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Jamaika an der Saar?

Das Aufkommen der Linkspartei hat den Grünen im Saarland (wie auch anderswo) eine interessante strategische Option geboten und es scheint, als wolle die Partei die Gelegenheit nutzen. Durch ihre Zurückhaltung in Koalitionsfragen und eine deutliche Emanzipation von der SPD konnten sich die Grünen in letzter Zeit zunehmend als unabhängige Größe zwischen CDU und FDP einerseits und SPD und Linkspartei andererseits positionieren.

Man könnte also sagen, dass die Grünen auf dem Weg sind, die neue FDP zu werden. Schon vor einiger Zeit haben die Grünen die FDP als „Partei der Besserverdiener“ abgelöst und sind also für entsprechende Wählergruppen attraktiv. Neu ist nun die strategische Komponente: Die Grünen haben die Position im Parteiengefüge eingenommen, die für die FDP (insbesondere auf Bundesebene) früher charakteristisch war. Sie befinden sich zwischen dem bürgerlichen und dem linken Lager, die im Saarland beide mit jeweils ca. 45% der Stimmen rechnen können und somit beide sind für eine Regierungsbildung auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sind.

Die Grünen richten ihren Wahlkampf folgerichtig auf die Verhinderung einer Großen Koalition aus – eine populäre Forderung, die zugleich keine Festlegung der Partei verlangt (auf Nachfrage wird vom Spitzenkandidaten der Grünen die rechnerisch kaum mögliche Ampelkoalition als Präferenz genannt). Natürlich wird die Frage, welchem Bündnis man sich anschließen möchte, nach der Wahl unvermeidlich sein. Sicher scheint aber schon heute, dass die Entscheidung darüber nicht aus dem Bauch heraus getroffen wird, sondern vom strategischen Kalkül der Partei geprägt sein wird. Strategieentscheidungen wiederum sind immer an den Ergebnissen orientiert, die man erreichen möchte. Für eine erste vorsichtige Einschätzung des Verhaltens der saarländischen Grünen nach der Wahl lohnt daher ein Blick auf ihre vermeintlichen Ziele.

Die Politikwissenschaft schreibt Parteien drei zentrale Ziele zu: das Gewinnen möglichst vieler Stimmen, das Besetzen möglichst vieler Ämter und das Durchsetzen möglichst vieler Punkte des Parteiprogramms. Der Erfolg oder Misserfolg bezüglich der errungenen Stimmen steht am Wahltag fest, wichtige Faktoren für die Entscheidung in der Koalitionsfrage sind somit vor allem die zu besetzenden Ämter und die politischen Vorhaben, die man verwirklichen möchte.

Bezüglich der politischen Inhalte fällt eine Einschätzung schwer: Die Grünen kritisieren zwar Seite an Seite mit SPD und Linkspartei die CDU-Regierung, beispielsweise in der Bildungspolitik, andererseits hat aber ein anderes Herzensthema, die Energiepolitik, zu Verstimmungen mit der SPD geführt. Hier scheinen die Grünen dem amtierenden CDU-Umweltminister näher zu stehen als dem in die Kritik geratenen Schattenumweltminister der SPD.

Für die Frage der Ämtervergabe scheint die Jamaika-Option attraktiver zu sein als das Linksbündnis mit SPD und Linkspartei. Eine Betrachtung der bisherigen Dreierbündnisse auf Landesebene (die „Ampeln“ in Brandenburg und Bremen Anfang der 90er Jahre) zeigt, dass in solchen Koalitionen die beiden kleineren Parteien am Kabinettstisch leicht überproportional vertreten waren (siehe Graphik). Lediglich die Bremer Grünen stellten 1991 in der Koalition prozentual gesehen weniger Senatoren als Abgeordnete, allerdings wurde 1993 ein FDP-Senator durch ein Mitglied der Grünen ersetzt.

