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„Man wird doch wohl noch seine Meinung äußern dürfen!“

 

Die Frage nach dem Recht auf freie Meinungsäußerung rechter Gruppen beherrscht nicht nur die Foren dieser Website. Ich finde, dass damit ein entscheidendes Thema in der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Rechtsextremismus berührt ist.

Wie wir mittlerweile ja hinlänglich erfahren haben, ist das Argument, in einer Demokratie könne jeder überall seine Meinung sagen, eine beliebte Methode der NPD im Rahmen ihrer „Wortergreifungsstategie“. Immer wenn sie in öffentlichen Veranstaltungen zu zivilgesellschaftlichen Themen auftreten und versuchen, diese zur Verbreitung ihrer kruden Ideen zu instrumentalisieren – und wenn sie dann gebeten werden, dies zu unterlassen – geben sie sich plötzlich als Opfer des Machtmissbrauchs des oder der Moderator_in.

Auch die Vertreter von „Pro Köln“ haben im Zuge ihres missglückten Nazitreffens Mitte September des Öfteren so getan, als seien sie Opfer undemokratischer Gewalttäter geworden, die mit Rückendeckung des CDU-Bürgermeisters an der Ausübung des oben genannten Rechts gehindert worden seien. Dass der Hintergrund dafür die massive Hetze gegen Bürger_innen einer anderen Religionszugehörigkeit ist, scheint dann keine Rolle mehr zu spielen. Dass im Übrigen hinter Pro Köln Nazis in bürgerlicher Tarnung stecken und der Antiislamismus nur die vorgeschobene Strategie zur Herstellung eines rechtsextremen Schulterschlusses ist, hat u.a. der Sozialwissenschaftler Alexander Häußler in einem WDR-Interview eindeutig beantwortet: „Diese Partei ist Teil der organisierten extremen Rechten in der Bundesrepublik. Die Hauptfunktionäre von Pro Köln kommen aus diesem Umfeld: Deren Parteikarrieren reichen von der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten, über Mitgliedschaften bei den Republikanern bis zu deren Abspaltung, der Deutsche Liga für Volk und Heimat. Sie pflegen Kontakte zu Multiaktivisten der rechtsextremen Szene. Das zeigt auch ein Blick auf die Rednerliste bei diesem sogenannten Anti-Islamisierungs-Kongress.“ bzw. Marc Serrao in der Süddeutschen Zeitung vom 19.9.08 dargestellt.

Das Konstrukt der freien Meinungsäußerung durch Rechtsextreme ist dabei folgendes: Wohl wissend, dass ihre Ansichten im öffentlichen Diskurs weder Anerkennung, noch Aufmerksamkeit finden, treten sie auf öffentlichen Veranstaltungen in der Verkleidung der bürgerlich-konservativen Diskussionsteilnehmer_innen auf, die sich mal zu Wort melden wollen. Man weißt es empört von sich, als „Nazi“ zu gelten und nimmt die Haltung eines politisch unbeeinflussten Mitbürgers mit (scheinbar) gesundem Menschenverstand auf – halt weder rechts noch links- , eine_r, der/die sagt, was (vermeintlich) alle denken.

Anstatt zum Thema geht es aber recht schnell um die Darstellung ihrer rechtsextremen Inhalte, die bekanntermaßen auf der Ausgrenzung anderer Menschen aufbauen. Anstatt sich dann der Diskussion zu stellen, hüpfen sie bei Erwiderungen von einem Standpunkt zum nächsten, so dass man, will man denn ernsthaft mit ihnen diskutieren, sich den Mund fusselig redet und dadurch den Rechten immer nur die nächste Vorlage bietet, ein weiteres Schlagwort unter das Publikum zu bringen – und unfreiwillig zum Podium der Politikwerbung wird.

