Das einzig wirklich dämliche an der neu gegründeten Piraten-Untergruppe ist ihr Name: „Frankfurter Kollegium“ – das klingt in seiner altdeutschen Gestelztheit wie eine Mischung aus Burschenschaft und Adorno-Fanclub.
Sonst aber gibt es gegen den Verein, der sich als sozialliberaler Flügel in der Partei versteht, wenig zu sagen. Die Piraten wollen eine Vollpartei sein, das haben sie auf ihrem jüngsten Parteitag eindrücklich gezeigt, und in einer solchen geht es nicht ohne Flügel. Es ist das Natürlichste in der Parteienwelt, dass ihre Mitglieder miteinander um den Kurs ringen – wenn sie groß genug sind und ihre Positionen entsprechend vielfältig. Was ist schlimm daran, wenn sie sich dafür organisieren?
Nun aber schlägt dem neu gegründeten Flügel Empörung aus der eigenen Partei entgegen. Unter anderem gibt es bereits ein kritisches „Watchblog“ voller Verschwörungstheorien und mehrere Satire-Seiten, Twitter ist voll von wütenden Wortmeldungen. Das ist bestenfalls unterhaltsam, meist aber allzu reflexhaft und naiv. Denn diese Wut wird getragen von Piraten, für die es nur eine Maxime gibt: bloß nicht werden wie die anderen Parteien. Bloß keine „herkömmlichen“ Machtkämpfe und Grüppchenbildungen.
Dabei gibt es diese Kämpfe, die Grüppchen und Flügel auch bei den Piraten längst. Das zeigt jeder Parteitag und besonders beispielhaft der erbitterte Streit um das Bedingungslose Grundeinkommen. Diese Netzwerke organisieren Mehrheiten, bestimmen Debatten, ringen um Posten. Aber sie tun all das völlig im Verborgenen, weil es sie bei den ach so basisdemokratischen Piraten ja offiziell eigentlich nicht geben darf. Das ist das Gegenteil der Transparenz, die die Piraten im Brustton der Avantgarde von der Restgesellschaft einfordern.
Das „Kollegium“ ändert das. Sein Mitgründer, der stellvertretende Bundesvorsitzende Sebastian Nerz, hat deshalb völlig Recht, wenn er twittert: „Wir arbeiten damit – ganz bewusst – um Welten transparenter als große Teile der Netzwerke in der Partei.“
Einige Piraten haben nun Angst, dass nun bald eine sozialliberale Elite die Partei beherrschen könnte. Schließlich sind viel namhafte Funktionäre aus Bundes- und Landesvorständen und von Wahllisten Mitglied im Kollegium. Doch anstatt zu jammern, sollten die Kritiker dem etwas entgegensetzen: Am besten gute Argumente und eigene Themen.
Noch entscheidet die Gesamtheit der (auf Parteitagen anwesenden) Mitglieder über Programm und Posten. Dort können die Piraten die Anträge des Kollegiums (hoffentlich aus inhaltlichen Gründen) ganz einfach durchfallen lassen und ihre Vorreiter aus den Ämtern wählen. Die Frankfurter Flügel-Gründung schadet der parteiinternen Demokratie nicht. Wenn sie aber dazu beitragen würde, das naiv-romantische Politikverständnis und Selbstbild vieler Piraten zurechtzurücken, hätte es sich schon gelohnt.