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Harry Potter und der Goldschatz

 

Daniel Radcliffe als Harry Potter/ © Warner Bros.

Der Zauberschüler hat viele Menschen reich gemacht. Wenn in der kommenden Woche der letzte Kinofilm startet, hoffen alle noch einmal auf das ganz große Geschäft

Von Susanne Gaschke

Ein aufregender Moment ist es, als Harry Potter erkennt, dass er gar kein mittelloses Muggel-Waisenkind ist! Sondern ein Junge, der erstens zaubern kann und zweitens schwerreich ist. In seinem Gringotts-Verlies türmen sich goldene Galleonen, silberne Sickel und bronzene Knuts – ein Vermögen!

Geld spielt eine große Rolle in den Harry Potter -Büchern: Harrys bester Freund Ron leidet sehr darunter, dass seine Familie wenig hat. Die Todesser, die Anhänger des bösen Lord Voldemort, stammen fast alle aus wohlhabenden Zauberer-Familien und verachten nicht nur die Muggel, sondern rümpfen auch über ärmere Zauberer ihre Nasen. Und Voldemort hat ein gewaltiges Problem mit der ärmlichen Herkunft seiner Hexen-Mutter.

In einem Interview ist Joanne K. Rowling, die Autorin der Harry Potter-Bücher, gefragt worden, warum Geld in den Geschichten ein so wichtiges Thema sei. »Ganz einfach«, sagte sie, »weil Kinder genau wissen, was Geld bedeutet.« Sie selbst fühle sich immer noch arm – erzählte sie kürzlich in einer Talkshow.

Doch das ist Joanne K. Rowling ganz gewiss nicht mehr. Heute ist sie reicher als jeder andere Mensch, der sein Geld mit dem Schreiben von Büchern verdient – reicher vielleicht sogar als die Königin von England. Auf mehr als eine Milliarde Dollar wird ihr Vermögen geschätzt. Ihre Geschichte klingt wie ein Märchen.

Dieses Märchen beginnt 1995 in der Stadt Edinburgh, wo Rowling mit ihrer kleinen Tochter lebte. Sie bekam Sozialhilfe vom Staat, um Wohnung und Essen bezahlen zu können. Ihre erste Harry Potter Geschichte schickte sie an viele Buchverlage, damit einer sie drucken und verkaufen sollte. Aber zuerst wollte niemand sie haben. Alle Verlage meinten, Harrys Abenteuer würden Kinder nicht interessieren. Was für ein Irrtum!

Auch beim Literaturagenten Arthur Little (solche Agenten helfen Autoren, Verlage für ihre Bücher zu finden) wäre die Geschichte fast im Papierkorb gelandet. Doch eine Mitarbeiterin fand, dass die Seiten so hübsch gebunden seien, und fischte das Manuskript (so nennt man ein noch nicht gedrucktes Buch) im letzten Augenblick aus dem Müll. Sie las es und war begeistert. Ihr Chef (der heute auch sehr reich ist) hörte auf seine Mitarbeiterin und half Joanne K. Rowling, beim englischen Verlag Bloomsbury angenommen zu werden.

Dieser Verlag hatte nicht viel mit Kinderbüchern zu tun und zahlte der Autorin deshalb für den ersten Band nur wenig Geld. Die Mitarbeiter sagten Rowling, sie solle sich keine großen Hoffnungen auf Erfolg machen. Noch so ein Irrtum! Heute sind von allen sieben Harry Potter-Büchern weltweit mehr als 450 Millionen Exemplare verkauft worden. Übersetzt wurden sie in 67 Sprachen. Es gibt kaum ein Land, in dem man Harry nicht kennt. Auch der Bloomsbury-Verlag verdiente großartig. Ebenso der Carlsen-Verlag in Hamburg, bei dem die deutschen Übersetzungen der Bücher erscheinen.