Ein Bündnis zwischen zwei größeren und einer kleineren Partei gab es bisher noch nicht, es darf aber vermutet werden, dass die Grünen in einem solchen Szenario nicht nur bezüglich der Quantität sondern vor allem auch bezüglich der Qualität der besetzten Ämter die klare Nummer drei sein würden. Beispielsweise würde das wichtige Amt des/der stellvertretenden Ministerpräsident/in, das in einem Jamaika-Bündnis im Bereich des Möglichen liegt, in einem Linksbündnis in weite Ferne rücken.

Die politischen Verhältnisse im Saarland sind natürlich nicht auf die Bundesebene übertragbar. Allerdings könnte sich das Land nach der Wahl am 30. August hervorragend dafür eignen, koalitionspolitische Testballons steigen zu lassen…

 

Der Wahlkampf der CDU – gegen alle Regeln der Wissenschaft

Die Wahlkampfforschung ist eine noch recht junge aber boomende Teildisziplin der empirischen Sozialforschung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur theoretische Erkenntnisse, sondern auch praktische Hinweise zur Kampagnenführung liefert. So hat die Forschung am Beispiel des „war room“ von Bill Clinton 1992 eine annähernd optimale Wahlkampfgestaltung identifizieren können, und in der Folge waren auch die Wahlkämpfe Tony Blairs 1997 unter dem Thema „New Labour“ und die „Kampa“ Gerhard Schröders 1998 an diesem Clinton’schen Modell ausgerichtet. Diese Entwicklung ist sowohl ein Erfolg der Praktiken des Clinton-Teams, die zu hervorragenden Resultaten geführt haben, als auch ein Erfolg der Wissenschaft, die bei der Übertragung der Clinton-Kampagne auf britische bzw. deutsche Verhältnisse eine wichtige Rolle spielte.

Auf Grundlage dieser Kampagnen hat die Forschung mittlerweile „best practices“ ausgemacht, mit Hilfe derer sie vermeintlich auch Antworten auf die Frage nach dem gelungenen Wahlkampf geben konnte. Das jüngste (und zurzeit fast überstrapazierte) Beispiel einer Kampagne, die alle zentralen Erkenntnisse berücksichtigt und sogar weiterentwickelt hat, ist zweifellos der Wahlkampf Barack Obamas. Ganz generell lauten die Regeln für einen gelungenen Wahlkampf in etwa so: Man sollte den Wahlkampf möglichst früh beginnen; man sollte sich zu bestimmten Fragen eine klare Themenhoheit erkämpfen und diese Themen auch personell besetzen; man sollte die wichtigsten Leitmedien („BILD, BamS und Glotze“) auf seine Seite ziehen; und man sollte strategisch wichtige Wählergruppen ausmachen und sie gezielt ansprechen.

Im deutschen Wahlkampf 2009 zeigt sich nun jedoch ein besonderes Phänomen: Die CDU hat gegen alle diese Regeln mehr oder weniger klar „verstoßen“. Sie führt einen Wahlkampf, wie er in diesem Blog schon einmal diskutiert wurde: kurz, knapp, Merkel. Man spürt die Kampagne kaum, hat nicht den Eindruck, dass sie schon wirklich begonnen hat. Und die im Wahlkampf medial präsenten Personen sind ausschließlich etablierte Minister und nicht etwa Wahlkämpfer, die neue Themen erobern sollen. Anders ausgedrückt: Man weiß durch Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg um die familien- und wirtschaftspolitischen und Vorstellungen der Union – wer aber würde nach einem Wahlsieg die Finanz-, die Umwelt- oder die Außenpolitik der kommenden vier Jahre gestalten?

Die Auflösung dieses Paradoxons liegt in der Ausgangslage der Bundestagswahl 2009. Die Union ist unbestritten die stärkste politische Kraft und sie stellt die Bundeskanzlerin. Dadurch kann sie sich als Partei präsentieren, die über den Dingen steht und sich nicht ins Wahlkampfgetöse stürzen muss. Denn Wahlkämpfe haben dann eine entscheidende Bedeutung und ein zentrales Gewicht, wenn die Wahl umkämpft ist. Könnte die SPD aber im August noch ein paar Prozentpunkte aufholen, so könnte sie damit die Union im September vor Fragen stellen, die diese bisher lieber nicht beantworten möchte.

