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Mit Versace für den Frieden

Kongo mal anders: Auf der Website der BBC findet sich eine hübsche Foto-Reportage über kongolesische Immigranten in Südafrika, die nach den xenophobischen Ausschreitungen gegen Einwanderer im Mai 2008 nun in Johannesburg mit einem Mode-Turnier für „Multi-Kulti“ warben. Die Teilnehmer stehen ganz in der Tradition der „Sapeurs“, der Anhänger der „Societé des Ambianceurs et des Personnes Élégantes“ (S.A.P.E.). Zu deutsch: „Gesellschaft der Stimmungsmacher und eleganten Personen“.

Sape entstand in den 70er Jahren im „kleinen“ Kongo, in Brazzaville, schwappte über den Fluß nach Kinshasa und zusammen mit Musikstars wie Papa Wemba in die Clubs der Hauptstadt des „großen“ Kongo. Die Szene hat inzwischen graue Haare angesetzt (Papa Wemba feierte gerade seinen 60. Geburtstag), aber es gibt sie immer noch. Ein Sapeur kennt die aktuellen Entwürfe der teuersten Designer, kombiniert diese zu kühnen Outfits (irgendwo zwischen Harlem Hustler, britischem Dandy und Karl Lagerfeld). Der Sapeur verachtet zutiefst den Schlabberlook der globalen Hip-Hop-Szene und betet nicht zu Gott, sondern zu Versace, Armani oder Gaultier.

Nicht alle Kongolesen billigen diese Art, das ohnehin knappe Geld auszugeben.  Aber grundsätzlich gilt in Kinshasa auch für Nicht-Sapeurs (sofern sie nicht zu den ganz Elenden gehören): Chaos, Müll, Krieg und Korruption sind keine Entschuldigung für ungebügelte Hosen, fleckige Hemden oder löchrige Schuhe. Zumindest am Sonntag zum Gottesdienst werden viele Kinois zu kleinen Sapeurs wie das Bild des jungen Herrn zeigt, aufgenommen in einer Kimbanguisten-Kirche im Stadtteil Ngiri-Ngiri.

 

Mia, Madonna und die armen Afrikaner

Seit elf Tagen hungert die amerikanische Schauspielerin Mia Farrow für Darfur. Seit mehreren Monaten versucht die Pop-Sängerin Madonna, ein zweites Kind aus Malawi zu adoptieren. Farrow beschreibt ihr Fasten gegen Völkermord täglich auf ihrer Website und schildert mit der unbeirrbaren (Mit)Leidensfähigkeit einer Mutter Teresa, was der Hausarzt zu ihrem Gewichtsverlust sagt und was Barack Obama gefälligst endlich zur Regierung im Sudan sagen soll. Madonna lässt regelmäßig durch ihre PR-Agenten ausrichten, dass sie mit Adoptionen „Kinder aus dem Elend“ retten will und im übrigen mit ihrer Hilfsorganisation „Raising Malawi“ auch alle übrigen Waisen im Land.

Zwei berühmte Frauen mit so vielen guten Absichten! Warum bloß schwillt einem der Hals, wenn man sie reden hört?

Okay, es ist nicht fair, Mia Farrow und Madonna in einen Topf zu werfen. Die eine engagiert sich seit Jahren in Darfur, fährt in Flüchtlingslager, sammelt Geld, schreckt Kongress-Abgeordnete auf und protestiert nun mit Nahrungsverweigerung gegen die Ausweisung von 13 internationalen Hilfsorganisationen aus Darfur. Madonna hingegen rauschte erstmals 2006 auf einem ihrer Ego-Trips gen Malawi, setzte sich mit den Allüren einer Queen Almighty und vermutlich reichlich Geld über die nationalen Adoptionsgesetze hinweg und nahm einen Halbwaisen namens David, zu dem sie eine kosmische Beziehung zu verspüren glaubte, heim in ihren Kabbala-Fitness-Zirkus. Jetzt möchte sie ein malawisches Mädchen – koste es, was es wolle.

Mia Farrow, Madonna, Bono, Bob Geldof, Brangelina, George Clooney – die Liste der weißen Afrika-Freunde ist lang. Manche finanzieren sinnvolle Projekte, bei anderen darf man das bezweifeln. Manchen ist es ernst mit ihrem Engagement, andere schmücken sich mit Auftritten im Karitas-Jet-Set. Wenn sich David Bowie oder Gwyneth Paltrow mit aufgemalten „Stammeszeichen“ im Gesicht unter dem Motto „I am African“ fotografieren lassen, und das Ganze als Kampagne zur Rettung von Kindern in Afrika verkauft wird, dann ist das eben keine Form der Aufklärung, sondern der Rassismus der Gutmenschen. In diesem Fall der echt coolen Gutmenschen.

Pop-und Politstars bereisen Katastrophengebiete und adoptieren schwarze Babies „ungefähr so, wie meine New Yorker Freunde und ich ins Tierheim fahren, um Hunde zu adoptieren.“ Das schrieb Uzodinma Iweala, amerikanischer Schriftsteller und Sohn nigerianischer Eltern, im Sommer 2007 in einem viel beachteten Kommentar mit dem schönen Titel „Stop Trying To Save Africa“. Zu deutsch: Hört endlich auf, Afrika retten zu wollen.

Nichts gegen Solidarität und Hilfe für afrikanische Krisengebiete, sagt Iweala. „Aber man fragt sich wirklich, ob diese Hilfe aufrichtig ist oder ob damit die Überlegenheit der eigenen Kultur demonstriert werden soll.“ Er habe die Schnauze voll von Benefizkonzerten, Spendenmarathons und Wohltätigkeit-Galas, bei denen erst die afrikanischen Katatstrophen aufgezählt werden und dann irgendwelche weißen Prominenten berichten, was sie alles für Afrika getan haben.

