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NPD-Verbotsverfahren: Die V-Männer stehen im Weg

 

Oft ist in den vergangenen Monaten über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren debattiert worden. Weniger über den politischen Sinn einer solchen staatlichen Intervention, dafür umso mehr über die Vorgehensweise. Besonders die SPD fordert immer wieder eine erneute Auflage des 2003 gescheiterten Verfahrens. So sammelt das Bundesinnenministerium auf Drängen der Sozialdemokraten nun aus den Bundesländern Informationen über die NPD, damit im Frühjahr 2008 die Erfolgsaussichten für ein Verbot der rechtsextremen Partei fundiert beurteilt werden können. Nur ein Problem wird auch dann bleiben: Was ist mit den V(erbindungs)-Männern des Verfassungsschutzes?

Genau daran war nämlich das letzte Verbotsverfahren gescheitert. So konnte die Rolle der V-Männer in der NPD nicht eindeutig geklärt werden. Während die Antragsteller, also Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, immer wieder betonten, die bezahlten Informanten des Staates würden nicht zur Radikalisierung der Partei beitragen und sich im Hintergrund halten – wurde genau dies von mehreren Richtern am Bundesverfassungsgericht sowie vielen Experten anders eingeschätzt.

Die beiden Duisburger Rechtsextremismus-Experten Martin Dietzsch und Alfred Schobert legten eine Studie über die Tätigkeit der V-Leute vor. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Spitzel der NPD keinen Schaden zugefügt, sondern ihr im Gegenteil sogar genutzt hätten. Als prominente Kronzeugen hierfür führten die Autoren die ehemaligen hochrangigen NPD-Funktionäre Udo Holtmann und Wolfgang Frenz an.

Wer manipuliert wen?

Deren Agieren habe gezeigt, dass die V-Leute nicht als „agents provocateurs“ wirken, sondern es sich bei ihnen um Personen handele, die man zu nichts anstiften könne, weil sie ohnehin zu allem bereit seien. Ihre Aktivitäten hätten sich nahtlos mit dem sonstigen Kurs der Partei gedeckt und gerade wegen ihrer antisemitischen und rassistischen Hetze hätten die Agenten über Jahrzehnte das Vertrauen der Partei genossen. Deshalb wäre es auch vollkommen unsinnig, von einer Steuerung der NPD durch den Verfassungsschutz zu reden, heißt es weiter. Man müsse sich umgekehrt fragen, ob nicht der Verfassungsschutz von NPD-Funktionären manipuliert worden sei.

Dafür sprechen auch die hartnäckigen Gerüchte, dass es unter dem ehemaligen NPD-Parteichef Günter Deckert interne Absprachen gegeben haben soll, was dem Verfassungsschutz berichtet werden sollte und was nicht. Das Geld für diese Informationen wurde dann zwischen dem jeweiligen V-Mann und der Partei aufgeteilt, heißt es.

Immer wieder fliegen V-Leute auf

Das ehemalige NPD-Bundesvorstandsmitglied Frenz hatte von Anfang der sechziger Jahre bis 1995 für den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Frenz‘ Enttarnung im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens waren weitere gefolgt. So der oben ebenfalls erwähnte Holtmann, Chef der NPD in NRW. Außerdem das NPD-Mitglied Matthias Meier. Dieser gab in einem Interview an, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe ihm „nahe gelegt, für das Amt des stellvertretenden Landesvorsitzenden zu kandidieren“. Zahlreiche weitere Enttarnungen folgten. Dabei wurden äußerst zweifelhafte Vorgänge bekannt: So waren Neonazis aus Brandenburg und Sachsen maßgeblich an der Produktion von besonders radikalen rechtsextremen Tonträgern beteiligt – und Informanten des Verfassungsschutzes. Zuletzt flog erneut ein V-Mann des Verfassungsschutzes NRW auf. Dieser war in der internationalen Neonazi-Szene als Konzertveranstalter aktiv und in kriminelle Machenschaften verwickelt. Ein erneutes Desaster für den Verfassungsschutz.