 

Die „Arbeit von morgen“ des Frank-Walter Steinmeier oder: das zweite Wahlprogramm der SPD

Der Wahlkampf läuft für die Sozialdemokraten alles andere als gut. Eine Aufholkampagne ist bei weitem nicht in Sicht – noch immer liegt die SPD in Umfragen bei mitunter deutlich unter 25% der Stimmen. Thomas Gschwend sagt anhand seines Prognosemodells einen Stimmenanteil für Union und FDP von 50,6% und damit eine – wenn man das auf die voraussichtliche Mandatsverteilung im Bundestag umrechnet – komfortable Mehrheit für das bürgerliche Lager voraus.

Die Ursachen für die Schwäche der Sozialdemokraten sind vielfältig. Zum einen hat die SPD schon seit der Implementierung der wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen während der Legislaturperiode von 2002 bis 2005 das Problem, ihre Kernwählerschaft – gewerkschaftlich gebundene Arbeiter und Arbeitnehmer – für sich zu mobilisieren. In diesem Bundestagswahlkampf kommt noch erschwerend hinzu, dass es bei weitem nicht die SPD, sondern die Union ist, der – nach den jüngsten Zahlen von infratest-dimap – 48% der Wähler die größte Wirtschaftskompetenz zusprechen. Den Sozialdemokraten schreiben dies lediglich 12% der Befragten zu und damit genau so viele, wie der FDP die größte Kompetenz in ökonomischen Fragen zugestehen. Stark rückläufig ist auch der Anteil der Befragten, die von allen Parteien am ehesten der SPD zutrauen, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. In dieser für die Sozialdemokraten entscheidenden Frage sind im Juli 2009 nur noch 31% der Befragten der Auffassung, dass die SPD die soziale Gerechtigkeitspartei ist. Im September 1998, 2002 und 2005 und damit unmittelbar vor Bundestagswahlen, die die SPD gewonnen bzw. nur knapp verloren hat, lag der Anteil bei mehr als 50% (1998 und 2002) sowie bei 41% im Jahr 2005. Schließlich macht der SPD ihr Kanzlerkandidat zu schaffen: Er liegt bei der Frage nach dem gewünschten künftigen Bundeskanzler so weit hinter Angela Merkel, dass man sich fragen muss, ob die Herausstellung von Frank-Walter Steinmeier als Spitzenkandidat dem SPD-Wahlkampf insgesamt nicht eher schadet als nützt.

Grund genug also für einen Befreiungsschlag, nachdem die Präsentation potentieller Minister in Form des „Teams Steinmeier“ nicht nur wegen der Debatte um Ulla Schmidts Dienstwagen, sondern auch aufgrund der eher blassen Mitglieder des „Schattenkabinetts“ in der Öffentlichkeit eher verpufft ist. Die neueste Innovation des SPD-Wahlkampfs ist die Veröffentlichung eines zweiten Wahlprogramms, das offenbar vor allem vom Kanzlerkandidaten selbst verfasst wurde und den Versuch darstellt, das seitens der Wählerschaft bestehende Bild einer mangelnden Wirtschaftskompetenz der SPD zu revidieren. Versucht sich Steinmeier mit neuen Politikzielen vom im Juni beschlossenen Wahlmanifest der Partei abzugrenzen, in dem er nun andere inhaltliche Positionen einnimmt? Dies scheint so gut wie nicht der Fall zu sein, wenn man die Positionen des SPD-Wahlprogramms mit denen des Steinmeier-Programms, das in der unten stehenden Abbildung mit „FWS“ gekennzeichnet ist, abgleicht (die Positionen der Parteien auf den beiden Politikfeldern Wirtschaft und Gesellschaft wurden – wie in früheren Beiträgen dieses Blogs – mit dem „wordscore“-Verfahren ermittelt). Die Abbildung macht deutlich, dass sich Frank-Walter Steinmeiers Programm nur auf der wirtschaftspolitischen Links-Rechts-Dimension in signifikanter Weise und dann auch nur in geringer Form von der Position des eigentlichen SPD-Wahlprogramms unterscheidet. Es liegt ein wenig mehr in der Mitte der sozioökonomischen Links-Rechts-Dimension und damit näher am Manifest der Unionsparteien. Große inhaltliche Unterschiede zwischen der Partei und ihrem Kandidaten bzw. eine Veränderung der inhaltlichen Aussagen der SPD sind also zwischen Juni und Anfang August nicht festzustellen. Dennoch hat die Veröffentlichung des Programms zumindest für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Ob diese aber den Sozialdemokraten letztendlich von Nutzen ist erscheint eher fraglich: Das Versprechen, vier Millionen neue Jobs zu schaffen, ist – wenn man sich die Reaktionen der Medien anschaut – bestenfalls zwiespältig aufgenommen worden. Es bleibt abzuwarten, mit welchen weiteren Mitteln die SPD versuchen wird, die Themenhoheit in diesem Bundestagswahlkampf zurück zu gewinnen.

