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Althaus und Magna, Rösler und die PKV, Hoff und Opel – zwei Thesen zu Lobbyismus und Politikberatung

AndreaMit dem Wechsel von Dieter Althaus zum Autozulieferer Magna beobachten wir wieder einmal den engen Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft, nachdem erst kürzlich der Wechsel eines Vertreters der privaten Krankenkassen in das Gesundheitsministerium für Aufruhr gesorgt hatte. In solchen Zusammenhängen wird gerne von der „gekauften Republik“, von „Lobbykratie“ etc. geredet. Dies soll hier aus der Sicht der empirischen Sozialforschung in aller Kürze unter Berücksichtigung der neuen Forschungsergebnisse beleuchtet werden. Denn dass das Thema auch aus akademischer Sicht relevant ist, zeigen nicht zuletzt die Debatten, die derzeit in der Politischen Vierteljahresschrift (PVS) und der Zeitschrift für Politikberatung (ZPB) geführt werden.*

These 1: Veränderungen in der Staatlichkeit verlangen nach mehr Politikberatung und nach anderen Formen der Politikberatung. Lobbyismus ist eine davon.

Mit steigenden Problemen, mehr Themen und mehr Schnittstellenmanagement steigt auch der Bedarf an Expertenwissen in der Politik. Dieses Wissen stellt nicht nur die Wissenschaft bereit; auch Unternehmen, auch die Wirtschaft produzieren es und dieses Wissen muss seinen Weg in die Politik finden. Aber: Die Grenze zwischen Wissensvermittlung und Beeinflussung, also Lobbying, ist fließend. Es bedarf strenger Transparenz-Regelungen, wie sie schon verschiedentlich eingefordert wurden, um drohendem Missbrauch Einhalt zu gebieten. Immerhin geben laut einer Studie von LobbyControl 89,5% der Bundestagsabgeordneten an, einer Nebentätigkeit nachzugehen, für 33,6% bedeutet dies gar Einkünfte von über 1000 Euro monatlich bzw. 10.000 Euro jährlich. Zweifellos liegt in solchen außerpolitischen Engagements großes Potenzial für einen Austausch, von dem sowohl Politik als auch Wirtschaft profitieren. Jedoch hat die Studie von LobbyControl auch gezeigt, dass die Angaben der MdBs offensichtlich nur unzureichend überprüft werden – von echter Transparenz kann also keine Rede sein.

These 2: Das politische System muss Karrierewege aus der Politik heraus zulassen, denn auch die Wirtschaft braucht die Expertise der Politik.

Dass der Wissenstransfer von der Politik in die Wirtschaft stattfindet, ist zunächst ein gutes Zeichen. Sicher hat Magna gute Gründe dafür, sich die Dienste eines ehemals ranghohen Politikers wie Dieter Althaus zu sichern. Jedoch: Eine Karenzzeit, die „fliegende Wechsel“ verhindert und beispielsweise von LobbyControl auch schon gefordert wurde, ist unbedingt notwendig. Hier muss meiner Ansicht nach schärfer reguliert werden, um zu engen Verstrickungen zwischen altem Mandat und neuem Job vorzubeugen. Ein unrühmlicher Extremfall ist in diesem Zusammenhang die Berufung des ehemaligen hessischen Europaministers Volker Hoff zum „Vize-Präsidenten für Regierungsangelegenheiten“ des Autobauers Opel. Selbstbewusst traut er sich zu, trotz der neuen Funktion als Opel-Lobbyist parallel auch sein Landtagsmandat weiterführen zu können. In Abstimmungen, die Opel betreffen (das Unternehmen hat in den vergangenen Monaten bekanntlich einige Finanzspritzen der hessischen Landesregierung erhalten), werde er sich eben enthalten. Solche Aussagen machen selbst den liberalen Koalitionspartner nervös.

* Siehe die in Kürze erscheinenden Diskussionsbeiträge von Christian Humborg in ZPB 1/2010 sowie von Svenja Falk, Andrea Römmele, Henrik Schober und Martin Thunert in PVS 1/2010.

 

Denkt Roland Koch wie die Linkspartei? Die Debatte um die Reform von Hartz IV hält Überraschungen bereit

StruenckRoland Koch verlangt eine Arbeitspflicht für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und alle toben. Roland Koch auch, weil er (natürlich und natürlich einkalkuliert) „missverstanden“ worden sei. Das Ganze könnte man getrost in der Schublade populistischer Evergreens verstauen. Dabei liegt in Roland Kochs Forderung eine ordentliche Prise Ironie, wenn man ihre möglichen Konsequenzen ernst nimmt. Denn der Vorschlag führt geradewegs in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie ihn die Linkspartei seit langem in ihrem Parteiprogramm hat. Die Linke müsste daher eigentlich ganz auf der Seite von Koch stehen, zumindest klammheimlich.

Eine Arbeitspflicht gibt es im Grunde längst, denn die Arbeitsagenturen haben Anweisungen und verschärfte Zumutbarkeitskriterien an die Hand bekommen. Schließlich war es das erklärte Ziel dieser Reform, alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch was tun, wenn es in einer Region so gut wie keine Stellen gibt, in die Langzeitarbeitslose vermittelt werden können? Heinrich Alt, Mitglied im Bundesvorstand der Bundesagentur für Arbeit, sieht nach wie vor ein großes Defizit an Arbeitsplätzen in Deutschland. Dabei nutzen die Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und Arbeitsagenturen bereits ein großes Arsenal an Maßnahmen, um ihre Klientel wenigstens zeitweise in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen.