Mia Farrow gehört nicht in diese Kategorie der edlen Selbstdarsteller. Sie gehört in die Kategorie der selbstdarstellenden Edlen. „Wenn die Medien durch mich einen Aufhänger haben, um an das Sterben in Darfur zu erinnern,“ schreibt sie in ihrem Blog, „dann hat sich die Sache schon gelohnt.“

Genau das ist ja das Problem. Wir brauchen immer noch weiße Gesichter, um Afrika zu sehen. Erst waren es die Missionare und Kolonialherren, jetzt sind es die VIP-Wohltäter. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen in Russland, Birma oder dem Iran geht, identifizieren wir uns problemlos mit Betroffenen aus diesen Ländern, mit einer Anna Politkowskaja, einer Aung San Suu Kyi oder einer Shirin Ebadi. Das heisst: wir erkennen an, dass diese Menschen nicht nur Opfer sind, sondern auch Handelnde. Wenn es um den Kongo, um Darfur oder Malawi geht, brauchen wir Angelina Jolie, Mia Farrow oder Bono. Als ob es dort keine Aktivisten gäbe, die sich wehren, sich kümmern, sich engagieren. Als ob dort nur eine Masse der Hilf-und Wehrlosen, der Infantilen vor sich hindämmert, denen weiße Amerikaner und Europäer unter die Arme greifen müssen.

„Raising Malawi – Malawi groß ziehen“ – so hat Madonna ihre Organisation genannt. Stellen wir uns doch mal vor, Youssou N’Dour, der Weltstar aus dem Senegal, würde in Deutschland eine Stiftung gegen Kinderarmut mit dem Namen „Raising Germany“ gründen und sich mit väterlichem Lächeln und weißen Babies im Arm fotografieren lassen? ‚Was bildet der sich ein‘, würden wir sagen. ‚Der spinnt wohl.‘

 

Der Sieg des Rebellen

Jawohl, es ist geschafft! Fast ein Jahr, nachdem Thomas Lubanga, Warlord aus dem Bezirk Ituri, aus dem Kongo in das Untersuchungsgefängnis des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, überstellt worden, hat das Gericht endlich beschlossen, ihn anzuklagen. Lubanga war Führer der ethnischen Miliz der Hema, die sich über mehrere Jahre im rohstoffreichen Ituri einen massenmörderischen Krieg gegen Angehörige der Lendu geliefert hatten (was eine verkürzte Darstellung des Frontverlaufs ist, aber das ist jetzt nicht das Thema). Nach langwierigem Vorverfahren soll der Prozess nun irgendwann im Frühsommer beginnen. Die Anklage beschränkt sich auf die Rekrutierung von Kindersoldaten.
Das zähe juristische Procedere gegen Lubanga stößt unter seinen Anhängern wie Gegnern in Ituri zunehmend auf Unverständnis. Abgesehen davon haben die Menschen in der Region andere Sorgen. Vor einigen Wochen zogen Soldaten der kongolesischen Armee (FARDC) plündernd durch die Bezirkshauptstadt Bunia, weil sie wieder einmal keinen Sold bekommen hatten. Im Hinterland kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen Armee und der Miliz eines übriggebliebenen, aber höchst agilen Kriegsherrn namens Peter Karim, wobei die Bevölkerung meist nicht weiß, wenn sie mehr fürchten muss: die Rebellen oder das Militär. Das führt uns wiederum zu einem altbekannten Mantra von Menschenrechtsorganisationen: Ohne eine wirkliche Reform der Armee geht im Kongo gar nichts.
Wo wir beim Thema Kriegsherren sind: Anders als Thomas Lubanga hat sich „le general“ sehr viel vorteilhafter aus der Affäre gezogen. Laurent Nkunda, selbsternannter Beschützer der ruandophonen Minderheit im Kongo und der starke Mann in der Provinz Nord-Kivu, galt als das letzte „große“ Hindernis im kongolesischen Friedensprozess. Nkunda, ein kongolesischer Tutsi, ist qua eigener Biografie ein Symbol für die katastrophale Verflechtung der Kriege im kleinen Ruanda mit denen im riesigen Kongo. Anfang der 90er aus dem Ostkongo nach Ruanda vertrieben, vertrieb er unter dem Kommando des jetztigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame jene Hutu-Milizen in den Kongo, die 1994 den Völkermord an 800.000 Tutsi in Ruanda organisiert hatten. 1996 rückte Nkunda mit der ruandischen Armee in sein Heimatland ein – dieses Mal als Jäger eben jener Massenmörder und als militärische Spitze einer multinationalen Truppe (mit abertausenden von Kindersoldaten), die den kongolesischen Diktators Mobutu stürzte und den abgehalfterten Rebellenführer Laurent Kabila an die Macht brachte. Als letzterer 1998 seine ruandischen Gönner vertrieb, reihte sich Nkunda sofort in die Reihen der neuen Rebellengruppe des RCD ein, kämpfte im „zweiten kongolesischen Krieg“, der das Land schließlich unter Beteiligung sämtlicher Nachbar-Armeen völlig zerstörte. Dem Friedensabkommen 2003 verweigerte er sich, zog sich stattdessen mit einigen tausend Soldaten in die Masisi-Berge in Nord-Kivu zurück, wo er ein Gebiet kontrollierte, das nach Ansicht der meisten Besucher besser verwaltet war als der Rest des Landes.
Unbestritten ist, dass es im Kongo einen politisch leicht zu manipulierende Rassismus gegen die ruandophone Minderheit gibt, der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in Gewalt entladen hat. Zweifelhaft ist, dass Nkunda der geeignete Fürsprecher für seine Bevölkerungsgruppe ist. Der Mann ist zwar gottesfürchtig und präsentiert sich angeblich jeden Sonntag als evangelikaler Pastor. Aber bekanntermassen halten viele in der einen Hand die Bibel und in der anderen die Kalaschnikow. Nkundas Truppen werden Massaker, Massenvergewaltigunen und Plünderungen vorgeworfen. Die kongolesischer Regierung hat einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, Human Rights Watch wiederholt seine Festnahme gefordert. Doch weil Nkunda weder durch die kongolesische Armee noch durch UN-Blauhelme zu schlagen und zu fassen ist, hat sich der frisch gewählte Präsident Joseph Kabila nun auf ein Abkommen mit dem „General“ eingelassen. Mitte Januar liess die kongolesische Armee verlauten, Nkunda würde sich ins südafrikanische Exil absetzen, seine Truppen würden in die kongolesische Armee integriert. Momentan sieht es eher so aus, dass einige Soldaten der FARDC den Einheiten Nkundas beigemischt werden und dieser sich nun als Führer einer politischen Partei etablieren möchte. Bis auf weiteres scheint ihm das zu gelingen. Thomas Lubanga wird es in seiner holländischen Zelle mit Neid verfolgen.

