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PS: SSW @ Wahlomat

Eine Besonderheit der Wahl am morgigen Sonntag in Schleswig-Holstein ist natürlich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) – nach eigenen Angaben die „politische Vertretung der dänischen Minderheit und der Friesen“. Als Vertretung einer Minderheit wird auch die für andere Parteien geltende (und bedrohliche) 5%-Hürde für den SSW nicht greifen; der SSW wird in jedem Fall Abgeordnete in den Kieler Landtag entsenden.

Angesichts der Knappheit der Umfragen könnte dem SSW die Rolle des Züngleins an der Waage zukommen. Wie aber steht der SSW zu den politischen Fragen und Problemen des Landes? Wie schon zuvor mit Blick auf die anderen Parteien im Norden des Landes kann man dazu auf den Wahlomaten und die dort präsentierten 38 Thesen zurückgreifen. Wie hat der SSW die 38 Thesen beantwortet? Und welches Maß an (Nicht-)Übereinstimmung ergibt sich daraus zu den anderen Parteien? Die folgende Abbildung zeigt die entsprechenden Indexwerte der Übereinstimmung (*):

Grad der Übereinstimmung zwischen SSW und anderen Parteien in Schleswig-Holstein

Die Ergebnisse zeigen, dass mit dem SSW noch eine Partei vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums positioniert ist. Die größte Übereinstimmung ergibt sich zur SPD, gefolgt von Linken und Grünen. Auch mit den Piraten stimmt der SSW in 60% der Fälle überein. Auf der anderen Seite überwiegen gegenüber der CDU die Unterschiede.

Zumindest aus inhaltlicher Sicht wäre also eine rot-grüne Regierung, die der SSW toleriert, gerechtfertigt. Ob das allerdings mit der Rolle des SSW als Vertretung der Minderheit in Einklang zu bringen ist (gerade auch im Falle eines Ergebnisses von weniger als 5%), wird sicher heftig diskutiert werden.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Schleswig-Holstein @ Wahl-o-mat

Wahlzeit, Wahl-o-mat-Zeit, dieses Mal in Schleswig-Holstein. Wieder wurden die örtlichen Parteien mit 38 Thesen konfrontiert, denen gegenüber sie sich positiv, negativ oder neutral positionieren konnten. Die Themenpalette ist weit, sie reicht von lokalen Themen („Die Feste ‚Fehmarnbeltquerung‘ soll gebaut werden“; „Das Kernkraftwerk Brokdorf soll sofort abgeschaltet werden“) bis zu bundespolitischen Themen („Schleswig-Holstein soll sich für ein NPD-Verbot einsetzen“, „Das Land Schleswig-Holstein soll sich für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einsetzen“). Und wie immer stelle ich mir die Frage: Wie haben eigentlich die Parteien in Schleswig-Holstein die Fragen beantwortet? Wer stimmt – alles in allem – mit wem am meisten überein? Wer kann mit wem überhaupt nicht?

Wie schon bei früheren Wahlen kann man sich nämlich die Antworten der Parteien auf die 38 Thesen genauer anschauen und daraus einen Indexwert (*) ableiten, der anzeigt, wer wem wie nahesteht. Tut man dies für SPD, CDU, Grüne, FDP, Linke und – auch hier führt kein Weg an ihnen vorbei – Piraten, so ergibt sich folgendes Bild:

Grad der Übereinstimmung zwischen Parteien in Schleswig-Holstein

Was zeigen die Ergebnisse? Nähern wir uns von den Rändern den Ergebnissen an: Die größte Übereinstimmung gibt es zwischen SPD und Linken, die geringste Übereinstimmung – und zwar mit Abstand – zwischen CDU und Linken. Insgesamt zeigen sich an der Spitze große Übereinstimmungen zwischen SPD, Grünen, Linken und Piraten, was wieder einmal zeigt: Die Piraten konkurrieren vor allem mit linken Parteien. Einzig die Kombination von CDU und FDP – an Platz 2 liegend – stört den Reigen dieser vier Parteien.