Worauf liefe also Roland Kochs Forderung hinaus, wenn man sie unter den jetzigen Bedingungen betrachtet? Wenn es eine allgemeine, verbindliche Arbeitspflicht gibt, muss auch Arbeit angeboten werden. Für die größte Gruppe der Langzeitarbeitslosen – die Alleinerziehenden – bräuchte es da erst einmal eine verlässliche Kinderbetreuung. Die anderen Kunden karren die Argen dann entweder quer durch die Republik an Orte, an denen die Erwerbsarbeit noch blüht. Oder sie müssen ihnen Ersatzarbeitsplätze anbieten, denn Arbeitspflicht für die Hilfeempfänger bedeutet quasi Arbeitsplatzpflicht für die Arbeitsagenturen. Angesichts von knapp 5 Mio. erwerbsfähigen Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II liefe das daraus hinaus, einen großen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen bzw. schaffen zu müssen. Roland Koch hätte neue Freunde in der Linkspartei gewonnen, doch das Kernziel der ganzen Reform würde verfehlt: die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.

 

Urteil des Supreme Courts zur Wahlkampffinanzierung – „one man, one vote“ oder „freedom of speech“?

AndreaDer Supreme Court hat gestern der Wahlkampffinanzierung in den USA eine neue Richtung gegeben. Das McCain-Feingold-Gesetz aus dem Jahre 2002, das mit einer Spendenbegrenzung für eine Art „Waffengleichheit“ zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen sorgen sollte, wurde enthebelt – von nun an können Unternehmen und Lobbyorganisationen ihre Kandidaten im Wahlkampf finanziell ohne Obergrenze unterstützen. Der Supreme Court stellt dabei das erste Amendment der amerikanischen Verfassung in das Zentrum seiner Argumentation: „freedom of speech“. Eine Spende ist Ausdruck einer Meinungsäußerung und deswegen vergleichbar mit freier Rede und darf nicht begrenzt werden – so lautet verkürzt der Argumentationsstrang.

Dieses Beispiel zeigt wieder einmal die Schwierigkeiten in der Regelung der Parteienfinanzierung und der (Unternehmens-)Spendenproblematik. Unternehmensspenden sind auch in der Bundesrepublik immer wieder ein Thema, einige führende Politiker sind über Spendenaffären gestolpert – man erinnere sich nur an die Maultaschen-Connection eines Lothar Späth, an die Flick-Affäre, an die nicht genannten Großspender des Altkanzlers Helmut Kohl, an das tragische Spiel mit der CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister u.v.m. „Unternehmermillionen kaufen politische Macht“, so lautet schon der Titel einer 1953 vom SPD-Parteivorstand herausgegebenen Denkschrift. Die Regelungen der Parteienfinanzierung in Deutschland – vor allem die einsetzende staatliche Finanzierung seit 1967 – machen Parteien unabhängiger von Groß- und Unternehmensspenden. Gekoppelt hiermit ist eine nicht übertriebene sondern sinnvolle Veröffentlichungspflicht für Spenden.

Aufgrund wachsender Ausgaben in Wahlkämpfen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge und die staatliche Parteienfinanzierung (diese ist ja in Deutschland abhängig von den Mitgliedsbeiträgen und von den eingeworbenen Stimmen, um der „Verankerung der Parteien in der Bevölkerung“ Rechnung zu tragen) werden Spenden, vor allem Großspenden, wieder deutlich an Gewicht gewinnen.

Welchen Kriterien muss die Parteien- und Wahlkampffinanzierung Rechnung tragen? Es gibt hier kein Patentrezept, oftmals muss zwischen divergierenden Zielvorstellungen abgewogen werden. In der Parteienfinanzierungsforschung wurde auch die Metapher des magischen Vierecks aus dem wirtschaftspolitischen Sprachgebrauch bemüht:

Unabhängigkeit der Parteien und Politiker Transparenz der Parteifinanzen
Chancengleichheit der Parteien und Kandidaten Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger

Meiner Meinung nach ist die Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger ohne Zweifel die wichtigste Anforderung an eine demokratische Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Im Sinne dieses Grundsatzes dürfen sich die in der Bevölkerung bestehenden sozioökonomischen Unterschiede nicht im politischen Willensbildungsprozess widerspiegeln. Es gilt, den ungleichen Möglichkeiten der Partizipation durch Geldspenden Einhalt zu gebieten. Als Maßstab für die Chancengleichheit der Bürgerinnen und Bürger muss der strenge und formale Gleichheitssatz gelten. Jeder Bürger hat eine oder doch gleich viele Stimmen oder jede Stimme muss möglichst gleiches Gewicht haben. Dass Spenden und die Stimmabgabe bei Wahlen zumindest vergleichbar sind, hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt: „Der Bürger, der einer politischen Partei Geld spendet, bekennt sich damit in der Regel zu den Zielen dieser Partei, ähnlich wie wenn er ihr seine Wahlstimme geben würde“.

