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Das Kongo-Tribunal – von Bukavu nach Berlin

 

Meinungstribunale haben derzeit Hochkonjunktur, und der Grund liegt auf der Hand: Unerträgliche Dinge ereignen sich auf der Welt, und die Institutionen – sei es Gerichte, Staaten oder die UN – die das Mandat hätten, Abhilfe zu schaffen, reagieren nicht. Politische Aktivisten wiederum wollen ihre Ohnmacht ob dieser Situation überwinden und halten symbolische Meinungstribunale ab.

Den Anstoß für das erste dieser gesellschaftlichen Tribunale, das die Philosophen Bertrand Russell und Jean-Paul Sartre 1967 in Schweden organisierten, gaben die Kriegsverbrechen der USA im Vietnamkrieg. Russel und Sartre knüpften explizit an die Nürnberger Nazi-Kriegsverbrecherprozesse an. Sie wollten „das in Nürnberg zu früh geborene Gesetz zum Leben erwecken und für das Recht des Dschungels ethische und juristische Regeln einsetzen“.

In Berlin – wie schon einen Monat zuvor in Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo – hat nun der Regisseur Milo Rau ein Kongo-Tribunal abgehalten. In einer Theaterkulisse, den Sophiensälen, haben wir drei Tage lang Sachverhalte debattiert, von denen viele sich wünschten, es gäbe ein Gericht oder ein ähnliches Forum, das sie aufgreifen würde.

Zum Beispiel das Massaker von Mutarule im Juni 2014, bei dem Milizen 35 Frauen und Kinder töteten; oder die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der Mine von Bisie; oder die Massenvertreibungen ohne Entschädigung am Minenstandort Twangiza Site. Sie alle sind bisher ungestraft geblieben.

Dabei sind Mutarule, Bisie und Twangiza nur Einzelfälle, die Rau und sein Team aus einem fast unfassbar dramatischen Geschehen gewählt haben. Seit dem ersten Kongo-Krieg Anfang der 1990er Jahre bis heute sind je nach Schätzungen vier, sechs, acht, manche sagen bis zu zehn Millionen Menschen umgekommen. Abermillionen sind auf der Flucht, Hunderttausende Frauen – und Männer – wurden und werden Opfer sexualisierter Gewalt.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag führt zwar Ermittlungen gegen einige kongolesische Täter, diese kommen jedoch nur aus den Reihen bewaffneter Rebellengruppen. Die Armeen des Kongo und die der Nachbarländer Uganda und Ruanda, die ebenfalls an den Verbrechen beteiligt waren und alle in den Raub der Rohstoffe verwickelt sind, blieben bisher unbehelligt.

Während des Tribunals in Berlin ging es allerdings vor allem um die Verantwortung der Europäer für das Geschehen im Kongo. Berlin als Veranstaltungsort – das war zudem eine historische Referenz an die Kongo-Konferenz, die 1885 im Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße stattfand, nur wenige Hundert Meter von den Sophiensälen entfernt. Bei jener Konferenz teilten die europäischen Großmächte die rohstoffreiche Region untereinander auf und brachten damit das Unheil über die heutigen Staaten Demokratische Republik Kongo, Ruanda, Uganda, Kenia und andere.

Doch weder die brutalen Kolonialverbrechen der Truppen des belgischen Königs Leopold wurden jemals von einem Gericht verhandelt, noch die Ermordung des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Patrice Lumumba 1961, dessen Charisma die Mächtigen in Europa fürchteten.

Der Kongo ist ein Beispiel für die verheerenden Wirkungen der Globalisierung, ein globales Geschehnis, das zugleich an mehreren Orten stattfindet – denn die Schauplätze sind neben Bukavu im Ost-Kongo, der Hauptstadt Kinshasa, dem ruandischen Kigali und dem ugandischen Kampala auch New York, London, Paris, Brüssel und Berlin. Bei dem Tribunal in Berlin standen in erster Linie die transnationalen Unternehmen am Pranger. Denn die Verantwortlichkeit für die Verbrechen im Kongo geht weit über die unmittelbaren Täter vor Ort hinaus. Das kongolesische Minengesetz sowie diverse Nutzungsverträge für Minen, von denen viele transnationale Unternehmen profitieren, sind wie im Fall des kanadischen Unternehmens Banro und der Twangiza Site nahe Bukavu unter zweifelhaften Bedingungen zustande gekommen und müssen rechtlich überprüft werden.

Das Kongo-Tribunal hat viele richtige Fragen aufgeworfen. Es müssen neue Regulierungen vor allem für die Rohstoffgewinnung geschaffen werden, die Gerichte in Kongo, den Europa, den USA oder auf internationaler Ebene rechtlich verfolgen können.