 

Adoptionsrecht für alle Eltern – oder: die SPD auf der Suche nach verlorengegangener Themenhoheit

Familienpolitik, Frauenförderung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren traditionell Themen, die die SPD für sich beansprucht hat und hier sowohl inhaltlich als auch medial betrachtet die Themenhoheit genoß. Bis Ursula von der Leyen in den bundespolitischen Ring stieg. In der Wahlkampfforschung wird sie als das Paradebeispiel für die gelungene Kombination von Person und Themen angesehen. Sie vermittelt hohe Expertise und Glaubwürdigkeit. Ihr ist es zu verdanken, dass die CDU das traditionell rot besetzte Thema für sich gewinnen konnte.Dies macht auch eine Umfrage von infratest dimap aus dem Jahr 2008 deutlich: 37% der Befragten trauen der CDU zu eine gute Familienpolitik zu machen, während nur 26% weiterhin der SPD vertrauen.

Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen, mühsamen Versuche der SPD zu sehen, nun auch für Regenbogenfamilien das Adoptionsrecht zuzulassen. Die SPD beruft sich hierbei auf eine wissenschaftliche Studie des Bayerischen Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg und des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München (näheres hierzu hier) aus der hervorgeht, dass Kinder in Regenbogenfamilien keine Nachteile haben. Bereits vor drei Wochen sahen wir den ersten krampfhaften Versuch der SPD, das Familienthema zurückzuerobern: die Super-Nanny Katharina Saalfrank stieg in den SPD-Wahlkampf ein. Frei nach dem Motto „get them where they are“ werden Wählerinnen und Wähler dort abgeholt, wo sie sich befinden. Dennoch war der Nachhall durchaus zweischneidig, denn die Grenze zwischen Infotainment und seriöser Politik (und seriösem Wahlkampf) ist eben fließend.
Mit dem Aufruf von Brigitte Zypries, das Adoptionsrecht auch für eingetragene Lebenspartnerschaften zu öffnen, versucht die SPD erneut, das Politikfeld Familie zu besetzen und damit Wählerstimmen zurück zu gewinnen. Zweifelsohne, dies ist ein wichtiges Thema – und sollte auch durchgesetzt werden – aber mit Verlaub gesagt ist damit allein kein Wahlkampf zu machen und schon gar nicht zu gewinnen. Es sind andere Themen, die die Wahl entscheiden werden – und hier sollte sich die SPD schleunigst dransetzen.

 

Prognosen sind Wissenschaft – aber ohne Umfragedaten geht es wohl nicht

Letzte Woche hat Thomas Gschwend in diesem Blog eine vorläufige Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl 2009 abgegeben. Gemeinsam mit seinem Kollegen Helmut Norpoth wagt Gschwend zum dritten Mal in Folge eine solche Prognose. Sie basiert auf einem wissenschaftlichen Prognosemodell, das einsehbar und dessen Ergebnis damit für jeden Außenstehenden nachvollziehbar ist.

