sender lockt. Und zu groß ist deshalb der mediale Druck, der auf die beiden Hauptakteure der diesjährigen Bundestagswahl ausgeübt wird.

Die Nachricht des SPIEGEL, dass die Wahlkampfteams der beiden Kandidaten über Anzahl und Format von Fernsehdebatten verhandeln, ist daher wenig überraschend. Dass die Union dabei versucht, die Zahl der gemeinsamen Fernsehauftritte von Merkel und Steinmeier zu minimieren, verwundert auch nicht. Denn erstens knüpft dies an die Strategie des Wahljahrs 2005 an, in dem sich Merkel mit Hinweis auf Terminschwierigkeiten weiteren Live-Diskussionen mit Schröder entzog. Und zweitens ist Merkel jetzt Kanzlerin und hat nur wenig Interesse, der schwächelnden SPD eine Plattform „auf Augenhöhe“ zu bieten. Bemerkenswert ist aber der Vorstoß der Fernsehsender, vom bislang gewohnten Format abzuweichen und auf so genannten Town-Hall-Meetings – also ein Format, in dem Wähler den Kandidaten Fragen stellen dürfen – zu setzen.

Town-Hall-Meetings sind keine deutsche Erfindung. Sie kommen, wie das TV-Duell-Format, das seit der vorvergangenen Bundestagswahl hierzulande gepflegt wird, aus den Vereinigten Staaten. 1992 kam es dort erstmals im Rahmen eines Präsidentschaftswahlkampfes zu einem Town-Hall-Meeting. Bill Clinton, Bob Dole und Ross Perot standen damals 209 parteipolitisch ungebundenen Wählern Rede und Antwort. Town-Hall-Meetings sind also keine Veranstaltung, in deren Rahmen jeder beliebige Fragen stellen kann, sondern ausgewählte Bürger stellen den Kandidaten Fragen, die natürlich vorher von Dritten als einem solchen Ereignis angemessen bewertet wurden. Auch ist ein Town-Hall-Meeting keine basisdemokratische Diskussion zwischen Wählern und noch zu Wählenden. Vielmehr gelten auch hier strikte Regeln – etwa was die Zeit betrifft, in der die Kandidaten eine Antwort geben können. Town-Hall Meetings geben den Bürgern aber das Gefühl, sich – vertreten durch andere Bürger – direkt an die Kandidaten zu wenden. Solche Formate sind besondere Zuschauermagneten; häufig liegt die Sehbeteiligung hier deshalb über der „klassischer“ TV-Debatten.

Über die weiteren Konsequenzen, die sich aus unterschiedlichen Debattenformaten ergeben, ist allerdings nur wenig bekannt. Die wenigen empirischen Ergebnisse aus den USA weisen darauf hin, dass sich Kandidaten in Town-Hall-Meetings zurückhaltender präsentieren: Verbale Angriffe auf den politischen Gegner sind seltener, dafür steigt die Zahl der Aussagen über die eigenen Leistungen und Ziele. Als Ursache hierfür wird die Art der gestellten Fragen gesehen, die sich deutlich von journalistischen Fragen in traditionellen Duell-Formaten unterscheiden. Nachdem Wähler sensitiv auf negative campaigning reagieren, kann sich das Format damit zumindest indirekt auf Zuschauerurteile auswirken. Ob die direkten Effekte von Town-Hall-Formaten auf Wissen, Einstellungen und Verhalten stärker ausfallen als bei klassischen Aufeinandertreffen, ist aber nach wie vor eine ungeklärte Frage. Ein Wechsel zu einem neuen Debattenformat wäre zwar (vor allem für die TV-Sender) interessant und für die Zuschauer sicherlich attraktiv. Angesichts der unklaren Wirkung auf die Wahrnehmungen und Bewertungen der Kandidaten birgt er für die Wahlkämpfer aber ein zusätzliches Risiko. Man darf deshalb gespannt sein, wer sich am Ende der vom SPIEGEL berichteten Verhandlungen durchsetzen wird: Die Medien oder die Wahlkampfstäbe?

 

Der Fall Tauss – (noch) kein Problem für die SPD

Für Jörg Tauss (SPD) wird es eng: Nach wie vor gelingt es ihm offenbar nicht, die Ermittler davon zu überzeugen, dass die in seinem Besitz befindlichen Kinderpornos ausschließlich im Zusammenhang mit seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter stehen. Deshalb werden nun die Stimmen in den eigenen Reihen lauter, Tauss solle sein Mandat niederlegen sowie auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag verzichten.

Dass der Fall Tauss ein Problem für die SPD wird, erscheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Zum einen wird in den Medien keinerlei Verbindung zwischen ihm und seiner Partei hergestellt. Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, dass sich in der Bevölkerung die Wahrnehmung verbreitet, dass hier kein Einzelfall, sondern ein Problem von größerer Tragweite vorliegt. Zum anderen liegt das Thema noch unter der Schwelle der öffentlichen Problemwahrnehmung, da die Medien – genau aus dem genannten Grund – bislang nur punktuell über die Entwicklung in diesem Fall berichten.

Dennoch ist aus Sicht der Sozialdemokraten Vorsicht geboten: Empirische Untersuchungen zu früheren Skandalen zeigen, dass die Wähler sehr sensibel auf Fehltritte ihrer Volksvertreter reagieren. Zu spüren bekam dies etwa die Union im Zusammenhang mit dem Parteispendenskandal des Jahres 1999/2000: In Umfragen halbierte sich innerhalb von nur acht Wochen der Anteil derjenigen, die angaben, für CDU/CSU stimmen zu wollen, „wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl“ wäre. Tatsächlich trug die Affäre dann auch mit dazu bei, dass der schleswig-holsteinischen CDU der schon sicher geglaubte Sieg bei der Landtagswahl im Februar 2000 aus den Händen glitt.

Zwar gibt es im Unterschied zu anderen Ländern keine Erfahrungswerte, wie sich Sex-Skandale in der deutschen öffentlichen Meinung niederschlagen – skandalisiert werden hierzulande vorzugsweise der unangemessene Umgang mit Geld und Macht. Es ist aber anzunehmen, dass die Bürger Kinderpornos geschlossen ablehnen und sich die Bevölkerungsreaktionen deshalb massiv gegen die Akteure richten dürfte, die mit einem solchen Skandal in Verbindung gebracht werden. Sollten sich deshalb doch noch parteiinterne Querverbindungen zeigen (möglicherweise genügt es auch schon, wenn Tauss – ohne dass er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zweifelsfrei ausräumen kann – tatsächlich für den Bundestag kandidiert), könnte dies zu einer ernsten Belastung für die SPD im Superwahljahr 2009 werden.