 

Transparenz als Kontrolle reicht nicht! Anmerkungen zur FDP in Sachen Lobbying und Spenden

Andrea RömmeleGleich zweimal in der vergangenen Woche hat die FDP unter Beweis gestellt, dass ihr (noch?) das Fingerspitzengefühl fürs Regieren zu fehlen scheint. Mit der Berufung eines ranghohen Mitarbeiters der Privaten Krankenversicherung ins Gesundheitsministerium schließt ein FDP-Minister einen Pakt mit den traditionell mächtigen Interessenvertretern im Gesundheitsbereich. Und mit der Annahme einer millionenhohen Spende eines Hotelunternehmers kurz vor der Entscheidung, den Mehrwertsteuersatz für eben jene Branche zu senken, kommt der Verdacht der Einflussspende auf. Beiden Fällen gemeinsam ist der Verdacht des unsauberen Zugangs zu Entscheidungssträgern. In beiden Fällen soll „nur“ die Veröffentlichung der Tatbestände die Fälle regeln. Ist das genug?
Betrachten wir die beiden Fälle genauer, beginnend mit der Neuberufung im Gesundheitsministerium: Ohne Zweifel kann die Politik ohne externe Expertise nicht auskommen. Sowohl Verbände als auch Lobbyisten besitzen in ihren thematischen Schwerpunkten erheblichen, zum Teil auch wissenschaftlichen Sachverstand, der in die Politik eingespeist werden muss. Dieser Trend wird sich aufgrund der zunehmenden Europäisierung der deutschen Politik noch verstärken: die Themen werden komplexer, mehr Schnittstellen müssen jongliert werden. Hierzu gibt es unzählige Beratungsformate (wissenschaftliche Gutachten, Expertenkommissionen, Gespräche etc.), wichtig ist jedoch die klar sichtbare Trennung zwischen Rat und Entscheidung. Die Berufung eines Beraters auf eine Entscheidungsposition führt zu einer zunehmenden Verflechtung und solche Konstruktionen wurden beispielsweise hinsichtlich des Austauschprogramms zwischen Wirtschaftsministerium und Unternehmen verschiedentlich kritisiert (in diesem Fall werden Unternehmensvertreter für eine gewisse Zeit im BMWi eingesetzt). Eine kleine Anfrage zu einem kritischen Bericht des Magazins „Monitor“ über eine neue Art von Lobbyismus in Bundesministerien wurde noch im Jahr 2006 von der damaligen Oppositionspartei FDP gestellt…
Wenden wir uns nun der Spende aus der Hotelbranche zu: Politische Akteure sollen ihre repräsentativen Pflichten in Freiheit ausüben können. Unter diesem Gesichtspunkt sind Einnahmen aus Kleinspenden und Mitgliedsbeiträgen unproblematisch. Unternehmensspenden hingegen stellen demokratietheoretisch ein Problem dar, da die Spendengeber selbst keine Stimme im politischen Willensbildungsprozess besitzen, sich jedoch durch Spenden Zugang zur Macht verschaffen können. In nahezu allen Diskussionen um die Reform der Parteienfinanzierung wurde dies diskutiert, jedoch folgten keine konkreten Beschlüsse. Zwar werden Unternehmensspenden nicht mehr steuerlich begünstigt (und sind somit nicht mehr ganz so attraktiv für den Spender), jedoch verkennt der Gesetzgeber (und auch das Bundesverfassungsgericht) die der Spendenpolitik inhärenten Gefahren: Nicht erst die steuerliche Begünstigung, sondern schon allein die Möglichkeit, dass juristische Personen an Parteien spenden können, verletzt das Prinzip der gleichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am politischen Willensbildungsprozess. Daran vermag auch die Pflicht, Spenden ab einer bestimmten Höhe dem Bundestag zu melden, nicht viel zu ändern.
Wie eingangs formuliert soll in beiden Fällen Transparenz als Kontrolle genügen. Dies reicht meiner Ansicht nach nicht aus – es ist mal wieder an der Zeit, diese Debatte lautstark zu führen!

Zum Thema Lobbying siehe die jüngste Ausgabe der Zeitschrift für Politikberatung Heft 3/2009 (auch unter www.zpb-digital.de) sowie Thomas Leif/Rudolf Speth (Hrsg.): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland

Zum Thema Parteienfinanzierung:
Michael Koß (2008): Staatliche Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Andrea Römmele (1995): Unternehmenspenden in der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Die USA, Kanada, die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im internationalen Vergleich. Baden-Baden: Nomos.

 

Wer hat sich besser durchgesetzt? Das schwarz-gelbe Koalitionsabkommen und die Wahlprogramme der Regierungsparteien im Vergleich

Während Wahlprogramme dazu dienen, die Positionen politischer Parteien auf verschiedenen Politikfeldern zu vermitteln, so stellen Koalitionsabkommen das ausgehandelte Dokument mehrerer Parteien dar, in denen sich die inhaltlichen Kompromisse der neuen Regierung wieder finden. CDU/CSU und FDP haben sich nach knapp vier Wochen Koalitionsverhandlungen auf ein 128 Seiten langes Dokument als Grundlage ihrer gemeinsamen Politik der künftigen Legislaturperiode geeinigt. Darin werden wie in den Wahlprogrammen alle relevanten Politikbereiche – von Wirtschaft, Arbeit und Soziales über Finanzen, Außen-, Sicherheits- und Europapolitik bis hin zu Innen-, Justiz-, Familien- und Bildungspolitik – abgehandelt. Es bietet sich somit an, die Positionen, die die Parteien in den Wahlprogrammen geäußert haben, mit denjenigen zu vergleichen, die sich im neuen Koalitionsabkommen wieder finden.

