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Das Gesicht der Macht bleibt weiß

 

Es kommt einem länger vor, doch es ist noch nicht einmal einen Monat her, dass ein Polizist den unbewaffneten Teenager Michael Brown jr. in Ferguson, Missouri (USA) erschoss. Ich habe aber eine Weile gebraucht, um in meinen Büchern zu kramen. Die Bilder und Berichte aus Ferguson haben mich nämlich nicht nur an all die anderen ähnlichen Vorfälle erinnert, an all die toten und mittlerweile wieder namenlosen Schwarzen, meist jung und männlich, der vergangenen Jahrzehnte; an die brutale Repression der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, das Cointelpro-Programm, mit dem die Black-Panther-Bewegung bekämpft wurde; an die zahlreichen Filme, die das ins Auge springende Unrecht der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in Szene setzten.

Ferguson erinnert mich auch an die Bücher des großen schwarzen Schriftstellers James Baldwin, in denen er „die Geschichte der Weißen“ oder „die weiße Geschichte“ so beschreibt: „Geschichte ist eine Hymne auf die Weißen, und all wir anderen sind entdeckt worden – von den Weißen, denen es (wie sie wähnen) unbenommen bleibt, uns in die Geschichte ‚eintreten‘ zu lassen; oder auch nicht.“ Oder in denen er uns Europäern – „jenes Vetternpaar, die Engländer und die Deutschen“ – eine „unbeschreibliche, ja unsägliche Kombination von Arroganz und Mittelmäßigkeit“ attestiert und schreibt, was uns eine, sei nicht die Farbe Weiß, sondern die Farbe Schwarz: „Sie haben nichts füreinander übrig, haben es nie gehabt, werden es kaum jemals haben.“

Baldwin trifft nicht nur die Realität der 1980er-Jahre, als er den Prozessbericht Das Gesicht der Macht bleibt weiß verfasst. Er trifft auch unsere heutige und hiesige Realität, wie sich in den Ergebnissen der Europawahl im Mai und jetzt der Landtagswahl in Sachsen widerspiegelt – das wahltaktische Spiel mit dem Fremden, dem Anderen, welches nationalistische, populistische und rechte Parteien und Intellektuelle in ganz Europa spielen.

Auch der verstorbene deutsche Journalist Dagobert Lindlau sprach in seinem Vorwort zu Baldwins Buch nicht nur über den höchst zweifelhaften Indizienprozess im Jahr 1982 gegen den Schwarzen Wayne B. Williams in Atlanta und die rassistische US-Gesellschaft. Das war dem ehemaligen Chefreporter des Bayerischen Rundfunks (sic!) zu billig. Er redete von der Wirkung des Buches auf Deutschland nach den neonazistischen Morden Anfang der 1990er-Jahre und die Reaktion, die Lichterketten zum Beispiel. „Demonstrationen des guten Willens“, nannte Lindlau sie, „aber auch sentimentale PR, die dem angeschlagenen deutschen Image im Ausland und vielleicht dem Export aufhelfen soll“, und „organisierte Besinnungsbekenntnisse, (…) die nur tarnen, was wirklich gedacht ist“.

„Als ob wir nicht wüssten“, was Baldwin meine, endet das Vorwort.

Wir sollten also weniger auf die fernen USA zeigen, uns nicht reinzuwaschen versuchen, sondern die notwendigen Lehren für uns ziehen und das Beispiel der New Yorker Bürgerrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR) aufnehmen. Das CCR hat erreicht, dass ein Gericht das Stop and Frisk-Programm der New Yorker Polizei – eine statistisch nachgewiesene polizeiliche Praxis, nach der junge Schwarze unverhältnismäßig viel häufiger angehalten und kontrolliert werden, unverhältnismäßig viel häufiger festgenommen und bei der Festnahme misshandelt oder wie im Falle Michael Browns umgebracht werden – als rechtswidrig gilt. Hier hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eben erneut den Fall des Schwarzen Oury Jalloh geprüft, der wegen einer Nichtigkeit festgenommen wurde und am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte – der Fall wird nicht wieder aufgerollt.

Mehr als genug zu tun also auch für uns hier. Für mich aber habe ich James Baldwin wiederentdeckt, das Greenwich Village, Harlem, den Jazz der Nachkriegszeit – in seinem schönsten Roman Eine andere Welt.