Im Juli hatte Günter Wallraff vorgeschlagen, er wolle in der umstrittenen Ehrenfelder Moschee gerne aus Salman Rushdies „Satanischen Versen“ vorlesen und ebendort über das Buch debattieren – notfalls unter Polizeischutz.
Letzteres hätte er mal besser nicht so forsch gesagt. Den Polizeischutz genießt Wallraff jetzt bereits, zu der Lesung hingegen wird es wohl nicht kommen.
Wallraff als Türke Ali bei den Recherchen zu „Ganz unten“
Auf einer Internetseite ist Wallraff als „Islamfeind Nr. 1“ bezeichnet worden. Die Polizei hat darum entschieden, ihn unter Personenschutz zu stellen.
Wallraff, der selbst in Ehrenfeld wohnt, hatte sich bereit erklärt, im Beirat der Moschee mitzuarbeiten. Bekir Alboga, dem Dialogbeauftragten von DITIB, hatte er dann spontan vorgeschlagen, eine Rushdie-Lesung in der Moschee zu veranstalten. Alboga zeigte sich offen: „Warum nicht?“ Offenbar ist Alboga aber nur begrenzt geschäftsfähig. Oder er hat es sich anders überlegt.
Heute schreibt die Ditib angesichts der Bedrohung Wallraffs:
„DITIB verurteilt die Drohungen gegen Günter Wallraff auf das Schärfste. Der Islam ist eine friedliche und gemäßigte Religion. Die fortschrittliche Religionsauffassung des Islams rechtfertigt unter keinen Umständen die Androhung oder den Einsatz von Gewalt. Wir lehnen daher Terrorismus, den Einsatz oder die Androhung von Gewalt unter jeden Umständen ab. Der Koran bildet auch in Deutschland für unsere Gesellschaft die spirituelle Grundlage unserer Religiosität. Er darf aber keineswegs als Rechtfertigung zur Gewaltanwendung herangezogen werden. Der Koran betont häufig: „Wenn dein Herr [Allah] wünschte, Er hätte alle Menschen unter einem Glauben vereint.“ Dieser Grundsatz ist ein Aufruf zur Toleranz gegenüber anderen Glaubensauffassungen und Ansichten. Die Vielfalt ist Teil des göttlichen Willens und verlangt von dem Menschen, diese als einen großen Reichtum anzuerkennen.“
So weit, so gut. Aber dann geht es um Wallraffs peinigendes Angebot:
„Günter Wallraffs Anregung, die „Satanischen Verse“ in der Kölner DITIB-Moschee zu lesen, ist ein provokanter Beitrag im Rahmen einer öffentlichen Debatte. Selbstverständlich würde eine solche Lesung in einer Moschee die religiösen Gefühle der Muslime verletzen.“
Warum eigentlich „selbstverständlich“? Dazu kein einziges Wort. Stattdessen salbungsvolle Worte über die Aufgabe eines Journalisten.
„Als Journalist ist es Wallraffs Aufgabe, mit seinen Ideen zu polarisieren und Diskussionen anzustoßen. Wallraff hat sich im Rahmen seines Buchprojektes ´Ganz Unten` für die Interessen der türkischen Migranten in Deutschland eingesetzt. Günter Wallraff bemüht sich um einen konstruktiven Dialog mit uns Muslimen in Deutschland. Wir schätzen ihn“, betont Sadi Arslan, Präsident der DITIB. Die Ehrenfelder DITIB-Moschee kennt Wallraff seit seinen Recherchen zu seinem damaligen Buchprojekt. Die DITIB steht der Idee einer gemeinsamen Veranstaltung zur Lesung der „Satanischen Verse“ zurückhaltend gegenüber. Bei dem letzten gemeinsamen Treffen vor knapp zwei Wochen hat man sich über den Charakter einer solchen Veranstaltung nicht einigen können. Eine Lesung auf dem Moscheegelände kommt aus Sicht der DITIB sicherlich nicht in Frage.“
„Sicherlich“. Das war’s? Warum genau kommt es nicht in Frage? Und was heißt eigentlich „zurückhaltend“, wenn es offenbar überhaupt keinen Diskussionsspielraum gibt.
Wäre es nicht denkbar, die Lesung zu machen und dann dort zu sagen, was einem an Rushdie mißfällt? Eine Moschee die sich für eine solche Debatte öffnet, wäre eine Weltsensation. Sie würde der Behauptung, der Islam sei „eine friedliche und gemäßigte Religion“ Glaubwürdigkeit verleihen. Ditib muss verstehen, dass es die Rushdie-Affäre war, die das Vertrauen einer breiten liberalen Öffentlichkeit auch in die hier lebenden Muslime erschüttert hat (in England noch mehr als auf dem Kontinent).
Wer aus den Fabriketagen in die deutsche Öffentlichkeit hinauswill, sollte sich besser auf solche Debatten gefaßt machen. Das ist es, was Wallraff mit seiner mutigen Intervention zeigen wollte. Er zahlt den Preis dafür, wie schon seinerzeit, als er den verfolgten Salman Rushdie in seinem Haus versteckte