 

Hosenanzug und Redeverbot

Die Wahlen sind vorbei, jetzt fängt die Arbeit erst richtig an. Das dachten sich offenbar auch Kongos frisch vereidigte Abgeordnete und machten sich gleich nach der feierlichen Eröffnung des Parlaments daran, eine Hausordnung zu verabschieden. Artikel 61 befasst sich mit der Kleiderordnung – und die empfiehlt den weiblichen Abgeordneten „ein Kleid nach kongolesischer Art oder einen Rock mit Bluse oder Jacke“ zu tragen. Parlamentarierinnen, die in Hosen erscheinen, werden zwar nicht des Saales verwiesen, haben aber, Presseberichten zufolge, kein Rederecht. „Wir können den Verfall der Sitten durch eng anliegende, aufreizende Hosen nicht hinnehmen“, erläuterte der Abgeordnete Cyril Manzembele die neuen Regeln seinen verdatterten Kolleginnen. Von denen verwiesen einige etwas hilflos auf die gar nicht „schockierenden Hosenanzüge“ von Condoleeza Rice und Angela Merkel. Andere wie die Abgeordnete Vicky Katumwa, forderten die männlichen Volksvertreter auf, „endlich ihren Sexualtrieb unter Kontrolle zu kriegen.“ (Zur Verteidigung der Spezies Mann sei gesagt, dass auch einige Herren im Parlament gegen Artikel 61 protestierten.)
Zugegeben: der Kongo hat momentan größere Probleme als Monsieur Manzembeles Obsession mit engen Hosen. Aber sein heroischer Einsatz gegen den „Verfall der Sitten“ zeigt, welche Arbeit auf die Frauen in der neuen Nationalversammlung zukommt. 42 der 500 Abgeordneten sind weiblich. Die Kleiderordnung ist dabei noch ihr geringstes Problem. Schwerer wiegt, dass die Mehrheit der gewählten Volksvertreter nicht einmal gewillt war, einen Parlamentsausschuss für „Frauen-, Familien- und Jugendpolitik“ einzurichten.
Die kongolesische Zivilgesellschaft ist der Politik da schon um einiges voraus. Der Plünderkrieg der vergangenen Jahre hat enorm viele Opfer unter Frauen und Kindern gefordert, die Epidemie der sexuellen Gewalt hält ungehindert an, die klassische Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern ist durch Krieg und Staatszerfall längst zerstört.
Sofern ihre Kraft reicht, bleibt Frauen vielerorts gar nichts anderes übrig, als die Rolle der Ernährerin zu übernehmen, sich gegen Gewalt zu wehren, sich zusammenzuschließen, ein Leben „ohne Männer“ zu organisieren.
Das mag erklären, warum Monsieur Manzembele und die Mehrheit seiner Parlamentskollegen soviel Angst vor Frauen in Hosen haben.

 