Auf der anderen Seite ist es insbesondere die CDU, die – mit der erwähnten Ausnahme der FDP – vergleichsweise große Abstände zu anderen Parteien aufweist. Dies gilt für das Paar CDU/SPD – die Übereinstimmung liegt unter 50% und dürfte eine große Koalition nicht gerade leicht machen. Auch Schwarz-Grün (und auch Gelb-Grün) weisen geringe Übereinstimmungsquoten auf – allem Sinnieren des FDP-Spitzenkandidaten über eine mögliche Jamaika-Koalition zum Trotz. Und schließlich zeigt sich wieder einmal: Zwischen CDU und Piraten – Peter Altmaier zum Trotz – funkt es noch nicht.

Schaut man sich die letzte Umfrage an, die für Schleswig-Holstein vorliegt, so wäre wohl tatsächlich eine Koalition aus Rot, Grün und Orange aus inhaltlicher (Wahl-o-mat-)Sicht die wahrscheinlichste Mehrheit. Aber ob Piraten ebenso wie Rot und Grün dafür bereit sind – fraglich. Aber warten wir doch erst einmal einfach den Wahlsonntag ab. Spannend wird er in jedem Fall.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Öder Twitter-Wahlkampf in NRW

Von unserem Autor in NRW, Lenz Jacobsen:

Erst eine Minute lief das TV-Duell von Hannelore Kraft und Norbert Röttgen am Montagabend, da verkündete die Junge Union in Nordrhein-Westfalen schon der ganzen Welt, wer in ihren Augen bereits gewonnen hatte: „Röttgen jetzt schon Sieger beim TV-Duell!“, twitterte sie um 20 Uhr und 16 Minuten, die Anmoderation war kaum beendet. Als Beobachter wusste man nicht, ob man gähnen oder schmunzeln sollte über so viel selbstgefällige Eigen-PR.

Der NRW-Wahlkampf findet, wie so ziemlich jeder andere Aspekt des öffentlichen Lebens, natürlich auch in den sozialen Medien statt. Doch besonders bei den Hauptereignissen wie eben dem TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten wird deutlich, dass viele Parteipolitiker die Kanäle falsch, unbedarft oder langweilig nutzen.

Wer unter dem etablierten Suchbegriff „nrw12“ oder „tvduell“ verfolgen wollte, wie die Twitter-Nutzer den Schlagabtausch von Kraft und Röttgen begleiteten, ging unter in einer Flut von Partei-Eigenlob und ermüdenden Grabenkämpfen. „Röttgen wird nervös und erzählt Unwahrheiten“, freute sich da der SPD-Blogger Christian Soeder, und der Landeschef der Jungen Union, Sven Volmering, meinte beobachtet zu haben: „Frau Kraft reagiert sehr schnippisch und genervt. Nicht souverän.“

So strickten beide Seiten an ihrer Version der Geschichte. Für den interessierten Zuschauer war das denkbar uninteressant. Zusätzlich twitterten die Lager im Sekundentakt Zitate aus dem Duell mit, versehen mit faden Beifallsbekundungen wie „Bravo!“ oder „BAM!“.

Dass im Internet theoretisch unendlich viel Platz ist, verleitet viele Politiker und Parteianhänger leider dazu, nicht darauf zu achten, ob ihre einzelnen Beiträge wirklich interessant sind. Die sozialen Medien werden so zu nur noch einem weiteren Kanal, durch den man seine Partei-PR pusten kann.

Das ist aus zwei Gründen bedauerlich: Zum einen gehen darin die Meinungsäußerungen „normaler“ Zuschauer ohne Parteiamt unter, die vielleicht ein repräsentativeres und spannenderes Stimmungsbild zum Duell hätten zeigen können. Zum anderen verstärken viele twitternde Politiker im Wahlkampf so eher den Frust der Bürger über politische Rituale und Formulierungsschablonen, anstatt ihn abzubauen. Dabei könnten genau dazu die sozialen Medien eigentlich ein Mittel sein.

 

Die vergessene Linkspartei

Von unserem Autor in NRW, Lenz Jacobsen:

„Klartext! Kein Gelaber! Ihre Fragen an die Politiker!“ rief der Sprecher, und dann kam Christian Lindner ins Bild, Spitzenkandidat der FDP für die Wahl in Nordrhein-Westfalen. Er war der Erste, der sich am gestrigen Montag im Regionalprogramm von RTL in der Reihe „10 Minuten Klartext“ den Fragen der Zuschauer stellen musste.

