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Macht geht nicht immer über Recht

 

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), seit 2002 in Den Haag mit der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit befasst, hat Kritik verdient. Auch ich moniere regelmäßig, dass nicht nur in Den Haag, aber auch in Den Haag, mit zweierlei Maß gemessen wird. Mächtige Menschenrechtsverletzer müssen sich selten vor Gericht verantworten. Oft landen auf der Anklagebank des IStGH nur Bauernopfer, Gefallene und Besiegte. Das ist zu wenig, ja gefährlich für ein Gericht, das für sich Universalität in Anspruch nimmt.

Doch oft wird diese Kritik wohlfeil, zynisch. Es freuen sich die Realpolitiker, die Kissingers dieser Welt, die die internationale Politik ohnehin nie dem Recht unterwerfen wollen, dass das Gericht Probleme hat. Und im Recht fühlen sich auch jene Linken, die die Welt so gut erklären können, dass eigentlich gar nichts Neues, nichts Unvorhergesehenes passieren kann und darf: „(Ökonomische) Macht geht über Recht – da gibt es keinen Ausweg.“ Oder doch?

Die Welt, auch die Machtverhältnisse sind komplexer. Im Moment lässt sich schlicht nicht absehen, wie sich die internationale Strafjustiz, allen voran der IStGH, entwickeln wird. Viel ist möglich, viele Akteure sind involviert. So auch im Fall des sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir, gegen den seit 2009 und 2010 zwei Haftbefehle des IStGH der Vollstreckung harren. Der Weltstrafgerichtshof hat, anders als nationale Strafgerichte, keine Polizei bei der Hand, die Tatverdächtige verhaften könnte, sondern ist auf Mithilfe der Staaten angewiesen, und die haben viele eigene Interessen – wirtschaftliche, militärische, politische.

Das Interesse an der Verhaftung von Al-Baschir hielt sich in Grenzen. Der Präsident reiste von der Justiz unbehelligt nach China oder in die Türkei, Staaten, die das IStGH-Statut ohnehin nicht unterzeichnet haben. Al-Baschir reiste aber auch in verschiedene afrikanische Vertragsstaaten des IStGH, die verpflichtet gewesen wären, ihn festzunehmen.

Auch in Südafrika wäre ihm beim Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Johannesburg am Wochenende nichts passiert, wenn es nach dem Willen des dortigen Staatschefs Jacob Zuma gegangen wäre. Doch eine Menschenrechtsorganisation klagte und die südafrikanische Justiz reagierte schnell, ein Gericht verbot Al-Baschir die Ausreise. Die Regierung in Pretoria setzte sich über dieses Diktum hinweg und ließ den sudanesischen Potentaten ausfliegen. Wohlweislich war seine Maschine auf einem Militärstützpunkt geparkt, auf den zivile Behörden keinen Zugriff gehabt hätten.

Natürlich kann man auch aus diesem Vorgang wieder die üblichen Schlussfolgerungen ziehen: Der IStGH funktioniert nicht wirklich und überhaupt geht es der Weltjustiz immer nur um afrikanische Tatverdächtige. Man kann die Ereignisse aber auch anders lesen: Es sind vor allem die Mächtigen in Afrika, die den Gerichtshof in Den Haag als neokoloniales Konstrukt bezeichnen. Viele Menschenrechtsorganisationen wie die Kläger aus Südafrika und das Gericht in Pretoria hingegen halten die juristische Intervention aus Den Haag im Sinne der Menschenrechte für durchaus hilfreich – auch und gerade um die Dinge im eigenen Land zu bewegen.

Deswegen wissen wir – Juristen in Berlin, London oder New York – uns durchaus einig mit unseren afrikanischen Kollegen: Es ist kein Widerspruch, wenn wir die US-Folter in Guantánamo anklagen und die Straflosigkeit von Donald Rumsfeld und anderen kritisieren, während die südafrikanischen, kenianischen und kongolesischen Anwälte sich mit den Menschenrechtsverletzern aus ihrer Region beschäftigen. Denn Omar Al-Baschir, Uhuru Kenyatta und Joseph Kabila sind durchaus auch mächtig und sie haben es verdient, vor Gericht gestellt zu werden. Dieses Mal mag es nicht geklappt haben, aber es war nahe dran. Wir werden es weiterhin versuchen.