Eine Analyse der Wahlprogramme der Bundestagsparteien mit dem Entwurf des schwarz-gelben Koalitionsabkommens mit Hilfe des wordscore-Verfahrens kann hierüber Aufschluss geben. Es wird unterschieden zwischen einer wirtschaftspolitischen Links-Rechts-Dimension einerseits sowie einer Dimension, die zwischen progressiven und konservativen Positionen in der Gesellschaftspolitik differenziert. Zusätzlich zu den Wahlprogrammen und dem Koalitionsabkommen aus dem Jahr 2009 werden die programmatischen Dokumente aus dem Jahr 2005 in die Analyse mit einbezogen, um so Veränderungen in den ausgehandelten Politikzielen zwischen der großen Koalition Merkel/Steinmeier und der neuen Bundesregierung Merkel/Westerwelle zu evaluieren.

In der Abbildung sind die ermittelten Positionen der Parteien auf der Grundlage ihrer Wahlprogramme aus den Jahren 2005 und 2009 sowie der beiden Koalitionsabkommen eingezeichnet. Auf den ersten Blick ergibt sich ein überraschendes Ergebnis: im Vergleich zum Koalitionsabkommen der großen Koalition liegt der Regierungsvertrag von Union und FDP wirtschaftspolitisch weiter in der Mitte der sozioökonomischen Links-Rechts-Dimension. In innen-, rechts- und gesellschaftspolitischen Fragen ergibt sich eine etwas konservativere Position für den Koalitionsvertrag von Union und Liberalen im Gegensatz zu dem im November 2005 ausgehandelten Abkommen und Christ- und Sozialdemokraten. Wenn man jedoch genauer hinsieht, dann zeigt sich, dass die ermittelte Position des neuen Koalitionsabkommens gar nicht so überraschend ist: zu erwarten wäre gewesen, dass sich CDU/CSU und FDP auf ein Programm einigen, dass auf der gestrichelt eingezeichneten Linie und damit zwischen den Positionen beider Regierungsparteien liegt. Da die Union 239 Abgeordnete und damit 72% und die FDP lediglich 93 Mandate und damit 28% in die Mehrheit der Regierung im Bundestag einbringt, sollte das Koalitionsabkommen auf dieser Geraden zwischen den beiden Koalitionsparteien näher an der Union als an der FDP liegen.

Nun zeigt sich, dass der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP nicht ganz auf dieser Pareto-optimalen Geraden liegt, sondern wirtschaftspolitisch näher an der Position des Unions-Wahlprogramms von 2009 und gesellschaftspolitisch näher am 2009er Wahlprogramm der Liberalen. Offenbar konnten sich CDU und CSU in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen besser durchsetzen, während dies der FDP in der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik gelang. Dieses zwischen den Koalitionsparteien „schiefe“ Verhältnis war 2005 hingegen noch weiter ausgeprägt: damals konnte sich die Union nahezu vollkommen in sozioökonomischen Fragen durchsetzen und die SPD im gesellschaftspolitischen Bereich. Dieses Missverhältnis kann durchaus dazu beigetragen haben, dass die Sozialdemokraten so stark an Wählerzuspruch verloren haben, da sich ihre Handschrift kaum in dem für die SPD so zentralen Politikfeld Wirtschaft und Soziales wieder fand und dementsprechend in geringem Ausmaß ökonomische Politik im Sinne des SPD-Wahlprogramms 2005 durch die große Koalition implementiert wurde. Inwiefern die FDP, die sich den hier dargestellten Ergebnissen zufolge auch in ihrem zentralen Bereich der Wirtschaft-, Sozial- und Finanzpolitik bei weitem nicht vollständig durchsetzen konnte, ähnliche Verluste auf Wählerebene erleiden muss wie die SPD werden die kommenden Landtagswahlen zeigen.

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Das Kanzlermodell bei der Wahl 2009: Diesmal kein Volltreffer

In den Tagen nach der Bundestagswahl haben mein Kollege Helmut Norpoth und ich das Abschneiden unseres Kanzlermodells näher untersucht. Die nachfolgende Analyse ist das erste Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen.

Das Wahlergebnis vom 27. September zeigt eines ganz deutlich: Der Regierungswechsel wird kommen. CDU/CSU haben zusammen mit der FDP eine Mehrheit im neuen Bundestag erreichen können. Im Gegensatz zu einigen Kommentatoren und Umfragen, die noch kurz vor dem Wahltag einen solchen Ausgang für unwahrscheinlich hielten und stattdessen eher eine Wiederauflage der „Großen Koalition“ voraussahen, hat das Kanzlermodell erneut den richtigen Sieger vorhergesagt. Schwarz-Gelb. Trotz der zugegebenen schwierigen Ausgangssituation im Jahr 2009 mit einer amtierenden Regierung, die eigentlich gar nicht wiedergewählt werden wollte, prognostizierte unser Modell wie bei allen anderen Wahlen zuvor wieder einmal den richtigen Sieger. Und das nicht erst am Wahlabend oder mit lauten Zweifeln, sondern schon lange vor dem Wahltag.