Oder besser gesagt: durfte. Denn genau solche Plattformen braucht Lindner im Wahlkampf, um Wähler für sich zu gewinnen. Im Laufe der Woche dürfen noch die Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grünen und auch den Piraten auf Sendung. Fünf werktägliche Sendungen, fünf Parteien: Das RTL-Programmschema und die politische Landschaft in NRW scheinen wunderbar zueinander zu passen.

Wäre da nicht noch eine Partei: Die Linke. Denn auch sie kämpft um Sitze im Düsseldorfer Parlament, doch ihre Spitzenkandidatin Katharina Schwabedissen darf nicht zu RTL. „Ach, wir haben uns daran ja schon fast gewöhnt“, sagt Angela Bankert aus der Pressestelle der Partei. Immer wieder wird die Linke bei solchen Parteien-Runden ignoriert, vergessen, ausgeschlossen.

So hat im „Hyperland“-Blog des ZDF kürzlich der Düsseldorfer Blogger Thomas Knüwer die Onlineaktivitäten der West-Parteien verglichen. Die Linken waren nicht dabei. Warum, will der Autor nicht öffentlich erklären.

Erstaunlich oft fallen die Linken durch die intransparenten Raster, die sich Redaktionen für ihre Berichterstattung ausdenken. So vergleicht die Rheinische Post in ihrer heutigen Ausgabe die Positionen der Parteien zur Finanzpolitik. Neben SPD, CDU und Grünen kommt auch die FDP zu Wort, die Linken aber nicht – obwohl beide Parteien bisher im Landtag vertreten waren, und beide um den Wiedereinzug kämpfen müssen.

„Manchmal gehen wir dem nach und beschweren uns“, sagt Linken-Sprecherin Bankert, „aber oft lassen wir es auch gut sein, denn sonst würden wir hier zu nichts anderem mehr kommen.“

Nun, im RTL-Fall, haben sie aber doch eine Pressemitteilung herausgegeben. Der Sender verstoße gegen „journalistische Spielregeln“, heißt es darin. RTL erlaube sich hier in einem wichtigen Format eine „Vorauswahl in der politischen Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger“, die völlig inakzeptabel sei.

Warum sie gerade die Linken nicht eingeladen haben, will der Sender auch auf Nachfrage von ZEIT ONLINE nicht erklären: „Die Auswahl der in den fünf Folgen dieser Wochenserie vertretenen Parteien erfolgt durch die Redaktion“, erklärt ein Sprecher nur.

Vielleicht hat die Redaktion des Privatsenders also gar nichts gegen die Linken, vielleicht findet sie sie einfach nur langweiliger als die anderen Parteien.

 

Weisbands Anti-Nazi-Brandbrief

Marina Weisband „reicht’s jetzt“. So ist ein neuer, lesenswerter Beitrag in ihrem Blog überschrieben. Es geht um den Umgang der Piratenpartei mit rechtsextremen Mitgliedern. Für eine hitzige Debatte hatte zuletzt der Berliner Landesvorsitzende Hartmut Semken gesorgt, der in seinem Blog für einen toleranten Umgang mit rechten Parteifreunden plädierte.

Weisband, die politische Geschäftsführerin und prominenteste weibliche Aktivistin der Piraten, fordert klare Regeln für den Umgang mit rechtsextremem Gedankengut. Sie verlangt, dass sich alle Piraten „ohne Relativierung“ von Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie – und „jedem weiteren Weltbild, das Menschengruppen ausgrenzt oder verachtet“ distanziert.

Die Piratenpartei basiere darauf, dass „alle Menschen gleichwertig sind“, bloggt Weisband. Würde man rechtsextremes Gedankengut weiter dulden, würden die wichtigen, anderen Ideen der Piraten „in lauter Müll und Dreck“ versinken.

Der Berliner Landeschef Semken räumte inzwischen ein, mit seinen Äußerungen einen Fehler begangen zu haben. Zurücktreten, wie das etliche Parteifreunde bereits fordern, will er indes nicht.

Sein Landesverband kündigte am heutigen Freitag an, den Umgang mit rechtsextremen Tendenzen in der Partei auf einer Konferenz Ende Mai diskutieren zu wollen. „Wir erkennen an, dass das Problem von Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft und in der Piratenpartei existiert – von Einzelfällen zu sprechen ist falsch“, teilte der Landesverband mit. Er widerspricht damit Parteichef Sebastian Nerz, der am Vortag behauptet hatte, die Piraten hätten „kein rechtes Problem“.