Modelle wie dieses und der Mut zu einer Publikation vor der Wahl sollten uneingeschränkt gewürdigt werden. Zu Wissenschaft gehört es nicht nur, ex post zu erklären, warum eine Wahl wie ausgegangen ist, sondern auch, seriöse Prognosen abzugeben – in der Wirtschaftswissenschaft (siehe zum Beispiel die Prognosen der „Wirtschaftsweisen“) ist dies gang und gäbe. Prognosen können, und das ist das Risiko dabei, von der Realität (der Wahl selbst) gestützt oder widerlegt werden. In den Jahren 2002 und 2005 lagen die Wahlforscher richtig, und das lange vor und teilweise in Widerspruch zu den Ergebnissen und Aussagen führender Umfrageinstitute und deren „Pollster“. Dass diese zunächst spöttelten, verwundert nicht. Doch auch aus der Profession erhielten die Forscher wenig Beifall: öffenlichkeitswirksame Auftritte sind vielen Kollegen erst einmal suspekt, und insgeheim hofften wahrscheinlich nicht nur die Umfrageinstitute auf ein Scheitern des Modells. Quod esset demonstrandum!

Viel spricht dafür, dass Norpoth und Gschwend auch 2009 Recht behalten werden, auch wenn ein Erfolg dieses Mal weit weniger spektakulär wäre. Die Wiederwahl Schröders 2002 und die Große Koalition 2005 vorherzusagen, waren mutig, denn die (unreflektierten) Ergebnisse auf die hypothetische Wahlabsichtsfrage ließen einen Erfolg von CDU/CSU und FDP erwarten. Im Gegensatz dazu sprechen die demoskopischen Befunde 2009 (erneut) für einen Machtwechsel, die „Zauberformel“ diesmal allerdings auch.

Viel hängt nach der Prognoseformel vom sogenanten „Horse Race“ ab, dem bevorzugten Kanzler. Bei einer so deutlichen Unterlegenheit des Herausforderers (derzeit 25:62 im ZDF-Politbarometer) wäre alles andere als ein Sieg der Kanzlerin und ihrer Wunschkoalition mit der FDP eine Überraschung. Dennoch bleibt sowohl in der Umfrage-Realität als auch im Prognosemodell eine Hintertür offen: 50,6 Prozent bedeuten nicht, dass das Rennen – oder sagen wir besser die Wahl – schon gelaufen ist. Verschiedene Möglichkeiten, vor allem über Themenkompetenz und Mobilisierung noch aufzuholen, wurden in mehreren Beiträgen dieses Blogs bereits aufgezeigt.

Gschwend und Norpoth werden allerdings, wie bei den letzten beiden Wahlen auch, erst Mitte August eine endgültige Prognose für den Wahlausgang abgeben. Warum das? Kann das Modell doch weniger als postuliert wird? Nun ja, sagen wir es einmal so, es ist nicht ganz von kurzfristigen Entwicklungen unabhängig. Denn für die Prognose bedarf es eines kurzfristigen Indikators, den nur Umfragedaten liefern können: die Kanzlerpräferenz. Wahrscheinlich könnte es auch ein anderer kurzfristiger Indikator sein, den man allerdings wieder über Umfragen integrieren müsste: die Bewertung der Regierung, der Parteien oder gar die Wahlabsicht?

Ohne Umfragedaten, deren Erhebung und Publikation zurecht kritisch hinterfragt werden, geht es auch bei der „Zauberformel“ nicht. Dass hierfür nicht Daten verwendet werden müssen, die erst kurz vor der Wahl erhoben werden, spricht für die Erkenntnisse der Wahlforschung und deren Integration in das Modell. Die Wahlforschung weiss, dass es in den letzten Wochen vor der Wahl die Regierung und der amtierende Kanzler bzw. die amtierende Kanzlerin ist, die den Vorsprung vor der Opposition und dem Herausforderer normalerweise ausbauen. Verkompliziert wird die Lage dieses Mal dadurch, dass die Opposition nicht den Herausforderer stellt, sondern der mit auf der Regierungsbank sitzt. Die bisherigen Erkenntnisse darüber, was passiert, wenn Große Koalitionen zu einer Wahl antreten, sind gering und partiell widersprüchlich. Deshalb wird die Bundestagswahl 2009 nicht nur für die Zauberformel eine recht interessante Wahl werden.