John le Carré im Kongo

Bevor das Jahr vorbei ist, lassen wir das „kongolesische Wunder“ noch einmal Revue passieren: nach drei Jahrzehnten Diktatur, zwei Kriegen mit fast vier Millionen Toten haben die Kongolesen friedlich und geduldig einen Präsidenten, ein Nationalparlament und elf Provinzparlamente gewählt. Das gehört zu den globalen Höhepunkten des Jahres, auch wenn es wahrscheinlich in keinem Fernsehrückblick auftauchen wird.
Wie ging’s eigentlich weiter nach dem zweiten Wahlgang? Nun, Joseph Kabila liess sich am 6. Dezember vereidigen, verkündete in seiner Amtsansprache ein „wiedergeborenes Afrika“ und reiste kurz darauf zu einem regionalen Gipfeltreffen in die kenianische Hauptstadt Nairobi. Unter anderem Uganda, Angola, Sambia, Ruanda waren vertreten – kurzum, fast alle Regierungen , die jahrelang ihre Truppen zum Plündern in den Kongo geschickt hatten. Nun verhandelten sie über Kooperation, Sicherheit und Entwicklung der Region. Wie man sieht, müssen sich Zynismus und Fortschritt nicht ausschließen.
Joseph Kabila ist unterdessen wieder ganz mit innenpolitischen Problemen beschäftigt: Im Osten des Landes, in Nord-Kivu, sind UN-Truppen und kongolesische Armee in Kämpfe mit Rebellen des Kommandanten Laurent Nkunda verwickelt, einem der letzten Kriegsherren im Land, über den in einem der nächsten Blog-Einträge mehr zu sagen sein wird.
Und in Kinshasa ist pay back time. Alle Parteien und Gruppierungen, die Kabila vor dem zweiten Wahlgang in einem Bündnis um sich geschart hatte, wollen mit Posten und Ämtern belohnt werden, was die Regierungsbildung zu einer komplizierten Angelegenheit macht. Finanzen, Justiz, Wirtschaft, Bergbau – das sind Schlüsselressorts, deren personelle Besetzung Signale in die eine oder andere Richtung senden werden. Denn kongolesische und internationale NGOs beobachten nun gespannt, ob Kabila ernsthaft versucht, die grassierende Korruption und Veruntreuung staatlicher Gelder einzudämmen. Ein Beispiel: Von den 2,2 Milliarden Dollar, die die Weltbank seit 2001 in den Wiederaufbau des Landes gesteckt hat, sind schätzungsweise 500 Millionen Dollar veruntreut worden. Das sind die Dimensionen der Korruption à la Congolaise.
Dass der Kongo über einen enormen Reichtum an Bodenschätzen verfügt, ist eine Binsenweisheit. Die Frage ist, ob dieser Reichtum zum ersten Mal in der Geschichte des Landes der breiteren Bevölkerung zugute kommen wird. Unter der Erde liegen über 50 Prozent der weltweiten Kobalt- und 30 Prozent der weltweiten Diamantenvorkommen. Ausserdem Erze, Gold, Uran. Der Bergbausektor soll zum Motor des Wiederaufbaus werden. Doch die Weltbank schätzt, dass die kongolesische Übergangsregierung in den vergangenen drei Jahren 75 Prozent der Kupfer und Kobalt-Reserven an ausländische Konzerne verschleudert hat – zu Konditionen, die diversen Ministern und Beratern Millionen einbrachten, dem kongolesischen Staat aber nur Krümmel übrig lassen. In der Regel handelt es sich um Konzessionen mit einer Laufzeit von 35 Jahren.
Eine Untersuchungskommission unter Leitung des kongolesischen Abgeordneten Christophe Lutundula hatte schon 2005 gefordert, die meisten dieser Verträge zu annulieren. Das war mutig, blieb aber erfolglos. Ob die Integren unter den neu gewählten Parlamentariern gewieft und couragiert genug sind, um das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen, bleibt abzuwarten.
Immerhin haben die Korruptionsgegner auf internationaler Ebene prominente Verstärkung bekommen: Bestseller-Autor John le Carré, dessen neuer Roman „The Mission Song“ im Kongo spielt, hat sich mit der „International Crisis Group“ (deren fundierte Konfliktanalysen zu verschiedenen Ländern unter www.icg.org zu finden sind) zusammengetan und die fortgesetzte Ausbeutung des Kongo angeprangert. „Getting Congo’s Wealth To Its People“ heisst das Editorial, in dem Le Carré und die ICG fordern, die Verträge der Übergangsregierung mit ausländischen Konzernen neu zu verhandeln.“ Das wird ein Kampf gegen Giganten. Denn erstens soll das meiste Geld auf die Auslandskonten der „Kabila Boys“geflossen sein, Männer aus dem engsten Kreis des alten und neuen Präsidenten. Zweitens scheuen die internationalen Geberländer das Thema. Schliesslich profitieren in der Regel Konzerne aus den industrialisierten Ländern von solchen Verträgen. Und drittens will die Weltbank nicht offen zugeben, dass sie an diesem Desaster nicht unschuldig ist. Schließlich hat sie immer auf die Privatisierung der riesigen, ruinösen Staatsbetriebe des Kongo gedrungen – und dann versäumt, Alarm zu schlagen, als korrupte Politiker das letzte Küchensilber ihres Landes verscherbelten.
Was hilft? Vielleicht naming and shaming. Wie das geht, demonstriert unter anderem die britische Organisation Global Witness, die mit investigativen Recherechen den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsinteressen, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen offenlegt. In ihrem Bericht „Digging in Corruption“ über die Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen in der reichsten Provinz Katanga nennt sie ausländische Firmen, die solche Deals abgeschlossen haben: die US-amerikanischen Konzerne Phelps Dodge und OMG, die südafrikanische Firma Metorex oder der kanadische Konzern Tenke Mining.
Ebenfalls in Katanga hat gerade eine Koalition kongolesischer, britischer und australischer Menschenrechtler und Journalisten einen ersten Erfolg gelandet. In diesem Fall geht es nicht nur um Profitgier sondern auch um die mögliche Komplizenschaft bei einem Blutbad: Im Kampf gegen eine kleine Rebellengruppe im Südosten der Provinz massakrierte eine Einheit der kongolesischen Armee im Oktober 2004 etwa 100 unbewaffnete Zivilisten in Kilwa, einer Stadt unweit der Dikulushi-Bergwerke, wo Anvil Mining Congo, eine Niederlassung der australischen Anvil Mining Silber und Kupfer fördert. Nach den Recherchen kongolesischer Menschenrechtler und UN-Ermittler vor Ort versorgten Angestellte des Konzerns die Soldaten mit Geld, Verpflegung und halfen beim Verscharren der Leichen. Die Konzernleitung nahm zu den Vorwürfen erst Stellung, nachdem das australische Fernsehen über das Geschehen in Kilwa berichtet hatte. Sie gab zu, der Armee logistische Hilfe geleistet zu haben, erklärte aber, unter Zwang und ohne jedes Wissen über eine bevorstehende Militäroperation gehandelt zu haben. Vor dem Militärgericht in Katangas Hauptstadt Lubumbashi hat am 12. Dezember der Prozess gegen die verantwortlichen Armee-Offiziere begonnen. Die Anklage lautet auf Kriegsverbrechen gemäß der Definition der Genfer Konvention. Anvil Mining Congo und drei ehemalige Angestellte stehen ebenfalls wegen Beihilfe vor Gericht. Britische und kongolesische NGOs werden den Verlauf des Prozesses beobachten – und in Australien ermittelt inzwischen die Bundespolizei gegen Anvil Mining.
Auch so kann Globalisierung funktionieren.
In diesem Sinne ein gutes neues Jahr an alle Leserinnen und Leser des Kongo-Blogs.

