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Der „Islamische Staat“ verliert seine Nummer zwei

 

Die Nachricht war denkbar knapp: „Märtyrertod des Scheichs Abu Mohammad Al-Adnani, des offiziellen Sprechers des ‚Islamischen Staates‘, während der Überwachung von Maßnahmen zur Zurückschlagung der militärischen Angriffe auf Aleppo“. Um 19.47 Uhr am Dienstagabend verbreitete die dschihadistische, mit dem IS verbündete Propagandastelle Amak diese Meldung unter Berufung auf „militärische Quellen“, worunter der IS selbst zu verstehen ist. Eine unabhängige Bestätigung für den Tod Al-Adnanis steht aus; aber Amak-Meldungen haben sich in den letzten Monaten meistens bewahrheitet. In der dschihadistischen Szene wird die Nachricht denn auch nicht angezweifelt.

Für den IS ist der Tod ihres Sprechers eine herber Rückschlag: Niemand sonst aus dem Inneren der Terrorgruppe war präsenter. Mehrere Terroristen, die im Westen zugeschlagen haben, beriefen sich auf seine Aufrufe, den Terror in die Welt zu tragen. In den Onlinemedien des IS, ob Magazine oder Videos, war Al-Adnani der am häufigsten zitierte Repräsentant der Terrorgruppe. Immer wieder erklärte er die Strategie und Taktik des IS – mal indem er dazu aufrief, alle denkbaren Waffen gegen die „ungläubigen“ Schiiten einzusetzen; mal indem er von Anhängern des IS verlangte, sich ins „Kalifat“ in Syrien und im Irak zu begeben, um diesen „Staat“ mit aufzubauen; mal indem er theatralisch zu Gewalttaten auf der ganzen Welt aufrief, was zum Beispiel so klang: „Du musst die Soldaten, Patronen und Truppen der Tawaghit (Unterdrücker, YM) angreifen. Greife ihre Polizei-, Sicherheits- und Geheimdienstmitarbeiter (…) an. Mache ihnen ihr Leben bitter (…). Wenn du einen ungläubigen Amerikaner oder Europäer (…) oder einen Australier oder einen Kanadier (…) töten kannst, dann vertraue auf Allah und töte ihn auf jede mögliche Art und Weise.“

Im August 2011 war Al-Adnani erstmals als Sprecher der Vorläuferorganisation des heutigen IS in Erscheinung getreten. Unbestätigten Informationen zufolge lautete sein wahrer Name Taha Subhi Falaha. Er soll Syrer gewesen sein. Schon im Anschluss an den 2003 begonnenen Irak-Krieg soll er bei dschihadistischen Gruppen im Irak gekämpft haben, die später mit den Vorläufergruppen des IS verschmolzen. Zwischen 2005 und 2010 soll er inhaftiert gewesen sein.

Al-Adnanis Bedeutung ging deutlich über die eines Sprechers hinaus. Im August 2013 war er laut mehreren Quellen, darunter ehemaligen IS-Kämpfern, zum ranghöchsten IS-Mann in Syrien ernannt worden. In den letzten Jahren erhärtete sich die Vermutung, er sei zudem verantwortlich gewesen für die Planung von Anschlägen im Westen. Ein angeblicher IS-Aussteiger behauptete vor einigen Monaten gegenüber französischen Sicherheitsbehörden, Al-Adnani habe ihn und drei weitere Männer mit der Begehung von Anschlägen in Deutschland beauftragt. Dieser Fall, in dem es um angebliche Überlegungen ging, einen Anschlag in der Altstadt von Düsseldorf zu begehen, bleibt mysteriös; dass der angebliche Aussteiger den Namen Al-Adnanis ins Spiel brachte, alarmierte damals die Polizei aber in besonderer Weise. Einige Analysten gehen davon aus, dass Al-Adnani auch bei den Anschlagsplanungen in Paris und Brüssel eine Rolle gespielt hat.

In welcher Rolle Al-Adnani für den IS wichtiger war – als wortmächtiger Oberpropagandist oder als mutmaßlicher Anschlagsplaner – ist von Außen schwer zu beurteilen. Dass sein Verlust die Organisation schwächt, steht außer Frage. De facto dürfte er die Nummer zwei unter dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi gewesen sein.

Andererseits glauben dschihadistische Terrorgruppen nicht daran, dass einzelne Kader unersetzlich seien. Ob IS-Gründer Al-Sarkawi (getötet 2006) oder Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden (getötet 2011): Die Dschihadisten hoben stets hervor, der Kampf zähle, nicht der Mann. Ohne Zweifel wird der IS es im Falle von Al-Adnani genauso halten, auch wenn er gewiss die eine oder andere Märtyrerlobpreisung veröffentlichen wird.

Davon abgesehen ist der Tod Al-Adnanis allerdings ein Hinweis darauf, dass der IS militärisch immer stärker unter Druck gerät. Zwar enthält die Mitteilung von Amak keine Details über die Umstände des Todes, und es sieht nicht danach aus, als sei er gezielt getötet worden. Die Tatsache aber, dass mehrere hochrangige Führer des IS in den vergangenen Monaten getötet wurden, dürfte Auswirkungen auf den IS haben.