 

Schröder, Steinmeier und die Stimme, auf die es ankommt

„Der klingt wie früher Schröder“ – ein derzeit des Öfteren gehörter Satz, wenn es um Auftritte des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier geht. Für Steinmeier ist das wahrlich nicht das Schlechteste! Die sonore Stimme Schröders war ein echtes „Pfund“ des Kanzlers. In Umfragen etwa nach dem zweiten TV-Duell zwischen Schröder und Stoiber 2002 stimmten rund 75 Prozent der Befragten der Aussage „Er hat eine angenehme Stimme“ zu; bei Stoiber waren es weniger als 30 Prozent. Wenn es Steinmeier gelingt, diese Stimmenanalogie zu kultivieren, könnte er dieses Mal davon profitieren, so wie Schröder 2002 gegenüber Stoiber.

 

Merkel macht’s: Eine Prognose zum Wahlausgang

Bei der Bundestagswahl im Herbst zeichnet sich eine neue Mehrheit ab unter Leitung der amtierenden Regierungschefin. Die Deutschen mögen Merkel. Die aktuellen Popularitätswerte der ersten Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik sind im Vergleich zu denen ihres Herausforderers, Frank-Walter Steinmeier, auf einem historischen Hoch. Seit der Wiedervereinigung war der Abstand zwischen den Popularitätswerten eines amtierenden Kanzlers und des Herausforderers noch nie so groß gewesen. Sofern die Popularitätsraten der Spitzenkandidaten vom Frühjahr stabil bleiben, wird Merkels Popularität entscheidend sein, um einer von ihr geführten CDU/CSU-FDP-Koalition eine absolute Mehrheit der Zweitstimmen zu sichern.

Diese Einsicht verdanken wir einem von uns entwickelten Prognosemodell, das sich bei den letzten beiden Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein statistisches Modell entwickelt, das bereits im Sommer vor den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 exakte Vorhersagen liefern konnte und auf den richtigen Sieger tippte, während die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute, basierend auf den Umfragewerten der Parteien, daneben lagen. Unser Verfahren lieferte einen Monat vor der Wahl sogar genauere Werte für die Regierungskoalitionen als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst.

Für die Entwicklung unseres Vorhersagemodells fragten wir uns, was wir aus den zurückliegenden Bundestagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik lernen können. Uns interessierte dabei besonders der gemeinsame Stimmenanteil der jeweiligen Regierungskoalition. Dies verwandelt die Wahlentscheidung zwischen beliebig vielen Parteien in zwei handliche Hälften: die Wahl für oder gegen die Regierung. Weil die amtierende Regierung sich selbst als Notlösung sieht, nachdem keines der politischen Lager 2005 eine Regierungsmehrheit auf sich vereinen konnte, sagen wir für die kommende Bundestagswahl den Stimmenanteil der von der Kanzlerinnenpartei präferierten Regierungskoalition bestehend aus CDU, CSU und FDP voraus.

Ob auf einen Sieg einer solchen Koalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die Popularität des amtierenden Kanzlers ein, gemessen als mittlerer Wert jeweils ein und zwei Monate vor einer Bundestagswahl. Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten einer Regierungskoalition äußerst genau bestimmen.

Bis auf den Wert der Kanzlerunterstützung kurz vor der Wahl liegen alle benötigten Modellwerte bereits vor. Es ist jedoch noch nicht möglich, schon heute eine exakte Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst zu erstellen. Die kann es nach der Logik unseres Modells erst Mitte August geben. Allerdings können wir auf Grund hypothetischer Popularitätswerte der Bundeskanzlerin, die sie kurz vor der Wahl im Vergleich zu Ihrem Herausforderer genießen könnte, schon heute sehen, welches Ergebnis unser Modell dann vorhersagen würde.

