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Der Vietnamkrieg – revisited

 

Eine Ausstellung, ein Film, ein prominenter Zeitzeuge und eine Podiumsdiskussion lassen den Vietnamkrieg und den Widerstand dagegen dieser Tage wieder lebendig werden.

Nghia Nuyen floh 1980 gemeinsam mit seiner Familie auf der Cap Anamur aus Südvietnam, als der Vietnamkrieg gerade beendet war. Der deutsche Künstler malt mit Vorliebe Porträts, die an van Gogh und Bacon orientiert sind. Wenn man in seiner aktuellen Ausstellung in Berlin an seine großflächigen, mit Ölfarben gemalten Dollarnoten herantritt, sieht man anstelle des US-Präsidenten George Washington die entstellten Gesichter von Opfern US-amerikanischer Luftangriffe, bei denen das Giftgas Agent Orange versprüht wurde. Der Krieg wurde formal 1975 beendet, doch seine fatalen Folgen spüren gerade die Giftgasopfer bis heute – sie haben sich organisiert, um trotz mehrerer erfolgloser Versuche weiter für Entschädigung zu kämpfen.

Die New Yorker Regisseurin Johanna Hamilton beleuchtet die andere Seite des Krieges – die zutiefst gespaltene US-Gesellschaft – in ihrem Film 1971, der zuletzt auf dem Filmfestival One World Berlin lief. Sie dokumentiert den Einbruch einer Gruppe von Kriegsgegnern in ein FBI-Büro in Philadelphia. Die Gruppe entwendete zahlreiche Unterlagen, welche die umfassende Überwachung der Antikriegs- sowie der Studentenbewegung, der organisierten Frauen und Schwarzen belegten. Ein Akt des Widerstandes, der nicht für sich alleine steht, denn in den 1970er Jahren drangen Aktivisten in über 350 Einberufungsbüros der US-Armee ein, verbrannten Akten, um den Krieg zu stoppen.

Die Gruppe aus Philadelphia blieb trotz einer der größten FBI-Fahndungen unter dem berüchtigten Direktor J. Edgar Hoover bis zu ihrer Selbstenthüllung im Film und einem gerade erschienenen Buch (Betty Medsger: The Burglary) unentdeckt. Warum? Ich denke, weil sie Teil einer großen Bewegung waren, die ihnen Schutz bieten konnte; es standen schlicht zu viele auf den Listen des FBI.

Diese Bewegung war übrigens eine globale, auch die bundesdeutsche Studentenbewegung war ein Teil davon, wurde gerade aufgrund ihres Widerstandes gegen den völkerrechtswidrigen und mit verbrecherischen Mittel geführten Krieg von den heute regierenden Parteien heftigst denunziert.

Daniel Ellsberg bei der Verleihung des Right Livelihood Award an Edward Snowden
Daniel Ellsberg in Stockholm

Auch Daniel Ellsberg, mittlerweile 83 Jahre alt, gehörte zu dieser Bewegung. Er kopierte Ende der 1960er Jahre 7.000 Blatt streng geheimer Akten, die sogenannten Pentagon-Papiere. Damit konnte er nachweisen, dass die Kriegspolitik mehrerer US-Präsidenten auf Lügen und auf Täuschung der Öffentlichkeit beruhten. Sein Resümee anlässlich der diesjährigen Verleihung des Right Livelihood Awards an Edward Snowden klingt bitter: Trotz seiner Enthüllungen im Jahre 1971 wurde nicht nur Präsident Richard Nixon wiedergewählt, die USA flogen auch die schlimmsten Bombenangriffe seit dem 2. Weltkrieg über Vietnam, Laos und Kambodscha.

Der Bombenhagel, bei dem Zehntausende von Zivilisten umgebracht wurden, blieb ebenso unbestraft wie die massenhafte Folter und Massaker wie das von My Lai. Der Amerikanist Bernd Greiner erläutert in seinem materialreichen Buch Krieg ohne Fronten – und jüngst auch auf einer unserer Veranstaltungen –, wie Leutnant William Calley als einer der Verantwortlichen für das Massaker zwar zunächst verurteilt, später aber begnadigt wurde. Starke Kritik an der damaligen Praxis kam übrigens vom heutigen US-Außenminister John Kerry, damals Sprecher der Vietnam-Veteranen: Wenn man Calley vor Gericht stelle, müsse man gleichzeitig die Generäle und Politiker vor Gericht stellen, die ihren Teil der Verantwortung trügen.

Doch heute wie damals werden nicht diejenigen vor Gericht gestellt, die Menschen- und Verfassungsrechte verletzen, sondern diejenigen, die sie aufdecken. Der Edward Snowden von 1971, so nennt sich Ellsberg selbst ironisch, hatte noch Glück. Er entging der angedrohten Strafe von 115 Jahren nach dem Espionage Act, weil der damalige Präsident Nixon in seiner Panik vor Aufdeckung zu offen illegalen Methoden griff und einen Trupp FBI-ler beim früheren Psychoanalytiker von Ellsberg einbrechen ließ.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.