Der tatsächlich erreichte Prozentsatz für Schwarz-Gelb von 48,4 % weicht von unserem am 20. August vorhergesagten Wert (52,9 %) um 4,5 Prozentpunkte ab. Obwohl wir den Ausgang richtig vorhergesagt haben, war das Modell offensichtlich großzügiger zur Wunschkoalition der Kanzlerin als die Wählerinnen und Wähler am Wahltag selbst. Natürlich ist nicht jedesmal ein Volltreffer zu erwarten wie 2002 oder nur eine geringfügige Abweichung wie 2005, als unsere Modellprognosen besser abschnitten als die Umfrageergebnisse vor und am Wahltag selbst. Allerdings irrte sich dieses Mal unser Modell weit mehr als die Umfragen.

Warum wurde der Stimmenanteil von Schwarz-Gelb derart überschätzt? Wir können natürlich nicht in die Köpfe der Wähler hineinschauen, vermuten aber Folgendes: Die Umsetzung von Popularität vor der Wahl in Stimmen am Wahltag hat für die schwarz-gelbe Wunschkoalition der Kanzlerin nicht so funktioniert, wie wir das von den anderen Bundestagswahlen her kannten. Leider sind bisher noch keine Umfragedaten, die eine genauere Analyse ermöglichen würden, öffentlich zugängig. Trotzdem gibt es Anzeichen, die diese Vermutung stützen.

Popularität von Merkel und Steinmeier bei ihren eigenen Anhängern im Jahr 2009

2009 Merkel wird bevorzugt von CDU/CSU-Anhängern Steinmeier wird bevorzugt von SPD-Anhängern
Juli I 89 62
Juli II 91 50
Aug I 93 53
Aug II 92 55

Quelle: Veröffentlichte Werte im Bericht zum Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen

Die Anhänger der SPD standen nicht deutlich hinter ihrem Kanzlerkandidaten. Die Unterstützungswerte von Steinmeier lagen nur bei rund 55 %. Offensichtlich hat die hypothetische Entscheidung „Merkel oder Steinmeier?“ die eigenen SPD-Reihen nicht so fest geschlossen wie das üblicherweise der Fall ist. Viele wünschten sich Frau Merkel anstelle des eigenen Kandidaten als Bundeskanzler(in), ohne jedoch für die Union zu stimmen. So war Frau Merkel vor der Wahl populärer als die Bundeskanzler bei früheren Wahlen. Das lag hauptsächlich an der besonderen Situation der amtierenden „Großen Koalition.“ Die SPD gehörte einer Regierung an, die nicht von einer Persönlichkeit aus der eigenen Partei, sondern aus der Gegenpartei geleitet wurde. Es gab offenbar SPD-Anhänger, die es ohne weiteres mit sich vereinbaren konnten, einerseits lieber die Amtsinhaberin anstelle des eigenen Kandidaten als Kanzler zu bevorzugen, aber am Wahltag doch der eigenen Partei ihre Stimme gaben statt ihrer Wunschkanzlerin ins Amt zu verhelfen. Vermutlich waren viele Wähler derart an die „Große Koalition“ gewöhnt, dass sie trotz gegenseitiger Konfrontationen im zurückliegenden Wahlkampf zu solch einem gefühlten Spagat fähig waren. Dieser Umstand bescherte 2009 der amtierende Kanzlerin bei SPD-Anhängern Sympathien, einen „Großer Koalitions-Bonus“ sozusagen, die bei Wahlen ohne Grosse Koalition nicht zu erwarten sind. Ein Vergleich von Kanzlerpopularität in den Reihen der Parteianhänger mit Kanzlerpopularität vergangener Wahlen beweist das eindeutig.

Wir haben uns daraufhin die veröffentlichten Berichte der Forschungsgruppe Wahlen zum Politbarometer angesehen, auf deren Basis wir unser Maß für die Kanzlerpopularität konstruierten. Zudem haben wir auch die von der Forschungsgruppe Wahlen dankenswerterweise archivierten Daten für 2002 reanalysiert.

Popularität von Stoiber und Schröder bei ihren eigenen Anhängern im Jahr 2002

2002 Ost Stoiber wird bevorzugt von CDU/CSU-Anhängern Schröder wird bevorzugt von SPD-Anhängern
Feb 81 95
Mär 85 96
Apr 82 95
Mai 83 93
Jun 81 93
Jul 81 95
Aug 78 97
Sep 87 99

 

2002 West Stoiber wird bevorzugt von CDU/CSU-Anhängern Schröder wird bevorzugt von SPD-Anhängern
Feb 91 96
Mär 89 93
Apr 89 95
Mai 87 96
Jun 89 94
Jul 88 95
Aug 88 98
Sep 88 99

Quelle: Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen

Vor der Wahl 2002, als die eine Großpartei (SPD) im Amt und die andere (CDU/CSU) in der Opposition war, erfreuten sich Kanzler Schröder wie auch Kanzlerkandidat Stoiber nahezu voller Unterstützung in den eigenen Reihen. In Ost wie West. Zwischen 80 und 90 % der CDU/CSU- Anhänger wünschten sich lieber Stoiber als Schröder als Kanzler. Über 90 % der SPD-Anhänger wünschten sich lieber wieder Schröder.