Berlins Innensenator Erhard Körting ist ein lautstarker Befürworter des NPD-Verbots – und sieht den Einsatz von V-Leuten äußerst kritisch. Körting meint, der Staat könne auf die Spitzel verzichten, die aggressiv-kämpferische Verfassungsfeindlichkeit der NPD – Voraussetzung für ein Verbot – lasse sich auch durch öffentlich zugängliche Informationen belegen. Außerdem betont er in Bezug auf das Debakel beim ersten Verbotsverfahren immer wieder: „Sollte es Bundesländer geben, die ihre V-Leute nicht aus den Führungsgremien der NPD abgezogen haben, wäre das nicht verfassungsgemäß. Man kann nicht einerseits eine verfassungswidrige Partei beobachten und gleichzeitig über V-Leute an maßgeblicher Stelle Einfluss auf sie nehmen.“

„Je weiter oben der V-Mann, desto wertvoller die Informationen“

Dennoch setzt die Bundesregierung weiter auf die V-Männer – auch auf Führungsebene, wie mehrere Äußerungen nahe legen. In einer Stellungnahme heißt es beispielsweise: „Die Bundesregierung zieht einen Abzug von V-Leuten aus der NPD aus sicherheitspolitischen Erwägungen nicht in Betracht.“ V-Leute seien unverzichtbar, um verfassungswidrige Bestrebungen der NPD festzustellen, heißt es. Dies gelte auch, wenn deren leitende Funktion „unmittelbar vor und während eines Parteiverbotsverfahrens ausdrücklich als unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren angesehen worden ist“, wie in einem Urteil der Bundesverfassungsgerichts von 2003 festgestellt worden sei.

Auch Heinz Fromm, Chef des Bundesverfassungsschutzes, vertritt diese Ansicht, auch er räumt indirekt ein, dass es weiterhin V-Leute in den Führungsetagen gibt: „In der Realität ist es doch ganz einfach. Je weiter oben Informanten oder V-Leute in der Hierarchie einer extremistischen Organisation sitzen, desto interessanter und wertvoller sind die Informationen, die sie liefern können.“

Keine relevanten Erkenntnisse?

Die SPD ist in der Frage der V-Männer tief gespalten. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz argumentiert so: Zwischen dem Verzicht auf V-Leute in der NPD-Spitze und einer effektiven Überwachung bestehe kein Widerspruch. Entscheidend sei, dass der Verfassungsschutz zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht seine Top-Informanten abgezogen habe und auf „alternative Quellen“ unterhalb der Parteispitze zurückgreifen könne, so Wiefelspütz. Andere SPD-Politiker folgen hingegen der Meinung von Berlins Innensenator Körting und halten die Spitzel schlicht für überflüssig.

Die Linkspartei sieht noch ganz andere Probleme bei der Zusammenarbeit mit den V-Leuten, mehrmals forderte sie daher bereits das sofortige Ende der Kooperation: „Durch die Arbeit von V-Leuten in den Reihen der NPD konnten bis heute keine relevanten Erkenntnisse über diese Partei präsentiert werden, die nicht auch anders erlangt werden könnten.“ In vielen Fällen seien es zudem nicht die Verfassungsschützer, die frühzeitige und intime Kenntnis der NPD-Aktivitäten hätten und bekannt machten, sondern engagierte Gruppen und Initiativen in den Regionen.

Unabhängige Beobachtungsstelle gefordert

Daher fordern Linkspartei sowie zahlreiche Experten die Gründung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus. Vorteil: Hier könnten unter Beteiligung von Initiativen und gesellschaftlichen Gruppen auf demokratische Weise auch Gegenstrategien entwickelt werden. Weiterhin wären alle gesammelten Informationen auch wirklich verwertbar. Dies ist zurzeit nicht der Fall: Regelmäßig verweist die Bundesregierung im Parlament in Antworten zum Thema Rechtsextremismus darauf hin, dass viele Angaben nicht spezifiziert werden könnten, da sonst Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Staates – also auch auf dessen Informanten – möglich wären.

Radikalisierung schützt die NPD vor Verbot

Unabhängig von der dringend zu führenden Diskussion, ob ein NPD-Verbot überhaupt politisch sinnvoll ist: Zurzeit schützt sich die rechtsextreme Partei durch ihre Radikalität gegen ein Verbot. Denn Union und Teile der SPD sowie der Verfassungsschutz argumentieren, die NPD sei so gefährlich, dass die V-Leute nicht abgezogen werden könnten. Dadurch wird – als Konsequenz aus dem Desaster im Jahr 2003 – ein erneutes Verbotsverfahren aber unmöglich gemacht. Eine äußerst paradoxe Situation, die die Strategie der NPD, sich für Neonazis zu öffnen, noch honoriert.

Dieser Text ist zunächst bei der BPB erschienen. Er ist Teil des Dossiers zum Thema „NPD-Verbot“.

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