 

Hilfe für die Frauen im Kongo

Was kann man tun?
Das fragen sich viele Leserinnen und Leser angesichts der Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen im Kongo (siehe zum Beispiel der Kongoblog-Eintrag vom 6.11.2006 und www.zeit.de/2006/50/Kongo ) Die Antwort steckt in der nächsten Frage:
Was wird bereits getan?
Das sind zunächst die beiden medizinischen Zentren im Ost-Kongo, die sich auf die Behandlung von Opfern sexueller Gewalt – überwiegend Frauen, aber auch Männer – spezialisiert haben. Das Panzi-Hospital in Bukavu (Provinz Süd-Kivu) bietet seit 1999 medizinische und psychologische Betreuung für die oft schwer verletzten und schwer traumatisierten Patientinnen an. Das Hospital erhält zwar Geld von der Europäischen Union und der christlichen Hilfsorganisation PMU Interlife aus Schweden. Doch die Kapazitäten sind mehr als ausgelastet, es fehlen Mittel für mobile medizinische Teams, die Frauen in entlegenen Dörfern erreichen können. Mehr Informationen über die Arbeit des Hospitals sowie über Möglichkeiten, zu spenden, findet man auf der Website des Krankenhauses: www.panzihospitalbukavu.org
Oder auf der Website von PMU Interlife: www.pmu.se/english/
In Goma, Provinz Nord-Kivu, versorgen Mediziner und Psychologen der Organisation DOCS HEAL Africa (DHA) Opfer sexueller Gewalt. Dieses Projekt hat seine Wurzeln in einem amerikanisch-kongolesischen Trainingsprogramm für Mediziner. Wie in Bukavu haben auch die Ärzte in Goma in den vergangenen Jahren tausende von vergewaltigten Frauen behandelt, die zum Teil schwere innere Verletzungen erlitten hatten. DHA versteht sich wie das Panzi-Hospital als christliche Einrichtung und arbeitet unter anderem mit der Protestant Women’s Federation zusammen. Neben medizinischer und psychologischer Betreuung organisiert DHA in Schulen Aufklärungskampagnen über sexuelle Gewalt. Mehr Informationen gibt es unter: www.healafrica.org

Was aber geschieht mit den vergewaltigten Frauen, die weder die Kraft noch das Geld haben, um eines dieser beiden Krankenhäuser zu erreichen?
Oder die aus Scham und Angst niemandem von der Vergewaltigung erzählen? Schon während des Krieges haben Frauen in mehreren Dörfern und entlegenen Regionen kleine Selbsthilfegruppen gegründet. Sie beraten Opfer sexueller Gewalt, intervenieren oft erfolgreich, wenn Ehemänner ihre von Milizen vergewaltigten Frauen verstossen.
Die Hilfsorganisation Malteser International fördert diese lokalen Beratungsstellen in der Provinz Süd-Kivu und dem Bezirk Ituri. Inzwischen gibt es 28 solcher Beratungsstellen, die an örtliche Gesundheitseinrichtungen angeschlossen sind. Allein in diesem Jahr haben rund 10.000 Mädchen und Frauen dort Hilfe gesucht haben. Mehr Informationen (inklusive die Nummer des Spendenkontos) findet man unter: www.malteser.de/61.Malteser_International/default.htm
Hilfe zur Selbsthilfe lautet auch das Motto der Organisation medica mondiale, die seit Jahren Frauen in Kriegs-und Krisengebieten unterstützt. Im Kongo kooperiert medica mondiale mit der Frauenorganisation PAIF (Promotion et Appui aux Initiatives Feminines) und dem Frauenreferat der Baptistischen Gemeinde in Zentralafrika. Beide vermitteln vergewaltigte Frauen an Krankenhäuser und Therapeuten und gewähren den Betroffenen nach den ärztlichen Behandlung Kleinkredite, damit diese sich eine eigene Existenz (wieder)aufbauen können. Denn in der Regel sind die Vergewaltigungen Teil eines Plünderzugs bewaffneter Gruppen. Das heißt: die Frauen haben alles verloren – Saatgut, Werkzeug, Haushaltsgüter, Kleider. Mehr Information unter: www.medicamondiale.org/projekte/drkongo/

 

Here Come The Marines

Möge der Blitz alle Moskitos von Kinshasa erschlagen. Denn es war eine Hauptstadtmücke, die mir die Malaria verpasst hat. „C’est positif“, sagt der Laborant in Bukavu und drückt mir das Testergebnis in die Hand: Malaria Tropica, im Volksmund „le palu“ genannt. Ein sehr freundlich klingender Spitzname für dieses Biest.
Das Gefühl müder Knochen vor zwei Tagen hatte ich noch als normale Begleiterscheinung einer Kongo-Reise abgetan, das Fieber und die Gliederschmerzen in der vergangenen Nacht sind eindeutige Symptome. Meiner Interviewpartnerin für den nächsten Morgen sage ich mit kläglicher Stimme ab, worauf diese mir nicht nur gute Besserung wünscht, sondern spontan erklärt: „In einer Viertelstunde hole ich Sie ab und bringe Sie ins Labor.“ Mein Glücksfall heisst Ursula Mesmer, Krankenschwester aus Zürich und Mitarbeiterin von Malteser International in Bukavu, die nicht nur ein Auto hat, sondern auch die richtige Adresse weiß: „Biosadec“, ein Gesundheitszentrum an der Ausfallstrasse zur ruandischen Grenze. Abgesehen davon, dass die Zimmerdecken vom Regen durchweicht sind, läuft hier alles sauber und effizient ab. Der Bluttest kostet einen Dollar. Das können sich auch manche Kongolesen leisten. Der Preis für die Anti-Malariamittel in meiner Reiseapotheke hingegen entspricht hier sechs Monatsgehältern. Die nächsten drei Tage fahre ich das gesamte Arsenal auf: täglich vier Tabletten hinunterkippen und „Here come the Marines“ hinterherrufen.
Nach zwei Tagen sind Fieber und Gliederschmerzen verschwunden, in der dritten Nacht träume ich von Schokolade, am dritten Morgen bin ich wieder auf den Beinen, wenn auch im Tempo einer Greisin. „1:0 für die Marines“, denke ich und fliege weiter nach Bunia im Nordosten des Kongo, wo mich nachts ein Hustenanfall nach dem anderen durchrüttelt.
Also sitze ich am nächsten Morgen im Wartezelt des Hospitals von „Medecins Sans Frontieres“ und werde von Dutzenden kongolesischer Mütter gemustert, die mit ihren Kindern auf den Arzt warten, und sich vermutlich denken: „Seit wann werden hier die Weissen krank?“
„Husten?“ fragt kurz darauf der Arzt. „Das ist eine Nebenwirkung der Malaria-Tabletten. Machen Sie sich mal keine Sorgen.“ Ich schleiche halb erleichtert halb beschämt wie ein ertappter Hypochondrier zum Ausgang, wo sonnenbebrillte Jugendliche mit Motorradtaxis auf Kunden warten.
Viele sind ehemalige Milizionäre, die noch vor ein paar Jahren die Stadt in Schutt und Asche gelegt haben. Das Taxigeschäft ist ihr Wiedereinstieg in ein Leben ohne Kalaschnikow. „Gegen Malaria weiss ich was“, sagt John, der ein chinesisches „Senke“-Motorrad fährt und eine Mütze mit Kabila-Aufkleber trägt, was mein müdes Hirn daran erinnert, dass hier Wahlen stattgefunden haben. „Nehmen Sie Chinin, bis Ihnen so richtig schlecht wird. Dann ist das alles kein Problem.“ Ich bedanke mich für den Tip und gebe ihm Trinkgeld.