Für 2005 ergibt sich im Wesentlichen dasselbe Bild. Hier berufen wir uns auf die veröffentlichten Werte im Politbarometer. Beide Kanzlerkandidaten konnten unter den jeweiligen Parteianhängern klar polarisieren. Während die damalige Herausforderin sich auf rund 80 % Zustimmung im eigenen Lager verlassen konnte, konnte der Amtsinhaber auf rund 90 % seiner Anhänger zählen. Ein solches Muster ist typisch für den Normalfall einer Bundestagswahl, wo CDU/CSU und SPD auf entgegengesetzten Seiten der Macht stehen.

Popularität von Merkel und Schröder bei ihren Anhängern im Jahr 2005

2005 Merkel wird bevorzugt von CDU/CSU-Anhängern Schröder wird bevorzugt von SPD-Anhängern
Jul I 79 92
Jun II 75 89
Jun I 83 88
Mai 81 91

Quelle: Veröffentlichte Werte im Bericht zum Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen

Für den seltenen Fall einer Wahl wie der in 2009, wo diese beiden Parteien gemeinsam im Amt sind, wäre es ratsam, die Variable „Kanzlerpopularität“ im Prognosemodell entsprechend zu bereinigen. Insbesondere dann, wenn die Wahlprognose auf eine andere Parteienkombination abzielt, also Schwarz-Gelb statt Schwarz-Rot. Nehmen wir also den typischen Fall, in dem sich die beiden Großparteien gegenüberstehen: Hier finden die beiden Kanzlerkandidaten etwa die gleiche Zustimmung in den eigenen Parteilagern. Unter dieser Annahme erhielten wir für 2009 einen vom „Großen Koalitions-Bonus“ bereinigten Wert für die Kanzlerpopularität von 61 % für die amtierende Kanzlerin. Mit einem solchen Popularitätswert hätte unser Modell sodann eine Prognose von 49,1 % Stimmen für Schwarz-Gelb geliefert. Bei einem solchen Sonderfall wie in 2009, ist eine solche Korrektur sicherlich zu rechtfertigen. Die Kanzlerpopularität eignet sich ohne weiteres als Prognosefaktor bei Wahlen, in denen sich die Kanzlerkandidaten wie auch die hinter ihnen stehenden Parteien auf entgegengesetzten Seiten befinden. Wenn beide Großparteien jedoch zusammen im Amt sind und mit eigenen Kanzlerkandidaten antreten, dann hat die Kanzlerpopularität nur bedingte Prognosekraft für eine andere Kombination von Parteien.

 

Sozialdemokratische Dilemmata und grüne Königsmacher

Die Diskussion innerhalb der SPD dreht sich im Zuge ihrer drastischen Wahlniederlage bei der Bundestagswahl vom 27. September vor allem um den künftigen programmatischen Kurs und die Implikationen, die ein Richtungswechsel nach links bergen würde. Während der moderate, den wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen der Schröder-Regierung zugeneigte Parteiflügel eine Beibehaltung des „Agenda 2010“-Kurses auch in der Opposition befürwortet, um nicht noch weiter Wähler aus der „Mitte“ an Union und FDP zu verlieren, so pocht die innerparteiliche Linke auf einen programmatischen Wandel, um die Wähler zurück zu gewinnen, die entweder bei der „Linken“ eine neue politische Heimat gefunden haben oder bei den letzten Wahlen zum Lager der Nichtwähler gehörten.

Beide Strategien bergen in der Tat Gefahren für die SPD und ihre Chance, erneut eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden. Bleibt die SPD bei ihrer momentanen programmatischen Position, dann steht zu erwarten, dass sich die „Linke“ stabilisiert und als neuer Verbündeter der Gewerkschaften etabliert. Sollte sie sich programmatisch nach links entwickeln, dann droht ihr hingegen eine ähnliche Situation wie bereits in den 1980er und frühen 1990er Jahren: Union und FDP würden dann die Mehrheit der moderat ausgerichteten Wählerschaft für sich gewinnen können. Ein Wahlsieg eines potentiellen rot-rot-grünen Linksbündnisses wäre damit mittelfristig nicht realistisch, sondern erst dann, wenn – wie 1998 – die Frustration über eine zu lang andauernde schwarz-gelbe Regierung der Opposition zu Gute kommen würde. Die SPD läuft also Gefahr, die Stimmen auf der einen Seite zu verlieren, die sie auf der anderen Seite gewonnen hat.