 

Lindners Lebenslügen im Wahlkampf

Die FDP setzt in ihrem NRW-Wahlkampf total auf die Strahlkraft ihres 33-jährigen Spitzenkandidaten Christian Lindner. Die Homepage, die Plakate, egal, wo man bei den Liberalen derzeit hinschaut, überall grinst einem Lindners Dreitagebart entgegen.

Dem ist schwer zu widerstehen. Der Charme von „Bambi“ (so Lindners Spitzname wegen der schönen Augen) wirkt sogar auf rot-grüne Alphadamen: Sylvia Löhrmann verbat sich zwar am Montag die „Flirtversuche“ Lindners, der an einer Ampel-Koalition interessiert ist. Dabei strahlte und kicherte sie aber äußerst geschmeichelt.

Programmatisch galt Lindner vor Kurzem noch als sozial-liberaler Hoffnungsträger – oder wie es seine Gegner formulierten: als „Säuselliberaler“. Nun, jedoch als Spitzenkandidat, hat Lindner dem Sozial- respektive Säuselliberalismus abgeschworen. Er wirbt mit klassischen wirtschaftsliberalen Themen. Der Standort soll verbessert, die Ladenöffnungszeiten liberalisiert, die Industrie besser unterstützt werden.

Und auch austeilen kann Lindner: Den rot-grünen Regierungsparteien wirft er vor, hemmungslos Schulden zu machen. Die Piraten will er nicht ernst nehmen, weil diese nicht mal ein ordentliches Programm hätten, sagte Lindner unlängst. Was die Nerds da machen, sei „vage und inakzeptabel“.

Allerdings kehren sich Lindners Vorwürfe nun gegen ihn selbst. Schließlich verfügt auch seine FDP über kein ordentliches Wahlprogramm. Inzwischen hat sie zwar einen fünfseitigen, sogenannten „Wahlaufruf“ ins Netz gestellt; aber das hätten die Piraten auch noch hinbekommen. Nicht mehr taufrisch, aber dennoch lesenswert ist dazu der Blog-Beitrag von Mario Sixtus.

Auch mit der Schuldenabbaukompetenz ist es bei der FDP nicht allzu weit her: Satte 800.000 Euro lässt sich die kleine Partei den Wahlkampf an Rhein und Ruhr kosten, teurer als bei Linken und Piraten zusammen. Um diesen Wahlkampf zu finanzieren, musste die FDP einen Kredit aufnehmen, wie ihr Parteisprecher einräumte. Irgendwie müssen die schönen Hochglanzposter ja bezahlt werden.

 

Die Angst der Grünen vor den Piraten

Von unserem Autor in NRW, Malte Buhse:

Claudia Roth lässt sich eigentlich nicht so schnell zum Schweigen bringen. Die Bundesvorsitzende der Grünen, bekennende Schnellrednerin und rhetorische Allzweckwaffe ihrer Partei liebt die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und ist daher in Talkshows seit Jahren gern gesehener Gast.

Doch plötzlich will Roth nicht mehr reden: Eine für morgen geplante Podiumsdiskussion mit dem Spitzenkandidaten der Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen, Joachim Paul, sagte sie kurzfristig ab.

Grund sind die neusten Umfragezahlen, die die Piraten im bevölkerungsreichsten Bundesland erstmals vor den Grünen sehen. „Die Rahmenbedingungen haben sich durch den Höhenflug der Piraten verändert“, sagte der Pressesprecher von Claudia Roth dem Handelsblatt, das die Podiumsdiskussion veranstaltet.

Plötzlich nur noch vierte Kraft, aus dem Stand überholt von den politischen Frischlingen? Die Grünen sehen ihre Felle davon schwimmen, in einem für sie schwierigen Wahlkampf: Fukushima ist vorbei, jung und anders sind jetzt die Piraten. Die Grünen schalten daher auf stur. Statt inhaltlicher Auseinandersetzung wollen sie das Piraten-Problem aussitzen.