Nach den letzten veröffentlichten Politbarometern vom Mai und Juni, bereinigt um die Unentschlossenen, liegt die Zustimmungsrate für Merkel bei 65 Prozent. Steinmeier rangiert dagegen nur bei 35 Prozent. Bliebe es dabei, würde unser Prognosemodell komfortable 50,6 Prozent für das schwarz-gelbe Lager vorhersagen. Damit würde es für einen Regierungswechsel für eine CDU/CSU-FDP-Koalition nach der Wahl im September reichen.

 

Wie die Wirtschaftskrise doch noch die Wahl beeinflussen kann

Die Wirtschaftskrise nutzt bisher vor allem der Union. Aber wenn die Arbeitslosigkeit deutlich steigt und die Angst in der Bevölkerung wächst, könnte sich das ändern.

Auf die Finanzkrise folgte die staatliche Bankenrettung; auf die Wirtschaftskrise folgten staatliche Bürgschaften für Unternehmen. Der Staat greift wieder aktiv ein, nach sozialdemokratischer Manier. Gegeißelt werden „gierige“ Manager, der Kapitalismus gerät in die Kritik. Was läge da näher als Verluste für bürgerliche Parteien, die zumeist als wirtschaftsnah gelten, und Gewinne für linke Parteien?

Fortsetzung hier auf Zeit Online.

 

Das Kieler Landeshaus im Schatten des Berliner Reichstags?

Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl hat das landespolitische Geschehen in Schleswig-Holstein die Bundespolitik wenigstens für den Moment aus dem Zentrum des öffentlichen Interesses verdrängt. Bedenkt man, dass eine Landesregierung, überdies eine, die von den gleichen Parteien getragen wird wie die Bundesregierung, auf des Messers Schneide steht, ist das nur allzu verständlich. Wie diese Krise ausgehen wird und ob der schleswig-holsteinische Landtag den Weg für eine Landtagswahl am 27. September ebnen wird, lässt sich im Moment nicht absehen. Dies gilt umso mehr, als geheime Abstimmungen gerade im nördlichsten Bundesland zu erheblichen Überraschungen führen können. Sollte es tatsächlich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen, stellt sich freilich die Frage, ob das Zusammentreffen von Landes- und Bundestagswahl Konsequenzen für das Wahlverhalten hätte.

Im deutschen Mehrebenensystem lassen sich die verschiedenen Politikarenen generell nicht scharf voneinander trennen. In Landtagswahlkämpfen spielt daher häufig die Bundespolitik eine wichtige Rolle. Auch Bürger reagieren mit ihrem Landtagswahlverhalten auf die Bundespolitik. Beispielsweise nutzen einige die Stimmabgabe bei einer Landtagswahl, um ihrer Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auszudrücken. Diese Verhaltensmuster haben dazu beigetragen, dass Landtagswahlen häufig als Nebenwahlen charakterisiert werden. Diese Charakterisierung mag in etlichen Fällen übertrieben sein. Bei Landtagswahlen, die am Tag der Bundestagswahl stattfinden, scheint sie der Realität jedoch recht nahe zu kommen. Dafür sprechen empirische Befunde zu parallel abgehaltenen Land- und Bundestagswahlen in der Vergangenheit. Parteien erzielten bei beiden Wahlen beinahe identische Stimmenanteile, und nur sehr wenige Wähler machten von der Möglichkeit des Stimmensplittings zwischen Land und Bund Gebrauch. Zudem scheint die Landtagswahlentscheidung vergleichsweise stark von bundespolitischen Motiven bestimmt gewesen zu sein. Die Zusammenlegung trug somit zu einer verstärkten bundespolitischen Durchdringung von Landtagswahlen bei.