 

Der Krieg gegen die Frauen

Air MONUC sei Dank: Die Reise von Kinshasa nach Bukavu, vom Westen des Kongo an die Ostgrenze, dauert nur vier Stunden. Das Flugzeug ist eine solide aussehende Boeing 727, die russischen Piloten wirken stocknüchtern im Gegensatz zu ihren Landsleuten, die im Kongo mit altersschwachen Propellermücken auf eigene Rechnung Menschen, Tiere und Waren transportieren. Die UN-Flotte von Passagier- und Transportmaschinen hat dieses zerrissene Riesenland wenigstens an einigen Stellen wieder vernetzt.
Air MONUC befördert nicht nur UN-Personal, sondern, wenn Platz ist, auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, kongolesische Abgeordnete, Wahlhelfer, Journalisten. Und zwar umsonst. Hin und wieder muss man über die UN-Mission im Kongo Gutes verbreiten. Kritisiert und verschmäht wird sie oft genug.
Bukavu liegt in einer traumhaft schönen Region des Landes. „Die kongolesische Schweiz“, nennen sie manche. Berge und eine Kette großer Seen ziehen sich an der Ostgrenze entlang. Die Landschaft bietet sattes Grün in allen Nuancen. Maisfelder, Palmen, Avocado-und Banenenbäume. Marktstände voller Zwiebeln, Tomaten, Süßkartoffeln, Maniok und Zuckerrohr. Die Luft ist klarer und kühler. Eine Labsal nach sieben Tagen im drückend feuchten, moskitoverseuchten Kinshasa – vorausgesetzt, man vergisst, dass der Krieg hier und nicht in der Hauptstadt getobt hat. Für die Frauen im Osten ist er immer noch nicht zu Ende.
Jeden Tag zieht eine Karawane neuer Opfer in Bukavu den Hügel hinauf zum Panzi-Hospital, einer aufgeräumten Ansammlung von Steinpavillons. Frauen in Wickelröcken und Gummisandalen, die Kopftücher mit Witwe-Bolle-Knoten über der Stirn befestigt. Manche laufen gekrümmt, manche werden von Verwandten getragen, manche gehen abseits, weil sie nach Urin und Kot stinken. Sie kommen aus Kalehe, aus Kitutu oder Buniakiri, aus den Kleinstädten und Dörfen der Provinz Süd-Kivu, wo keine Blauhelme stationiert sind, und Hilfsorganisationen sich nur selten hinwagen.
Hier kontrollieren immer noch Hutu-Milizen große Gebiete. Das sind Angehörige jener „Interahamwe“, die 1994 in Ruanda innerhalb weniger Wochen 800.000 Tutsi ermordeten, bevor sie vor einer Tutsi-Rebellenarmee über die Grenze in den Kongo flohen. Der Genozid in Ruanda war der Auftakt des Massensterbens im Nachbarland. Was als ruandisch gesteuerte Intervention gegen die Interahamwe und das Hutu-freundliche Mobutu-Regime begann, mündete in einen Plünderkrieg unter Beteiligung von sechs Nachbarländern, Dutzenden von Warlords und ausländischen Rohstofffirmen. Soviel in aller Kürze zum „afrikanischen Weltkrieg“, an dessen Folgen fast vier Millionen Menschen gestorben sind, überwiegend Zivilisten.
In keinem anderen Krieg wurde Vergewaltigung so systematisch und brutal als militärische Strategie eingesetzt. Seit dem Friedensabkommen 2002 geschieht das Morden im Osten nur noch sporadisch. Die sexuelle Gewalt aber geht ungehindert weiter.
Alle Patientinnen, die laufen können, sehe ich an diesem Morgen beim Frühgottesdienst. Ein Studentenchor singt Kirchenlieder. „Ein bißchen was zur Aufmunterung“, sagt der Leiter des Krankenhauses, Doktor Denis Mukwege. Gut 200 Frauen drängen sich auf den Bänken, ziehen die Schultertücher enger, weil es kühl ist an diesem Morgen, murmeln immer lauter „Amen“, als der Prediger in Fahrt gerät, eine krümmt sich, schreit etwas heraus, die meisten recken einen Arm gen Himmel, andere verstecken ihre abgestorbenen Hände im Schoss. Ihre Vergewaltiger haben sie wochenlang an Bäume gefesselt und jede Blutzufuhr unterbrochen. Das ist ein Markenzeichen der Hutu-Rebellen.
