Weltweit wird Deutschland als das Land angesehen, in dem die Snowden-Enthüllungen die höchsten Wellen geschlagen haben. Doch mitunter scheinen die Maßstäbe etwas verschoben: Während sich Aktivbürger hierzulande betroffen fühlen, führt Überwachung andernorts zu drastischen Folgen wie Verhaftung, Folter und Tod. Ähnlich wie bei Waffen- und Rüstungsexporten tragen Europa und insbesondere Deutschland maßgeblich zur technologischen Aufrüstung repressiver Regime bei – ohne dass sich bei uns dagegen massiver Widerstand regt.
„Geschäftsmodell Überwachung“ nennt dies Dietmar Kammerer in der Oktober-Ausgabe der Le Monde Diplomatique. Alles, was Regierungen benötigen, „um die Kommunikation einer kompletten Bevölkerung unter Beobachtung zu stellen, ist, auf dem Markt gegen Geld zu haben“. Und dieser Markt wächst; derzeit wird der Jahresumsatz mit Spähsoftware auf 5 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Gemeinsam mit den englischen Bürgerrechtlern von Privacy International, Reporter ohne Grenzen und bahrainischen Menschenrechtlern gehen wir, das ECCHR, seit Jahren insbesondere gegen die deutsch-britischen Firmen Gamma International und Trovicor vor. Es geht zum Beispiel um die Lieferung der Spionage-Software FinFisher nach Bahrain. Mit dieser Malware können die bahrainischen Behörden per Fernzugriff Computer überwachen.
Zur Erinnerung: In Bahrain werden Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Oppositionelle systematisch überwacht, verfolgt, inhaftiert und immer wieder auch gefoltert. Gamma schweigt zum Export des Trojaners. Doch im Sommer entdeckten Hacker FinFisher in Computern von bahrainischen Oppositionellen, die zum Teil im Ausland leben.
Als ECCHR haben wir 2013 zum zugegebenermaßen wenig scharfen Schwert der „OECD-Beschwerden“ gegriffen. Damit wollten wir die Firmen dazu bringen, den Export einzugestehen und auch einzustellen. Zuständig für solche Beschwerden ist in Deutschland die OECD-Kontaktstelle, die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist. Doch dort wird Exportförderung als höchstes Ziel angesehen und so finden Beschwerden wegen Menschenrechtsverletzungen praktisch kein Gehör. Zumeist arbeitet die Kontaktstelle voreingenommen und stellt Vorgänge oft ohne genauere Untersuchungen ein – so wie vergangenes Jahr im Falle der deutschen Firma Trovicor. Anders die OECD-Stelle in England, wo unsere britischen Kollegen sich berechtigte Hoffnungen auf ein starkes Statement gegen den Export derartiger Technologien machen.
Deutsche Strafverfolgungsbehörden werden nur selten aktiv, da Lieferung und Verwendung der Software zu menschenrechtswidrigen Zwecken nur schwer nachweisbar sind. So waren wir im August dieses Jahres froh, als Hacker firmeninterne Kommunikation von Gamma ins Netz stellten. Aus den Datensätzen wurde nicht nur ersichtlich, dass es um die Betreuung der Kunden aus Bahrain ging, sondern es ergab sich daraus zudem, dass auch Computer in Deutschland auf der Spähliste standen. Es liegt nahe, dass Gamma-Mitarbeiter im Rahmen ihres technischen Supports leicht erkennen können, wo sich die ausgespähten Zielpersonen aufhalten. Denn das Programm ist so aufgebaut, dass neben jedem einzelnen Zielnamen auch die Flagge des jeweiligen Aufenthaltslandes angezeigt wird.
Das, so dachten wir, muss doch die für Gamma zuständige Staatsanwaltschaft in München interessieren und erstatteten Mitte Oktober Strafanzeige wegen des Verdachts der Beihilfe zum Ausspähen von Daten, §§ 202 a, 27 StGB und Vorbereiten des Ausspähens von Daten, § 202 c StGB. Keine sechs Wochen später teilen uns die Münchener Staatsanwälte nun mit, dass sie Ermittlungen nicht einmal beginnen wollen. Die Begründung ist kurz und scheint einleuchtend: Traue keinem Hacker! Wir hatten den Anfangsverdacht für das Ausspähen von Daten auf gehacktes Material gestützt und ernsthaft erwartet, die Staatsanwälte nähmen das zum Anlass, genauer hinzuschauen, sprich: umfassend zu ermitteln. Stattdessen wird uns entgegengehalten, die Firma habe die von uns behauptete und durch die internen Dokumente belegte Verwendung „in ihren Vertragsbedingungen ausdrücklich untersagt“.
Gut zu wissen, das werden wir unseren verfolgten, inhaftierten und gefolterten bahrainischen Partnern mitteilen. Alles ein Irrtum – ist doch durch Vertragsklausel untersagt.
Doch damit nicht genug, die Staatsanwälte meinen – wieder: Traue keinem Hacker! – das Gesetz gegen das Ausspähen richte sich nur gegen Hacker – nicht aber gegen „einen Staat selbst (…) der Daten über Telekommunikationsvorgänge (…) erhebt“.
Wir werden Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München I einlegen und darauf drängen, dass ermittelt wird. Da wäre es allerdings auch nicht schlecht, wenn sich diejenigen, die in Deutschland über Überwachung klagen, sich auch um die kümmerten, denen es infolge von Überwachung im wahrsten Sinne an den Kragen geht.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.