Diesem offensichtlichen Dilemma gesellt sich jedoch noch ein zweites, viel schwerwiegenderes Problem hinzu, dem die Sozialdemokraten kaum durch eigenes Handeln entrinnen können. Wie die Entscheidung der saarländischen Grünen zugunsten einer Jamaika-Koalition, die im übrigen wie auch die sich abzeichnende CDU/SPD-Koalition in Thüringen in diesem Blog korrekt vorhergesagt wurde, und damit gegen ein rot-rot-grünes Bündnis gezeigt hat, kann die SPD nicht – wie bislang – nahezu automatisch auf die Bündnisgrünen als Teil einer potentiellen Koalition gemeinsam mit der „Linken“ gegen Schwarz-Gelb zählen. Gesetzt den Fall, dass Union und Liberale bei der nächsten Bundestagswahl eine Mandatsmehrheit verfehlen würden, dann muss es also nicht zwangsläufig auf eine rot-rot-grüne Koalition hinauslaufen. Vielmehr könnten Bündnis 90/Die Grünen durchaus als teuer bezahlter Mehrheitsbeschaffer ein Weiterregieren von Christ- und Freidemokraten auf Bundesebene auch nach 2013 ermöglichen. Wie das aussehen kann hat man in den letzten Wochen im Saarland sehen können: Obwohl sie die kleinste Partei im Saarbrücker Landtag mit nur drei von 51 Sitzen darstellen, wurden den Grünen bereits vor den Koalitionsverhandlungen beachtliche inhaltliche Zusagen sowie zentrale Ministerien von CDU und FDP auf der einen wie auch von SPD und Linken auf der anderen Seite zugesichert.

Damit sind die Grünen in jener komfortablen Situation des Züngleins an der Waage, die im westdeutschen „Zweieinhalb-Parteiensystem“ von 1961 bis 1983 noch die FDP innehatte. Der Unterschied ist lediglich, dass die Liberalen noch die Wahl zwischen Union und SPD hatten, während die Grünen nun zwischen zwei Parteiblöcken – CDU/CSU und FDP auf der einen und SPD und Linke auf der anderen Seite – haben. Aus dieser Perspektive betrachtet sind die Freidemokraten eher der kurzfristige Wahlsieger, während die Grünen zum heiß ersehnten Koalitionspartner für den schwarz-gelben und rot-roten Block avancieren. Diese offensichtliche Emanzipation der Grünen, aus den parteipolitischen Lagergrenzen in Deutschland auszubrechen, schmälert noch mehr die Chancen der Sozialdemokraten, tonangebende Partei in künftigen Koalitionsregierungen zu werden. Sie werden – wenn es für eine Mehrheit aus SPD und Linken oder Union und FDP nicht alleine reicht – entweder ein handzahmer Juniorpartner der Union sein oder den Grünen viele Ämter und Inhalte überlassen müssen, um einer „Jamaika“-Koalition vorzubeugen. Egal ob die SPD inhaltlich nach links rückt oder an ihrer moderat-linken Reformposition festhält, die Chancen der Sozialdemokraten auf das Kanzleramt werden aufgrund der neu gewonnenen zentralen Rolle der Grünen im bundesdeutschen Koalitionsspiel weiter sinken.

 

Quo vadis, Saarland? Quo vadis, Grüne?

Der Tag der Entscheidung ist da – für das Saarland, aber auch für die Grünen. Fährt heute doch ein Dampfer gen Jamaika? Oder kommt es zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit in Saarbrücken? Beides scheint derzeit möglich, die Grünen – vor allem die grünen Saarländer – scheinen gespalten. Doch wie stehen eigentlich die Wählerinnen und Wähler zu dieser Frage? In einer groß angelegten Umfrage im Vorfeld der Bundestagswahl wurden rund 6.000 Deutsche befragt – unter anderem auch nach ihren Präferenzen, was Koalitionen betrifft. Zwischen -5 und +5 sollten diese Befragten verschiedene mögliche Koalitionsmodelle einstufen. Die mittleren Einstufungen bezogen auf die saarländischen Optionen – also Jamaika und Rot-rot-grün – zeigt die folgende Abbildung.

Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition insgesamt und bei Parteianhängern
koal

An verschiedenen Stellen sind die Ergebnisse dabei mehr als eindeutig: Anhänger von Union und FDP bevorzugen klar Jamaika vor Rot-rot-grün, umgekehrt sind es bei Anhängern der Linkspartei aus. Schon bei Anhängern der SPD allerdings sieht das Bild weniger eindeutig aus – und dies gilt erst recht bei Anhängern der Grünen: Sie sind – quasi ein Spiegelbild der saarländischen Grünen – unentschieden zwischen den beiden zur Wahl stehenden Alternativen.

Dies gilt allerdings nur im Durchschnitt – im Durchschnitt sind die Anhänger der Grünen unentschieden zwischen den beiden Optionen. Dies gilt nicht zwangsläufig auch für jeden einzelnen Anhänger der Grünen, wie die folgende Abbildung zeigt – und genau hier liegt der Sprengstoff für die Grünen:

Vergleichende Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition bei Anhängern der Grünen
verteilung

Auf der Ebene einzelner Anhänger der Grünen gibt es zwar auch rund 40 Prozent der Anhänger, die unentschieden zwischen den beiden Optionen sind. Über 30 Prozent aber haben eine Präferenz für Rot-rot-grün gegenüber Jamaika, immerhin auch über 25 Prozent haben eine Präferenz für Jamaika gegenüber Rot-rot-grün. Und nur eine dieser Gruppen wird ihre Präferenzen heute im Saarland erfüllt sehen, während die andere Gruppe in die Röhre schaut. Sprengstoff also für die Grünen, man darf gespannt sein, wie die Partei (und insbesondere die unterlegenen Anhänger innerhalb der Partei) damit umgehen werden.