Doch Roths Rückzieher ist nicht nur mutlos – er geht auch nach hinten los. Die Angst der Grünen lässt die Piraten noch größer erscheinen. Wer eine Regierungspartei derart in Hektik versetzt, wird für Protestwähler erst recht interessant. Außerdem verpasst Roth eine gute Gelegenheit die Piraten zu entzaubern. Denn der nordrhein-westfälische Oberpirat Joachim Paul mag ein guter Redner sein, im politischen Geschäft ist er ein absoluter Neuling.

Und das frisch zusammengezimmerte Wahlprogramm der Piratenpartei bietet inhaltlich viele Angriffspunkte mit den teuren Forderungen nach kostenlosem Nahverkehr und geschenkten Laptops für jeden Schüler. Wo das Geld für all die Wohltaten herkommen soll, bleibt vage bis völlig unklar.

Auch sollte es auf dem Podium um die Energiewende, Umweltschutz und Bildung gehen – alles grüne Kernkompetenzen. Die Talkshow-gestählte Claudia Roth hätte für die Grünen viel Terrain zurückerobern können. Auch mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr, wenn die Piraten die Grünen erneut ärgern werden.

Was noch viel wichtiger ist: In der Diskussion mit den Piraten hätten die Grünen die Wähler kennen lernen können, die ihnen gerade abhanden kommen. Denn eines ist klar: Einmal im Landtag lassen sich die Piraten nur noch schwer aussitzen.

Update:

Claudia Roth hat auf ihrer Internetseite inzwischen eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie der Aussage widerspricht, den Piraten aus dem Weg gehen zu wollen. Sie hätte die Podiumsdiskussion in Düsseldorf abgesagt, weil sie am selben Tag an einem Doppel-Interview mit dem Bundesvorsitzenenden der Piraten, Sebastian Nerz, teilnehmen will. Die Grünen hätten als Ersatz für Roth die Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke nach Düsseldorf schicken wollen, sagt Roths Pressesprecher Jens Althoff. Das lehnte das Handelsblatt ab, weil Lemke „weitgehend unbekannt sei“, wie eine Sprecherin des Verlags sagt. Die Grünen sind empört: „Es ist aus unserer Sicht schlicht unverschämt, wenn das Handelsblatt meint, dass weder der grüne Landesvorsitzende aus NRW noch die Politische Geschäftsführerin keine angemessene Diskussionspartner für den Spitzenkandidaten der Piraten seien“.

 

Hannelore Kraft und die traurige Dogge

Von unserem Autor in NRW, Lenz Jacobsen:

Etwas schief sitzt Hannelore Kraft auf der Lehne eines roten Sessels, im Hintergrund kniet eine ältere Frau im Engelskostüm auf einem undefinierbaren braun-grauen Boden, betend. Das ganze Bild wirkt merkwürdig verzogen, die Perspektive stimmt hinten und vorne nicht. Darüber steht in bemüht lockerem Schrifttyp: „Wenn beten alleine nicht mehr hilft…“ Und weiter unten: „Hannelore Kraft. Für ein gerechtes NRW.“

Das ist einer von 306 Plakatentwürfen, die SPD-Anhänger sich für den anstehenden Wahlkampf in Nordrhein Westfalen ausgedacht haben. Ihre Partei hatte sie dazu aufgerufen, eines der Motive soll tausendfach im Land plakatiert werden. Denn, wie Generalsekretär Michael Groschek im kumpelhaften Erklärvideo zur Aktion sagt: „Gut gemachte Plakate sind das Salz in der Wahlkampf-Suppe.“

Ob diese Aktion die „Wahlkampf-Suppe“ der SPD aber wirklich leckerer machen wird, ist mehr als fraglich. Denn viele der Vorschläge sind entweder fade oder unfreiwillig komisch. Wie eben jenes merkwürdige und schlecht zusammengebastelte Engels-Motiv. Oder wie ein weiterer, minimalistischer Entwurf, der leicht vorwurfsvoll fordert: „Einfach mal was Gutes tun: Wähl SPD!

Es geht noch skuriler: Manche SPD-Fans wollen wohl am liebsten Bilder aus ihrer privaten Fotosammlung auf Tausenden Plakaten im Bundesland sehen – egal, wie gut diese Fotos sind, und ob sie irgendeinen Zusammenhang mit der Partei oder überhaupt mit Politik haben. Da steht dann ein Anzugträger mit orangenem Schutzhelm vor mysteriösen riesigen Stein-Röhren (oder ist es Beton? Sind es überhaupt Röhren?) und lächelt etwas schief in die Kamera. Das vielleicht irritierendste Motiv von allen: Eine Bulldogge mit gesenktem Kopf, von hinten fotografiert.