Aber warum wollten alle Kinder auf einmal Harry Potter lesen? Weil so viel Werbung gemacht wurde, würde man denken. Doch das Erstaunliche ist: Am Anfang, als von 1997 an die ersten drei Bände erschienen, gab es noch gar nicht viel Werbung. Es gab noch keine Filme (der erste kam 2001 in die Kinos), es gab viel weniger Sammelbildchen, Plastikbesen und Hagrid-Puppen als heute. Es gab nur die Bücher. Das bedeutet, dass die Geschichte sehr vielen Kindern so gut gefallen haben muss, dass sie allen ihren Freunden davon erzählten.

Wenn so etwas passiert, dann macht das Werbeleute sehr, sehr glücklich: Denn Menschen, die etwas kaufen wollen, hören am liebsten auf die Empfehlungen von Bekannten. Was Werbeprofis oft viel Arbeit kostet, klappte bei Harry Potter fast von selbst. Dabei half auch das Internet, das Ende der neunziger Jahre von immer mehr Kindern und Jugendlichen genutzt wurde. Auf eigenen Fan-Seiten schrieben sie ihre Meinung über Harry Potter oder überlegten, wie die Geschichte weitergehen würde.

Die Fans verdienten nichts an Harry, sie wollten einfach Spaß haben. Aber vielen anderen Menschen und Firmen bescherte der Zauberschüler fast magischen Reichtum. Zum Beispiel dem amerikanischen Medienkonzern AOL/Time Warner. Der sicherte sich das Recht, aus Rowlings Geschichten Filme zu machen – und Produkte zu den Filmen, also Spielfiguren, Bettwäsche, Zaubererumhänge und Ähnliches. Es darf sich nämlich nicht einfach jeder, der dazu Lust hat, einen Film oder ein Spielzeug zu einem Buch ausdenken. Der Autor hat schließlich die Geschichte erfunden. Er hat das sogenannte Urheberrecht, weil sie sein »geistiges Eigentum« ist. Deshalb darf er entscheiden, wer die Film- oder Produktrechte erhält – und er bekommt etwas von dem Geld ab, das mit dem Film oder der Bettwäsche verdient wird. In Rowlings Fall war das nicht nur etwas, sondern eine ganze Menge Geld.

Wenn nun in der kommenden Woche der wirklich allerletzte Film, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2, in die Kinos kommt, dann wird die »Marke« Harry Potter – also die ganze Welt aus Büchern, Hörbüchern, Kinofilmen, DVDs, Zeitschriften, Sammelbildern, Computerspielen, Schreibwaren, Geschirr, Kleidung und Spielzeug – unvorstellbare 15 Milliarden Dollar wert sein. Das schätzen Experten.

Auch drei Kinder, die heute junge Erwachsene sind, hat Rowlings Fantasie zu Millionären gemacht: Daniel Radcliffe, der im Film die Hauptrolle spielt, hat ein Vermögen von rund 47 Millionen Euro angehäuft, Emma Watson (Hermine) bringt es auf etwa 25 Millionen, Rupert Grint (Ron) auf 22 Millionen Euro. Viel, viel Geld.

Aber die drei haben auch zehn Jahre beim Drehen in zugigen Filmstudios verbracht, während ihre Freunde auf Klassenfahrt gehen, faulenzen und sich verlieben konnten. Ob es das wert war, werden Daniel, Emma und Rupert erst entscheiden können, wenn der große Rummel nach dem letzten Film vorbei ist. Dann wird sich zeigen, wie ihr Alltag ohne Harry aussieht. Joanne K. Rowling mag sich von dem Potter-Hype offenbar noch nicht verabschieden. Im Oktober soll eine große Zauberwelt im Internet online gehen. Dort will die Autorin zum Beispiel Teile der Geschichte veröffentlichen, die sie bisher geheim gehalten hat.

Doch egal wie sich die Vermarktung von Harry entwickelt, ihm selbst wird es gutgehen. Er braucht keine sprechenden Spardosen, blinkenden Internetspiele und auch nicht die Achterbahnen im Harry-Potter-Freizeitpark in Florida. Er hat sein Gringotts-Gold. Und er wird lebendig bleiben, solange irgendjemand – groß oder klein – eins seiner Bücher aufschlägt und sich in seiner Geschichte verliert.