 

Regierung sucht Motto

Frau Merkel ist keine Sprücheklopferin. Was Vorteile hat. Anders als ihr Vorgänger im Kanzleramt musste sie selten großspurige Sätze zurücknehmen oder sich an ihnen messen lassen.

Es hat aber auch Nachteile. Merkel, die Naturwissenschaftlerin, hat Schwierigkeiten damit, prägnant zu formulieren. Dieses Problem begleitet sie seit langem. Schon in Oppositionszeiten beklagten sich Journalisten, Merkel könne keine Soundbites produzieren, also: kurze TV-taugliche Botschaften. Versucht sie doch mal zuzuzspitzen, misslingt das: Noch heute bereut Merkel angeblich, dass sie einmal angekündigte, Deutschland „durchregieren“ zu wollen. Auch als „schwäbische Hausfrau“, die Krisen löst, hat sie sich nie wieder bezeichnet.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass Merkel noch kein Motto, keinen griffigen Slogan für ihre neue Regierung gefunden hat. Am Anfange der Woche erlaubte sich die Kanzlerin einen Moment der Offenherzigkeit, als sie einem Journalisten anvertraute, danach noch zu suchen.

Selber Schuld. Nun ist Fraktionschef Volker Kauder gestern Abend vorgeprescht. Er bezeichnete das Bündnis mit der FDP als „Koalition des Wachstums, des Aufbruchs, der Zuversicht“. Auch Guido Westerwelle, ein Phrasendrescher von höchster Güte, wird sicher bald nachlegen. Steuersenkungsregierung. Man-spricht-deutsch-Bund. Gelb-schwarze Allianz, irgendsowas.

Also, Frau Kanzlerin, das Wochenende geben wir Ihnen noch. Zwei Tage Spazierengehen und Plaumenkuchenbacken. Sonst reichen wir ab Montag Vorschläge ein.

Und bitte nicht wieder „Koalition der neuen Möglichkeiten“! So taufte Merkel ihr erstes Regierungsbündnis.

 

Kompetenzen und Konsequenzen – die Neuorientierung der SPD steht bevor

Andrea RömmeleWie lässt sich das Wahlergebnis vom Sonntag erklären, oder genauer gefragt: Wie lässt sich die historische Niederlage der SPD erklären? Zahlreiche Punkte werden derzeit diskutiert, in diesem Blog hat Andreas Wüst sehr anschaulich die beiden Kandidaten gegenübergestellt.

Aus Sicht der Wahlkampfforschung beeinflussen neben der Kandidatenfrage zwei weitere Faktoren die Wahlentscheidung: die Identifikation mit einer Partei und die ihr zugeschriebenen Kompetenzen in politischen Sachfragen. Mit sinkender Parteiidentifikation, die wir in allen etablierten Demokratien vorfinden, steigt logischerweise die Bedeutung von Themen und Kandidaten. Die folgenden Umfragedaten stellen die wahrgenommene Problemlösungskompetenz der Parteien zu bestimmten Sachfragen dar.

Parteikompetenzen April 2009

Kompetenzen April

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend April 2009

Die Daten sprechen eine klare Sprache: In nahezu allen wichtigen Themenbereichen liegt die CDU/CSU im Frühjahr deutlich vor der SPD, es gibt lediglich zwei klare Ausnahmen: der arbeitnehmerfreundlichere Umgang mit der Krise wird der SPD ebenso zugeschrieben wie die Kompetenz in ihrem Kernthema, der sozialen Gerechtigkeit.

Es ist den Sozialdemokraten im Laufe des Wahlkampfes jedoch nicht gelungen, in diesen Themengebieten weiter zu punkten, geschweige denn andere Themengebiete für sich zu gewinnen. Auch leichte Verbesserungen in manchen Bereichen ändern nichts am Gesamtbild. Für eine echte, durch Themen ausgelöste Trendwende wären Gewinne in viel größeren Dimensionen vonnöten gewesen – gerade dann, wenn der eigene Kandidat gegenüber der Amtsinhaberin klar zurückliegt.

Parteikompetenzen September 2009

Kompetenzen September

Quelle: Infratest dimap, DeutschlandTrend September 2009

Die Kombination von schlechten Kompetenzwerten und einem wenig überzeugenden Kandidaten kann das schwache Abschneiden der SPD also erklären – zumindest zum Teil. Wenn sich die Partei nun thematisch und auch personell neu aufstellt, zieht sie damit im Grunde die richtigen Schlüsse aus der Wahlniederlage. Allerdings ist zu bedenken, dass die Partei gerade im Wahlkampfendspurt in einigen Kompetenzbereichen noch leichte Zugewinne verbuchen konnte und auch der Spitzenkandidat zuletzt Boden auf die Kanzlerin gutmachen konnte. Ein tabula rasa könnte der SPD daher ebenso schaden wie ein „weiter so“. Dies alles spricht dafür, dass sich die Partei für die nötige Neuaufstellung Zeit nimmt und die anstehenden Entscheidungen mit Bedacht fällt.