Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die DDR-Zwangsarbeiter waren nicht allein

 

Ikea, Aldi, Quelle, Siemens und etliche andere: Von Zwangsarbeit in der DDR haben mehr als 6.000 westdeutsche und andere andere ausländische Unternehmen profitiert. Bis zu 30.000 Strafgefangene, unter ihnen viele politische Häftlinge, mussten in DDR-Gefängnissen für westliche Firmen arbeiten.  Das belegt ein Forschungsbericht, der vor wenigen Tagen in Berlin vorgestellt wurde. Ikea hatte den Bericht in Auftrag gegeben, nachdem vor zwei Jahren entsprechende Vorwürfe gegen das schwedische Möbelunternehmen bekannt geworden waren.

Das Gebaren der Behörden der DDR kann nicht wirklich überraschen. Denn es steht außer Frage: In der DDR wurden Oppositionelle überwacht, politisch verfolgt und zum Teil zu unverhältnismäßigen Strafen verurteilt. Dazu kam eine größere Zahl von Gefangenen, die man im weiteren Sinne ebenfalls als „Politische“ bezeichnen kann, beispielsweise die Angehörigen von Subkulturen wie der schwulen Szene, die wegen sogenannten Asozialen Verhaltens ins Gefängnis gesteckt wurden.

Aber auch diejenigen, die wegen anderer Straftaten einsaßen, litten zum Teil unter einem menschenunwürdigen Strafvollzug. Es verwundert daher nicht, wenn diese Praktiken heute im Kontext der Produktion für Westfirmen noch einmal ans Tageslicht kommen. Es sollte allerdings eine Mahnung an DDR-Nostalgiker sein, die berechtigte Kritik an heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mit einer Glorifizierung der autoritären Verhältnisse von damals einhergehen zu lassen.

Es überrascht auch nicht, dass Ikea und andere Unternehmen gerne und ohne größere Nachfragen billige Arbeitskraft aus DDR-Gefängnissen in Anspruch nahmen. Auch heute noch funktioniert die „Wie sollten wir das wissen?“- Verteidigung. Westliche Konzerne gewinnen heute wie damals an vielen Orten der Welt Rohstoffe nur um den Preis von Menschenleben, sie kooperieren mit verbrecherischen Regimes und beuten in Ländern wie Vietnam und China Gefangene aus.

Nun hat Ikea laut Zeitungsberichten 120.000 Euro für die Studie gezahlt – , doch an Entschädigungszahlungen an die damals Ausgebeuteten denkt der Konzern offenbar nicht. Allenfalls wenn unter der Ägide der Bundesrepublik ein Fonds geschaffen würde, an dem sich auch andere Firmen beteiligen, wolle man zahlen.

Man muss dem bundesdeutschen Staat zugute halten, dass er einen Teil derjenigen, die grobes Unrecht durch den DDR-Staat erlitten, rehabilitiert und entschädigt hat. Doch das reicht nicht. Die Unternehmen sollten schnellstens dazu gezwungen werden, entweder an Gruppen von Betroffenen oder eben an einen Fonds zu zahlen.

Gleichzeitig sollten die Regeln für Unternehmen insgesamt reformiert werden: Wer mit den Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen kooperiert oder Gewinne unter Ausnutzung von Menschenrechtsverletzungen erzielt, sollte dafür zivilrechtlich und strafrechtlich haften. Alle Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht, sich aktiv über die Zustände in den Regionen, in denen sie wirtschaftlich tätig sind, zu informieren und auch aktiv dafür Sorge zu tragen, dass sie keine Beihilfe zu derlei Taten zu leisten. Das immer schon skandalöse ‚Wir haben nichts davon gewusst‘ sollten wir niemanden durchgehen lassen.

Aber auch heute gilt für den Strafvollzug in der Bundesrepublik: Der Arbeitszwang in  Gefängnissen gehört abgeschafft und diejenigen die arbeiten müssen, sollen angemessen entlohnt werden.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.