In der Düsseldorfer SPD-Zentrale wird man froh sein, am Ende wohl keines dieser Motive wirklich drucken zu müssen. Denn am heutigen Freitag wählt eine Jury der Partei die fünf besten Vorschläge aus, und erst unter diesen fünf gibt es dann am Wochenende eine offene Abstimmung im Internet.

Auf die Gewinnerin oder den Gewinner wartet neben der landesweiten Plakatierung auch ein persönlicher Sonderpreis: Ein Abendessen mit Hannelore Kraft.

Vielleicht hilft beten ja doch.

 

Regieren mit wechselnden Mehrheiten – ein erfolgreiches Düsseldorfer Experiment?

von Jochen Müller und Christian Stecker

Im beginnenden Wahlkampfgetöse bezeichnete CDU-Landeschef Norbert Röttgen die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW unter Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann als „krachend“ gescheitertes Experiment. In der Tat endet das Düsseldorfer Experiment, da Rot-Grün (wenn auch nur um eine Stimme) zuletzt eine Grundbedingung des Regierens fehlte: eine parlamentarische Mehrheit für den eigenen Haushalt.

Blickt man jedoch auf die übrige Regierungszeit zurück, kann Rot-Grün eine durchaus erfolgreiche Bilanz vorweisen: Von den 68 Gesetzen, die die Regierung in den Düsseldorfer Landtag einbrachte (darunter zehn gemeinsam mit Oppositionsfraktionen), erreichten über die Hälfte eine Mehrheit. Nur das Haushaltsgesetz 2012 scheiterte – an der Ablehnung eines Einzelplanes. Weitere elf Gesetze können durch Auflösung des Landtages nicht weiter beraten werden, zwei wurden zurückgezogen.

Abbildung: Gesetzgebungskoalitionen mit der Rot-Grünen Minderheitsregierung im Düsseldorfer Landtag

(schwarz=CDU, gelb=FDP, lila=Linkspartei)

Wie kamen diese Gesetze zustande, obwohl Rot-Grün eine Stimme zur absoluten Mehrheit fehlte? Die Abbildung zeigt einen wichtigen Grund: Die im rot-grünen Koalitionsvertrag ausgesprochene Einladung an alle politischen Kräfte wurde von allen Fraktionen in unterschiedlichem Maße angenommen. Kein fester Tolerierungspartner sondern „Patchwork-Koalitionen“ sicherten die Mehrheiten für das Gesetzgebungsprogramm. Erleichtert wurde dies durch den Umstand, dass sich nur eine Oppositionsfraktion im Düsseldorfer Landtag enthalten musste, um Rot-Grün eine einfache Mehrheit zu verschaffen. Das Balkendiagramm fasst die Zusammensetzung und unterschiedlichen Häufigkeiten dieser „Patchwork-Koalitionen“ zusammen. Zunächst beeindruckt, dass 25 der verabschiedeten Entwürfe, also 40% aller Gesetze, von einer Allparteienkoalition aus SPD, Grünen, CDU, Linkspartei und FDP unterstützt wurden. Trotz aller Gegensätze gelang es den Fraktionen also in vielen – wenn auch vorwiegend technischen Entscheidungen, einen breiten Konsens zu finden. Die Linkspartei war bei weiteren 20 Gesetzen durch Enthaltung oder Zustimmung alleiniger Unterstützer der rot-grünen Minderheitsregierung – unter anderem bei der Abschaffung der Studiengebühren. Viermal konnten Kraft und Löhrmann allein auf die CDU bauen, darunter beim Kompromiss zur Fortführung eines mehrgliedrigen Schulsystems in Nordrhein-Westfalen. Eine „Gesetzgebungs-Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP leuchtete nur ein einziges Mal und zwar beim Gesetz zur kommunalen Haushaltskonsolidierung. Allerdings unterstützte die FDP die Landesregierung insgesamt weitere neun Mal, fünf Mal gemeinsam mit der CDU und vier Mal in seltener Eintracht mit der Linkspartei.