Mukwege klopft ungeduldig auf seine Armbanduhr, weil der Prediger seine Redezeit von fünfzehn Minuten überzieht. Doktor Mukwege hat heute zehn Operationen auf dem Plan. Bei einigen Patientinnen muss er am Harn- und Darmtrakt operieren, damit die Frauen wieder Urin und Stuhlgang kontrollieren können. Das Stigma der Vergewaltigung ist schon schlimm genug. Wenn die Opfer auch noch stinken, stösst die Dorfgemeinschaft sie aus wie Lepra-Kranke. Bei anderen sind Beckenbrüche zu richten, Fisteln zu entfernen. Die Behandlung ist kostenlos, das Krankenhaus für kongolesische Verhältnisse gut ausgestattet, das Geld kommt größtenteils von ECHO, dem Nothilfebüro der Europäischen Kommission.
„Wissen Sie, was ich mache, wenn es zu schlimm wird?“ Doktor Cecile Mulolo springt von ihrem Stuhl auf und demonstriert ihre Gymnastikübungen. „Und dann mache ich mentales Trainung. Ich atme tief durch uns sage mir zehn Mal: ‚Du musst Deine Gefühle im Zaum halten, Du musst Deine Gefühle im Zaum halten.“ Mulolo ist die Chefpsychologin am Panzi-Krankenhaus, eine 33 jährige Mutter von zwei Kindern. Seit ein paar Monaten sind es drei, weil sie eine 14-jährige ehemalige Patientin bei sich aufgenommen hat. Doktor Mulolo hört sich die Geschichten der Frauen an, sie teilt ihnen mit, wie der AIDS-Test ausgefallen ist, sie sitzt stundenlang bei denen, die sich umbringen wollen, sie redet auf die Ehemänner ein, ihren Frauen beizustehen – auch wenn sie jetzt „beschmutzt“ sind.
Ausser Cecile Mulolo gibt es nur noch eine Psychologin in Bukavu, die auf Trauma-Therapie spezialisiert ist. Bei der redet sie sich den Horror von der Seele, denn manche Geschichten werden zu ihren eigenen Alpträumen. Die von Mama Mosambi zum Beispiel, der 36 jährigen Mutter aus Kitutu, der Hutu-Rebellen heiß geschmolzenes Plastik in die Vagina gossen, weil sie bei der Vergewaltigung gebissen und gespuckt hatte. Oder die von Mama Zawadi, der siebenfachen Mutter aus Buniakiri, die mit vier Familienangehörigen von Hutu-Rebellen entführt wurde, tagelang vergewaltigt wurde, und fliehen konnte, als man sie zwingen wollte, das Fleisch ihrer ermordeten Cousine zu essen. „Dahinter steckt immer das gleiche Ziel“, sagt Doktor Mulolo. „Wenn man die Frauen zerstört, zerstört man die Familie und irgendwann auch das ganze Dorf.“
Die Tür zu ihrem Büro geht auf, ein Patientin will sich verabschieden. Sie wird nach drei Monaten entlassen. Jetzt steht sie kerzengerade da, drückt lange die Hand der Psychologin. Doktor Mulolo sieht mich an, deutet auf die Frau. „Darf ich vorstellen: Mama Zawadi.“ Ich erkenne sie wieder, und frage sie, was sie beim Morgengottesdienst so verzweifelt gen Himmel geschrien hatte. „Gott war lange Zeit sehr weit weg,“ antwortet sie, „ich wollte ihm nur zeigen, dass ich ihn nicht vergessen habe.“ Das Krankenhaus hat ihr ein paar Dollar für die Rückreise nach Buniakiri mitgegeben.
Es ist eine Reise ins Ungewisse. Sie weiss nicht, wie man sie dort aufnehmen wird, ob immer noch Hutu-Rebellen in der Gegend sind. Sie nimmt meine Hand, bedankt sich auch bei mir. Weil ich die einzige „Muzungu“, die einzige Weisse, weit und breit bin, ordnet sie mich automatisch jenen zu, die dieses Krankenhaus bezahlen. Und sie möchte eine Bitte aussprechen. „Madame, schicken Sie Soldaten hierher, damit das endlich aufhört.“ Mir fällt nichts anderes ein, als ihr viel Glück zu wünschen, was in meinen Ohren wie der blanke Hohn klingt. Sie nickt dankbar und geht.

