Fiktion und Realität verschwimmen – auch wenn es um die Drogenkriege in den USA geht. Steven Soderberghs Film Traffic wie Don Winslows Kriminalromane Tage der Toten und jetzt Das Kartell basieren auf jahrelangen umfangreichen Recherchen und das merkt man den Werken an.
„Stille sein. Mehr ist nicht zu tun.“ – so lautet die resignierte Conclusio von Winslows Anti-Held Art Keller, dem Agenten der US-Drogenbehörde DEA, am Ende seines furiosen Rachefeldzuges gegen den fiktiven mexikanischen Drogenboss Adán Barrera. Die Figur Barrera teilt viele Charakteristika mit realen Personen. Der Grund für Art Kellers Frustration im Roman ist real: „Der Krieg gegen die Drogen geht weiter, auf seine sprunghafte, chaotische Art. In Mexiko, in den USA, in Europa, in Afghanistan. Der Nachschub aus Mexiko strömt weiter … , noch nie hat es so viele Drogen gegeben wie heute. Ein paar der schlimmsten Bosse sind beseitigt, aber das Geschäft geht weiter, die Maschine läuft.“
Eine Bankrotterklärung der Prohibitions- und Kriminalisierungspolitik der USA und ihrer Epigonen aus Europa. Seit Jahrzehnten lässt sich die zerstörerische Wirkung dieser Politik beobachten, in Kolumbien seit den 1980er Jahre bis heute, mit einer gewissen Zeitverzögerung dann in Mittelamerika und der Karibik. Die Gewalt ist allgegenwärtig, Polizei, Militär und Drogen-Kartelle haben fusioniert und sind Teil desselben Konglomerates. Die Herausgeber des gerade auf Deutsch erschienenen Buchs TerrorZones. Gewalt und Gegenwehr in Lateinamerika verstehen die „Gewaltexzesse“ gerade nicht „als irrationales Gegenstück zu Moderne, Zivilisation oder Demokratie“, vielmehr können sie „durchaus rational und funktional in diesen Kontexten funktionieren“.
Es reicht nicht, die Drogenhändler, korrupte lokale Politiker und Polizisten verantwortlich zu machen. Der weltweite Kreislauf mit Drogen, Waffen und Geld läuft deswegen so geschmiert, weil alle mitspielen: die große Nachfrage der Konsumenten illegaler Drogen in den USA und Europa, die Banken und die Waffenindustrie. Diesen fatalen Kreislauf aufzubrechen, der große Teile Amerikas südlich des Rio Grande dominiert, bedarf einer grundsätzlich anderen globalen Drogenpolitik.
Diesseits davon liefern die Autoren von TerrorZones einige Ansatzpunkte für eine produktive Auseinandersetzung mit Terror und Widerstand: Die kolumbianische Autorin Patricia Nieto berichtet über eine indianische Gemeinde, die für unbekannte tote Repressionsopfer einen Friedhof angelegt hat und zu den Toten eine sehr enge Beziehung pflegt; die deutsche Kulturwissenschaftlerin Anne Huffschmid schildert die „Knochenarbeit“ eines transnationalen Netzwerkes von Gegen-Forensikern, also von nicht-staatlichen Forensikern (etwa von Nichtregierungsorganisationen), die sowohl Beweise für Gerichtsverfahren als auch Informationen für die Angehörigen und zur Erinnerungsarbeit sichern.
An einem der Hauptverbrechensschauplätze, in Tijuana an der US-mexikanischen Grenzen, haben Künstler gemeinsam mit Betroffenen auf dem Gelände eines Massengrabes ein Werk errichtet, das den Namen RECO trägt – das steht für erinnern (recordar), rekonstruieren (reconstruir) und versöhnen (reconciliar) steht. Es geht darum, wie Menschen unter solchen Bedingungen leben, und neue Gemeinschaften bilden und kollektiv gegen den Terror aufbegehren. So wie es seit dem Verschwinden von 43 Studenten in Iguala im Bundesstaat Guerrero viele junge Aktivisten in Mexiko machen: Sie nutzen erfolgreich die sozialen Netzwerke, um zu berichten, aufzuklären und zu Protesten zu mobilisieren. Das ist ihre ganz reale Antwort auf ganz und gar nicht fiktive Frustrationen.