Bei der Suche nach inhaltlichen Kompromissen und flexiblen Mehrheiten erwies sich das Düsseldorfer Experiment also als durchaus erfolgreich. Zu diesem Erfolg haben sowohl Oppositions- als auch Regierungsfraktionen beigetragen – und auch davon profitiert. Anstatt wie bei einer Mehrheitsregierung üblich für die Dauer einer Legislaturperiode von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen zu sein, konnten die Oppositionsfraktionen von Fall zu Fall inhaltliche Zugeständnisse gegen ihre Unterstützung tauschen. Durch diesen Tausch – Alltag unter skandinavischen Minderheitsregierungen und in Deutschland zu Unrecht verpönt – dürfte die Landespolitik bei einigen Gesetzen auch näher an die Interessen der Wähler von Linkspartei sowie CDU und FDP gerückt sein.

Nach den jüngsten Umfragen wird Rot-Grün im neugewählten Landtag über eine satte parlamentarische Mehrheit verfügen. Dann wird die Gesetzgebungsarbeit in NRW vermutlich in das altbekannte Spiel von Regierung gegen Opposition zurückfallen. Gut möglich also, dass sich die versammelte Opposition mit der Ablehnung des Haushalts 2012 für mögliche drei weitere Jahre um jeglichen nennenswerten Einfluss auf die Landespolitik in NRW gebracht hat.

Christian Stecker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft der Universität Potsdam.

Jochen Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim.

Zum Weiterlesen über Minderheitsregierungen sowie Regierungs- und Gesetzgebungskoalitionen:

Bale, Tim und Torbjörn Bergman. 2006. Captives no longer, but servants still? Contract Parliamentarism and the new minority governance in Sweden and New Zealand. Government and Opposition 41: 422-449.
Ganghof, Steffen. 2010. Review Article: Democratic Inclusiveness: A Reinterpretation of Lijphart’s Patterns of Democracy. British Journal of Political Science 40: 679-692

 

Parteien, Mitglieder, Wähler: Saarland

Fast ist der Punkt erreicht, an dem zur Landtagswahl im Saarland vom vergangenen Sonntag alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Aber eine kleine Anmerkung zu dieser Wahl sei mir hier doch noch erlaubt, weil sie meines Erachtens sehr deutlich macht, was dort mit Blick auf die Parteien – und inbesondere die Piraten einerseits, die FDP andererseits – passiert ist.

Die Abbildung setzt die Zahl der Stimmen, die die einzelnen Parteien am Sonntag erhalten haben, ins Verhältnis zur jeweiligen Mitgliederzahl dieser Parteien. (*) Angenommen wird dabei, dass alle Mitglieder einer Partei diese Partei auch tatsächlich gewählt haben – was nicht allzu kühn erscheint.

Besonders die Extreme stechen dabei in bemerkenswerter Weise hervor: Auf der einen Seite stehen die Piraten, die trotz geringer (wenn auch stark wachsender) Mitgliederzahl und damit einhergehend geringer Verankerung in der Gesellschaft eine unglaublich hohe Stimmenanzahl erreicht haben: Rund 400 Mitgliedern stehen 35.000 Stimmen gegenüber, der Anteil der Mitglieder an den Stimmen liegt demnach bei gerade einmal etwas über einem Prozent. Das zeigt deutlich: Die Piraten treffen derzeit eine gesellschaftliche Stimmung, die sie von einem Erfolg zum nächsten zu führen scheint.

Dem steht am anderen Ende die FDP gegenüber. Hier gilt: Auf ein Mitglied kommen nur noch zwei zusätzliche Wähler – über ihre Mitglieder hinaus ist es der Partei offenkundig kaum noch gelungen, Stimmen anzuziehen. Wenn die Wählerschaft einer Partei zu rund einem Drittel aus gebundenen Mitgliedern besteht, kann jedenfalls von einem gesellschaftlichen Rückhalt jenseits der eigenen Partei kaum noch die Rede sein…

(*) Die Mitgliederzahlen wurden aus verschiedenen Quellen zusammengestellt, u.a. den einschlägigen Wikipedia-Seiten zu den Parteien im Saarland, der aktuellen Medienberichterstattung (im Falle der Piraten) sowie der Zusammenstellung von Oskar Niedermayer zu Parteimitgliedern in Deutschland.