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UPDATE: Mordversuch nach der „Hooligan-Disko“

 

Im alternativen Berliner Stadtteil Friedrichshain haben vier Neonazis letzten Sonntag in den frühen Morgenstunden am S-Bahnhof Frankfurter Allee einen 22-Jährigen Student beinahe zu Tode getreten. Der nüchterne Polizeibericht liest sich wie eine Szene aus dem Anti-Nazi-Hollywood-Film „American History X“. „Auf ihn traten und schlugen die Männer so lange ein, bis er das Bewusstsein verlor. Der 26-Jährige Täter zog den wehrlosen Neuköllner auf den Gehweg, legte ihn mit dem Gesicht nach unten ab und trat mit dem rechten Bein auf dessen Hinterkopf.“ Das Opfer kam mit Hirnblutungen auf die Intensivstation, ist aber inzwischen außer Lebensgefahr.

UPDATE: Bei Indymedia sind gerade Fotos aufgetaucht, die die Täter vor der Tat im Jeton zeigen, obwohl der Betreiber vehement bestreitet, dass die Neonazis dort gefeiert hätten. Außerdem sieht man die Täter beim zeigen des Hitler-Grußes im Jeton. Zudem sind Bilder aus der Wohnung der Rechtsextremisten zu sehen, wo ein Poster von „American History X“ hängt.

„Derart grausame rechte Gewalt, bei der die Täter den Tod des Opfers offenbar in Kauf nehmen, hat es in Berlin bisher selten gegeben“, sagte Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) dem Störungsmelder. „Das ist nicht nur eine besondere Qualität an Brutalität, sondern zeigt auch, dass Rechtsextremisten zum Teil eine völlige Entmenschlichung ihrer Opfer vollziehen.“

Die Täter konnten noch am Tatort von der Polizei festgenommen werden und sitzen in Untersuchungshaft. Es wird jetzt wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung gegen sie ermittelt. Alle vier sind der Polizei als rechtsextreme Gewalttäter bekannt. Wie NPD-Blog berichtet kommt der Haupttäter aus Brandenburg. Zumindest einer der Angreifer soll bei der Tat Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“ getragen haben.

Vorausgegangen war der brutalen Gewalttat eine Auseinandersetzung zwischen den vier Rechtsextremisten und etwa zehn linken Jugendlichen. Dabei erlitt einer der Männer eine Platzwunde am Kopf. Über das was danach geschah gibt es zwei unterschiedliche Versionen: Die Polizei ging anfangs davon aus, dass die Täter, nachdem die Linken verschwunden waren, das Opfer rein zufällig ausgewählt hatten. Die Neonazis hingegen behaupten, dass Opfer habe sie „provoziert“ und sei bei der Gruppe Linker dabei gewesen, mit denen sie sich zuvor geschlagen hatten.

Das MBR warnt aber davor aus Opfern vorschnell Täter zu machen. „Der Tathergang und auch die Aussagen der Rechtsextremisten müssen erst noch genau geprüft werden“, sagte Bianca Klose. In der Vergangenheit habe es mehrfach Fälle gegeben, in denen Neonazis gezielt Falschaussagen gemacht hätten.

In den Stunden vor dem Übergriff hatten die Angreifer nach Polizeiangaben im „Jeton“ gefeiert. Die Disko ist bekannt für ihr Publikum aus dem Hooligan- und rechtsextremen Milieu. Im Sommer 2005 geriet das Etablissement in die Schlagzeilen als Spezialeinsatzkommandos der Polizei die Diskothek bei einer Razzia stürmten. 158 Besucher vorläufig festgenommen, dabei wurden 21 von ihnen verletzt.

Viel Berliner fragen sich jetzt, warum es gerade in einem beliebten Szene- und Party-Bezirk wie Friedrichshain zu derartigen rechtsextremen Gewaltausbrüchen kommen konnte. Dabei zeigt ein Blick in die jährliche Chronik der Opferberatungsstelle Reach Out, dass es in diesem Bezirk in den letzten Jahren besonders häufig zu rechtsextremen und rassistischen Übergriffen kam.

„Die Rechten finden dort schneller potentielle Opfer – vor allem Menschen die äußerlich der alternativen Szene zugerechnet werden können“, erklärt Helga Seyb von Reach Out das Phänomen. „Gerade diese Gegenden sind allen, die nationalistisch und rassistisch denken, ein Dorn in Auge.“ Man dürfe aber nicht glauben, dass alle Schläger zum Prügeln in die besagten Stadtteile anreisen. Oft würden sie ganz in der Nähe wohnen. „Die alternativen Kieze sind in jedem Bezirk relativ begrenzt“, sagt Seyb.

Friedrichshain ist mit 30 (2007: 24) Gewalttaten auch im Jahr 2008 der Bezirk mit der höchsten Angriffszahl. Zum Vergleich: in der Hochburg der Neonazis Lichtenberg gab es im gleichen Jahr „nur“ 15 (2007: 14) Angriffe. Auf einer Übersichtskarte kann man online die Orte der Übergriffe sehen. Um das „Jeton“ herum, am S-Bahnhof Frankfurter Allee, finden sich besonders viele Markierungspunkte.

Für kommenden Samstag ruft ein breites Bündnis aus Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Antifagruppen zu einer Demonstration in Friedrichshain gegen Rechte Gewalt auf. Startpunkt ist um 18 Uhr auf dem Bersarin-Platz.