Für gewöhnlich meint man, dass sich rechtsextremistische Ideologien und nur sie durch einen rassistischen Kern auszeichnen. Gerade dieses Merkmal sei es schließlich, das diese Gruppe von Ideologien zu „rechtsextremistischen“ mache. Doch beschäftigt man sich etwas näher mit dem kommunistischen Revolutionsführer Lenin, können einen schon Zweifel befallen.
Für gewöhnlich versteht man unter „Rassismus“ die Zuschreibung tatsächlicher oder fiktiver, kontingenter Gruppenmerkmale gegenüber Menschen mit einer gleichzeitig rational nicht zu rechtfertigenden Diskriminierungspraxis, die von gesellschaftlicher Benachteiligung bis zum Mord reichen kann. Hiervon war der Kommunist Lenin nun allerdings nicht unbedingt sehr weit entfernt.
In der kleinen Schrift „Wie soll man den Wettbewerb organisieren?“ (geschrieben im Jahr 1917, zuerst veröffentlicht im Jahr 1929) bspw. lässt er sich über die Frage aus, wie kapitalistische, von Ausbeutung gezeichnete Konkurrenzverhältnisse durch einen sozialistischen Wettbewerb mit menschlichem Antlitz ersetzt werden könnten. Diese Fragestellung war wohl auch der Grund dafür, dass es die Schrift selbst zu DDR-Zeiten in der hellgelben marxistisch-leninistischen Volksbuchausgabe zu sechsstelligen Auflagenzahlen brachte. Und dies ist um so erstaunlicher, als die DDR den Antifaschismus eigentlich zu ihren Gründungsmythen zählte.
Denn als Haupthindernis bei der Durchsetzung des sozialistischen Wettbewerbs identifiziert Lenin freilich den Kapitalisten und geht mit ihm wenig zimperlich um. Auf Marx konnte und kann sich eine solche Sichtweise indes nur bedingt stützen. Denn den historischen Materialismus macht ja gerade der Gedanke aus, dass die Menschen lediglich Funktionen ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse seien. Marx attackierte daher in seinen späteren theoretischen Schriften nie den Kapitalisten als Person, sondern begriff alle Akteure des Kapitalismus als Träger von „ökonomischen Charaktermasken“ (MEW 23/100). Unmissverständlich machte Marx diese Position im Jahr 1867 im ersten Vorwort zum ersten Band seines Hauptwerks „Das Kapital“ deutlich: „Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ (ebd.: 16)
Lenin, der sich als legitimer theoretischer Erbe Marxens begriff, störte diese differenzierte Analyse jedoch recht wenig. Er benötigte einen konkreten politischen Feind und fand ihn im Kapitalisten. Er plädierte dabei ganz im Sinne rassistischer Theorien in oben genannter Schrift für dessen soziale und auch physische Vernichtung. Für diesen „Auswurf der Menschheit, diese rettungslos verfaulten und verkommenen Elemente, diese Seuche, diese Pest, diese Eiterbeule“ dürfe es keine Schonung geben, so Lenin. Vielmehr bedürfe es eines Kampfes „auf Leben und Tod“ (LW 26/409). Denn schließlich hätte man es mit „Parasiten“ (ebd.: 410) zu tun. Für den Kampf gegen diese „Parasiten“ empfahl der Führer der russischen Revolution gar mannigfaltige Strategien: „Mannigfaltigkeit ist hier eine Bürgschaft für Lebensfähigkeit, Gewähr für Erreichung des gemeinsamen, einheitlichen Ziels: der Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer, von den Flöhen – den Gaunern, den Wanzen – den Reichen usw. usf. An einem Ort wird man zehn Reiche (…) ins Gefängnis stecken. An einem anderen Ort wird man sie Klosetts reinigen lassen. An einem dritten Ort wird man ihnen nach Abbüßung ihrer Freiheitsstrafe gelbe Pässe aushändigen, damit das ganze Volk sie bis zu ihrer Besserung als schädliche Elemente überwache. An einem vierten Ort wird man zehn, die sich des Parasitentums schuldig machen, auf der Stelle erschießen.“ (ebd.: 413)
Es handelt sich um frappierende historische Parallelen, denn dies wurde weit vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben. Ist Lenin also ein Klassen-Rassist? Sind rassistische Vernichtungsideologien wirklich nur das Geschäft der „Rechten“? Oder drohen extremistische „Linke“ sich nicht vielmehr eines auf Vernichtung abzielenden Gegen-Rassismus schuldig zu machen – das nachahmend, was sie eigentlich verachten?
Zum Schluss: Nun wäre erstmals sinnvoll diskutabel, ob ich mit diesem Beitrag den Sinn dieses Blogs überschritten habe, heißt es doch in den Blogregeln: „Wir diskutieren hier nicht über scheinbar verwandte Themen, wie etwa so genannten Ausländerextremismus oder Gewalt von Linksextremen.“ Indes scheint mir mein Beitrag die Blogregeln nicht zu verletzen, widmet er sich doch der Frage, inwiefern Links- und Rechtsextremisten strukturell homolog sind, inwiefern also extremistische Gemeinsamkeiten ihr jeweils „linkes“ oder „rechtes“ Selbstverständnis überwölben. Die Beantwortung dieser Frage wiederum hat wesentliche Auswirkungen auf die Frage, was der „Kampf gegen rechts“ eigentlich ist, zumal auch Patrick Gensing seinen letzten Beitrag u.a. dem Thema „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gewidmet hat. Die Blog-Macher mögen entscheiden!
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