Aus diesem Grund praktizieren Veranstalter_innen immer häufiger, den Rechten das Wort zu entziehen. Nun greift eine weitere Masche der „Wortergreifung“: man wechselt in die Rolle des Opfers, dem das Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt würde. Das hat wiederum zum Ziel, das Wohlwollen des Publikums auf sich zu ziehen – und zugleich Stimmung zu machen gegen die Gesprächsleitung und politische Gegner_innen.

In der „Handreichung für die Öffentliche Auseinandersetzung“ der NPD von 2006 heißt es etwa, es solle „im Bürgergespräch (…) auf die eklatante Einschränkung der Meinungsfreiheit (…) hingewiesen werden, um den BRD-Gesinnungsstaat zu delegitimieren.“

Das Recht auf Meinungsäußerung auf einer öffentlichen, zivilgesellschaftlich orientierten Veranstaltung setzt allerdings voraus, dass man selbst Teil dieser Zivilgesellschaft ist. Und genau das sind die RechtsextremistInnen nicht: ihr Selbstverständnis basiert nicht nur auf der Ausgrenzung anderer, sondern auch auf der Ablehnung demokratischer Aushandlungsprozesse als solcher; oder in den Worten der NPD: „Die Machthaber suggerieren, Demokratie und Liberalismus (und damit Parlamentarismus) seien identisch. Das ist mitnichten so. Demokratie heißt Volksherrschaft.“ – worunter sie verstehen: „eine deutsche Volksherrschaft statt einer multikulturellen Bevölkerungsherrschaft.“ (NPD 2006). Wer nun von dieser „Volksherrschaft“ ausgeschlossen ist, wird an anderen Stellen deutlich: Menschen mit Migrationshintergrund (wobei ich mich frage, wer den nicht hat) und alle, die anderer Meinung sind. Letztere werden als „undeutsch“ definiert. Hinzu kommen bei Bedarf Homosexuelle, Behinderte und andere Minderheiten.

Wie zudem die Erfahrung an Orten, die von Rechtsextremen dominiert werden, zeigt, ist es üblich, Gewalt und Einschüchterungen gegen Andersdenkende einzusetzen. So viel zum Thema „freie Meinungsäußerung“ bei den Rechten.

Mit dem Pochen auf die Meinungsfreiheit geht es also nicht darum, sich mit anderen gleichberechtigt an der Meinungsbildung zu beteiligen, sondern um einen Kampf um Aufmerksamkeit und die Möglichkeit, öffentliche Räume mit eigenen Themen zu besetzen.

Ich finde, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung dort seine Grenze überschreitet, wo es sich selbst ad absurdum führt; also dann, wenn es als Kampfmittel missbraucht wird, um in der Konsequenz anderen die Meinungsfreiheit abzusprechen und letztlich der Zerstörung einer offenen, pluralen Gesellschaft dient. Mit anderen Worten: Rechtsextreme haben kein Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn es um die Ausbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie geht. Eine Gesellschaft – und gerade eine offene – muss sich so zur Wehr setzen.

Für alle, die anstatt einer politischen Debatte um die freie Meinungsäußerung durch Rechtsextreme diese lieber mit juristischen Spitzfindigkeiten austragen wollen: hier noch einmal Artikel 5 des Grundgesetzes im Wortlaut:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Also: auch im Grundgesetz ist von den Grenzen der freien Meinungsäußerung die Rede, wenn dadurch die persönliche Ehre, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ähnlich Wichtiges und Schützenswertes in Gefahr geraten. Dazu zählt für mich auch: das Lebensrecht, die freie Entfaltung und die Würde aller Menschen, die auf unserem Planeten leben.

Die Grenzen der freien Meinungsäußerung wurden in mehreren Grundsatzurteilen bestätigt und gesetzlich präzisiert, etwa wenn es um Volksverhetzung geht. Kein Wunder, dass die Rechtsextremen gerade letzteres gerne zum Anlass nehmen, um ihr Recht auf Meinungsfreiheit einzufordern.