Vor diesem Hintergrund liegen die Schlussfolgerungen für Schleswig-Holstein recht klar auf der Hand. Sollte die Landtagswahl auf den 27. September vorverlegt werden, wird es die Landespolitik vergleichsweise schwer haben, im Wahlkampf eine prominente Rolle zu spielen. Zudem wird das Landtagswahlverhalten relativ stark von bundespolitischen Faktoren beeinflusst werden. Es ist also damit zu rechnen, dass die Landtagswahl stärker als bei getrennten Urnengängen eine bundespolitische Nebenwahl sein wird. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Parteien davon profitieren werden. Denn wie schnell sich ein vermeintlich stabiler Bundestrend umkehren kann, das haben nicht zuletzt die Wahljahre 2002 und 2005 gezeigt.

 

Die Botschaft des Dick Morris

Seit dem heutigen Tage ist Thomas Steg nicht mehr stellvertretender Regierungssprecher. In diesem Amt hat sich der SPD-Mann – auch beim Koalitionspartner – einigen Respekt verschafft, und umgekehrt steht auch er selbst der Bundeskanzlerin nach jahrelanger intensiver Zusammenarbeit positiv gegenüber. Dass er nun ins Zentrum des SPD-Wahlkampfes wechselt, mag da manchen wundern. Ist politisches Feingefühl wirklich eine Qualität, die sich mühelos von einer auf die andere Situation übertragen lässt?

In den USA – zweifellos das Mekka des modernen campaigning – hat man sich an solche fliegenden Wechsel mittlerweile gewöhnt. Dick Morris beispielsweise war für die Republikaner tätig, bevor er ins Clinton-Lager wechselte und einer der Strippenzieher der erfolgreichen Wiederwahl-Kampagne von 1996 wurde. Er galt als Experte für das Überzeugen von Unentschlossenen und Wechselwählern; sein Rezept war, den Demokraten Bill Clinton ein bisschen „republikanischer“ auftreten zu lassen. In diesem Fall ging das Kalkül des Clinton-Teams, sich ein bisschen Stallgeruch der Gegenseite zuzulegen, also voll auf. Und auch James Carville, wichtiger Berater während der ersten Clinton-Kampagne 1992, ist von der Universalität gewisser Wahlkampf-Lehren überzeugt. Er hat nach seinem Einsatz für Bill Clinton unter anderem Tony Blair und Ehud Barak beraten, der von ihm geprägte Ausdruck „It’s the economy, stupid“ fand weltweit in Wahlkämpfen Beachtung. Eine Gegenspielerin im US-Präsidentschaftswahlkampf von 1992, George H. Bushs Wahlkampfmanagerin Mary Matalin, hat Carville übrigens ein Jahr später geheiratet. Es scheint also allen parteipolitischen Gegensätzen zum Trotz viele Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Wahlkämpfen und auch zwischen den Wahlkämpfern zu geben.

Die deutsche Wahlkampfforschung wendet dagegen ein, dass enge und produktive Zusammenarbeit auch auf langfristigen Werten wie etwa der Parteibindung basiert. Schließlich haben Parteien in Deutschland einen höheren Stellenwert und eine prägendere Funktion im politischen System, als es in den USA der Fall ist, wo Seiteneinstiege von unpolitischen Personen in politische Ämter an der Tagesordnung sind. Auch die deutschen Wahlkampfberater selbst raten mehrheitlich von schnellen Wechseln ab und betonen, dass gewachsenes persönliches Vertrauen die Grundsubstanz guter Zusammenarbeit ist.

Die Skepsis gegenüber sprunghaften Beratern scheint begründet. Dick Morris jedenfalls arbeitet inzwischen wieder für die Republikaner, nachdem er sich mit Hillary Clinton überworfen hat, und mancher fragt sich nun, ob er je ein echter Anhänger der Demokratischen Partei war. Thomas Steg hingegen scheint in der SPD verwurzelt zu sein. Aber wer weiß schon, was Angela Merkel eines Tages noch mit ihm vorhat…