 

Skulpturen aus Kriegsschrott

Zuerst eine Anmerkung in eigener Sache: Das Kongo-Blog geht weiter – auch wenn ich inzwischen wieder in Deutschland bin. „In einer Woche sind Sie eh wieder hier“, sagte mir ein UN-Mitarbeiter vor dem Abflug aus Kinshasa. „Hier brodelt’s und ich weiß nicht, ob wir das unter Kontrolle bekommen.“ Der Mann gehörte bislang zu den notorischen Optimisten, doch jetzt hatten ihm die giftige Gerüchteküche in Kinshasa, die Betrugsvorwürfe zahlreicher Präsidentschaftskandidaten und die militanten Drohgebärden aus verschiedenen politischen Lagern offensichtlich zugesetzt.

Nun, Kinshasas Strassen sind bislang weitgehend ruhig geblieben, ich kann mir mit dem nächsten Besuch vielleicht noch Zeit lassen, aber die Stimmung ist, gelinde gesagt, ernüchtert. Die Auszählung der Stimmzettel für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen kriecht im Schneckentempo voran. Dass bis nächsten Sonntag ein vorläufiges Endergebnis vorliegen soll, mag man glauben oder nicht. Der Amtsinhaber Joseph Kabila führt nach der Auszählung von nicht einmal der Hälfte der Wahlbezirke mit 51 Prozent, sein Erzfeind Jean-Pierre Bemba liegt bislang bei 19 Prozent – all das heißt noch wenig, weil die Ergebnisse aus Kinshasa noch nicht bekannt sind. Immer mehr Unregelmäßigkeiten und Fälschungsversuche werden gemeldet, immer mehr Präsidentschaftskandidaten schreien „Betrug“ – ob zu Recht oder Unrecht, wird man vielleicht nie genau feststellen können. Am schnellsten haben wieder mal die Strassenhändler in Kinshasa reagiert: Sie verkaufen „offizielle Endergebnisse“, selbst fabriziert und kopiert, wobei es sich hier weniger um politische Propaganda als um ökonomische Selbsthilfe handelt. „Sehen wir es mal positiv“, sagt Freddy, „es wird nicht geschossen.“
Freddy hatte ich noch kurz vor meinem Abflug in Kinshasa erwischt, seine Telefonnummer trug ich schon seit Monaten herum. Er sei Kinshasas eigenartigster Bildhauer, hatte ich gehört, und mache in seinem Atelier in Matonge Skulpturen aus Munitionsresten.
Der Mann heißt mit vollem Namen Freddy Bienvenu Tsimba, sein Atelier liegt im Stadtteil Matonge, was Monsieur Vicky, meinem Taxifahrer, gar nicht passte, weil Matonge in seinen Augen das „Zentrum der Diebe und Gangster“ ist. Monsieur Vicky ist nicht nur sehr gottesfürchtig, sondern meines Wissens der einzige Kongolese, der sich beim Autofahren anschnallt. Insofern ist sein Urteil nicht wirklich repräsentativ. Für Freddy ist Matonge das „Herz von Kinshasa“, das Zentrum der Künstler, der Live-Musik, der Kneipen und damit des Lebens schlechthin. Also genau der richtige Ort für sein Atelier, auch wenn diese Bezeichnung etwas übertrieben ist, denn Freddy schweißt, biegt, hämmert, schleift und lötet in einem anderthalb Meter breiten Gang zwischen zwei Hausmauern. Er arbeitet gern mit Bronze, in der Ecke steht seine Skulptur „Paradoxe Conjugal“: eine Frau, das Kind auf dem Rücken, stemmt mit beiden Armen den schlaffen Körper ihres Mannes in die Luft. „Eheliches Paradox“ – eine Hommage an den täglichen Überlebenskampf der kongolesischen Frauen, die Kinder und Männer von einem Tag in den nächsten ziehen. Die Figuren sind dünn und langgliedrig, die Köpfe seiner Skulpturen nehmen sich oft aus wie kubistische Verfremdungen kongolesischer Holzmasken. „Man merkt den Einfluss von Giacometti“, sagt Freddy, ein kleiner, dünner Mann mit zauseligem Vollbart und einem Diplom der Akademie der schönen Künste in Kinshasa, „und natürlich von Nginamau.“ Letzteren kenne ich zu meiner Schande nicht, obwohl er zu Kongos berühmtesten Künstlern zählt.

Der Bildhauer Freddy Tsimba mit seiner Skulptur „La Chute des Dictateurs“ – Foto: Andrea Böhm

Vor sechs Jahren war Freddy Bienvenu Tsimba die Idee gekommen, Kriegsschrott zu sammeln. Er war mit dem Schiff den Kongo flussaufwärte gefahren, um die Geschichte von Flüchtlingen aus Kisangani nachzuverfolgen, die der Krieg bis nach Kinshasa getrieben hatte. In Kisangani verlor er ihre Spur und fand stattdessen kiloweise den Müll des Krieges: Abertausende rostiger Hülsen von Geschossen, die er in Maniokkörben zurück nach Kinshasa schmuggelte und zuhause zu kniehohen Haufen aufgetürmt hat. In seiner „Galerie“, einer winzigen dunklen Kammer neben seinem „Atelier“, hängen fertige Werke, zum Beispiel „Silhouettes Effacées“, die „ausgelöschten Schattenbilder“, schwangere Frauenkörper, die auf den ersten Blick schön und wohlgeformt aussehen und mit jeder weiteren Sekunde immer mehr verstören. Freddy hat sie aus hunderten von Patronenhülsen zusammengeschweißt.
daneben baumelt an einer Kette „La Chute des Dictateurs“, die „Sturzfahrt der Diktatoren“, ein am Vorderreifen aufgehängtes Motorad, auf den Sitz ein bronzener Affenschädel geschweißt, zwischen Lenker und Fußrasten ein offensichtlich im Sturz befindlicher Körper aus Granathülsen, das eine Bein gen Himmel gestreckt und mit einem löchrigen Lederschuh geschmückt. George Grosz hätte seine Freude daran gehabt.
„Was sagen denn Ihre Nachbarn zu Ihrer Arbeit?“ Rechts hört man Kneipenlärm, links hämmern Schreiner.
„Die halten mich für bekloppt, weil ich das Motorad an die Decke hänge, anstatt es zu reparieren.“
Geld verdient er natürlich kaum. Für die kongolesische Oberschicht ist solche Kunst ein Affront, und die UN-Mitarbeiter suchen auf ihrer Souvenierjagd nach tradionellen Holzmasken, nicht nach moderner kongolesischer Kunst. Aber hin und wieder winkt ein Stipendium. Manchmal kann er ein Stück in einem der vornehmen Hotels von Kinshasa ausstellen, oder wird sogar ins Ausland eingeladen. In Dakar ist er gewesen, in Port-au-Prince, Ottawa, Brazzavile, Béziers, Brüssel, vor drei Jahren sogar im Libanon. „Beirut war schön“, sagt Freddy, „jetzt könnte ich da nur Nachschub an Rohmaterial holen.“ Das Reisen wird zunehmend schwieriger. Jedesmal muss er stundenlang mit Zöllnern diskutieren, die wie Minenhunde um seine Skulpturen schlichen, nicht glauben wollend, dass hier der Müll des Krieges und nicht dessen Sprengstoff verladen werden soll. Ganz zu schweigen von den Mühen, ein Visum für das europäische Ausland zu bekommen. „Die glauben immer, ich will heimlich bei ihnen einwandern.“ Die Vorstellung findet Freddy so abwegig, dass er kichern muss. In diesem Jahr will er in Frankreich ausstellen. Es wird schon klappen. Irgendwie.