Wer etwas gegen Nazis tun will, muss ihre Sprache verstehen. In dem gerade erschienenen „Buch gegen Nazis“ von Holger Kulick und Toralf Staud werden 70 Fragen zum Thema Rechtsextremismus beantwortet. Dabei geht es ebenso um typische Argumentationsmuster, wie um Kleidermarken und Musikstile. Bei dem folgenden Auszug handelt es sich um Kapitel 25, in dem Henning Flad sich mit rechtsextremen Sprachgebrauch beschäftigen.
Neonazis, aber auch Vertreter der Neuen Rechten, reden gern von einem deutschen „Schuldkult“, wenn es ums Erinnern an die Verbrechen des Dritten Reiches geht. „Der Schuldkult als Holocaust-Religion ist heute die Staatsreligion der Bundesrepublik“, schreibt etwa die neurechte Online-Zeitschrift Blaue Narzisse. Der Gebrauch dieses Begriffs ist Teil eines umfassenden Versuchs, Ursachen, Verlauf und Folgen des Nationalsozialismus zu leugnen oder zumindest zu verharmlosen. Ein wichtiger Teilerfolg für die Rechtsextremisten wäre es, wenn über die grausamen Verbrechen nicht mehr öffentlich diskutiert und der NS-Opfer nicht mehr gedacht würde. Der Begriff „Schuldkult“ soll jede kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als lächerlich und aufgezwungen erscheinen lassen. Oft werden auch diejenigen, die die Erinnerung an den Nationalsozialismus und dessen Opfer wachhalten wollen, als „Umerzieher“ verunglimpft – wobei gleich noch mitschwingt, dass ein kritisches Verhältnis zur eigenen Geschichte „unnatürlich“ sei.
Ähnlich beliebt unter Rechtsextremen ist das Entwerten des Begriffs „Holocaust“. Seit den Siebzigerjahren hat sich das Wort als Bezeichnung für den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Europas etabliert. Im Januar 2005 provozierte der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel einen Eklat im Sächsischen Landtag, als er die alliierten Luftangriffe auf Dresden „Bomben-Holocaust“ nannte. Indem das Wort Holocaust aus seinem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang gerissen und für Opfer von alliierten Bombenangriffen verwendet wird, soll der geschichtlich einmalige, geradezu industriell organisierte Massenmord an den Juden relativiert und verharmlost werden.
Dies ist so etwas wie die Vorstufe zum offenen Leugnen. Vor allem wenn es um antisemitische Hetze geht, ist die Neonazi-Szene sehr geschickt im Finden neuer und vor allem strafrechtlich nicht greifbarer Begriffe. Zum Teil sind die Termini eindeutig, zum Teil enthalten sie aber auch antisemitisch konnotierte Chiffren und Codes, die nur Eingeweihte entschlüsseln können. In jedem Falle eignet sich das Phantasiekonstrukt einer „Jüdischen Weltherrschaft“ dazu, komplexe und für viele Menschen schwer durchschaubare Zusammenhänge mit Verweis auf „jüdische Einflüsse“ ganz schlicht zu erklären – zum Beispiel in der Geopolitik oder der Finanzwirtschaft.
Recht einfach zu verstehen ist „USrael“. Dieses Mischwort aus Israel und USA soll suggerieren, dass die amerikanische Politik und Wirtschaft von Israel gesteuert werden. Und Israel wird hier natürlich als Synonym für „den Juden“ gebraucht, obwohl gut 20 Prozent der israelischen Staatsbürger arabischer Herkunft sind und natürlich zahlreiche israelische Juden die Politik ihrer Regierung kritisieren. Weniger verständlich ist das Reden von „Schaltzentralen der amerikanischen Ostküste“. Der Begriff steht für das angeblich von Juden dominierte internationale Finanzsystem. Neonazis vermuten, dass die weltgrößte Aktienbörse und auch die Banken in New York (an der Ostküste der USA) insgeheim von Juden kontrolliert würden. Auch der Begriff „raffendes Kapital“ ist ein häufig genutztes Synonym für den Bankensektor.
Als „schaffendes Kapital“ hatten schon die Nationalsozialisten das gute, bodenständige, produzierende, quasi deutsche Industriekapital bezeichnet, dem sie das „raffende Kapital“ der Zirkulationssphäre entgegensetzten. Und diese sei „ihrem Wesen nach jüdisch“. Mit Bezug auf diese Unterscheidung können heutige Neonazis antisemitische Hetzartikel schreiben, ohne auch nur einmal das Wort „Jude“ zu benutzen.
Typisch für das Mixen von offen und verdeckt antisemitischen Begriffen ist dieser Text aus der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme (5/2005): „Wie ein Krake hat der Dollar-Imperialismus die Welt im Würgegriff, und er unternimmt nicht einmal mehr die geringsten Anstrengungen, dies irgendwie zu verschleiern. Denn die Weltmachtstellung jüdischer Kapitalstrategen – gleich welche Staatsangehörigkeit sie zufällig haben – scheint ihrem weltgeschichtlichen Höhepunkt entgegenzutreiben […] Deshalb existieren die Erbhöfe der Ostküste in Institutionen der Weltwirtschaft weder zufällig noch sind sie ungefährlich. Hier laufen die Fäden einer völkerfeindlichen Oligarchie zusammen.“ Der „Krake“ war übrigens sogar schon vor der Zeit des Nationalsozialismus als Synonym für die erdachte Weltherrschaft von Menschen jüdischen Glaubens gebräuchlich.
Ein ebenfalls häufig genutzter antisemitischer Code ist das Kürzel „ZOG“ („Zionist Occupied Government“, zu deutsch: „zionistisch beherrschte Regierung“). Neonazis wollen damit verschiedenen Staaten unterstellen, jüdisch kontrolliert zu sein. Wann immer sich eine Regierung gegen Rechtsextremismus stark macht oder andere Dinge tut, die Neonazis ärgern, führen sie dies auf geheime Einflüsse von Juden zurück. Alles, was den eigenen paranoiden Vorstellungen nicht entspricht, wird als „jüdische Propaganda“ abgetan – so bestätigt sich die wirre Theorie auf wundersame Weise immer wieder von selbst.
Wenn es um Politiker der demokratischen Parteien geht oder Vertreter der Wirtschaft, dann scheinen sich Neonazis besonders anzustrengen: „Erfüllungspolitiker“, „Globalisierungsfanatiker“, „Nadelstreifen-Kriminelle“, „internationale Plutokratie“, „One-World-Mammonisten“, „Globalextremisten“ – diese Bezeichnungen stammen aus der Deutschen Stimme. Besonders oft werden dort Begriffe wie „Systempolitiker“ oder „Systemparteien“ benutzt, um die demokratischen Parteien und ihre Repräsentanten verächtlich zu machen und als Teil eines gemeinschaftlich agierenden, feindlichen Komplexes darzustellen. Noch weiter geht „Besatzerregime“ – das Wort diffamiert die demokratische Verfassung der Bundesrepublik als von den Alliierten aufgezwungen und damit illegitim.
Neben der Schaffung von Freund-Feind-Bildern versucht die NPD hier wie beim „Schuldkult“ Schlagwörter zu prägen, in der Hoffnung, dass sie in die öffentliche Debatte Einzug halten. Dasselbe Ziel verfolgen Wortschöpfungen zur grundsätzlich abgelehnten Migration. Begriffe wie „Multikulti-Extremisten“ und „Multikulti-Umerzieher“ suggerieren, dass Zuwanderung „unnatürlich“ und nur gewaltsam durchsetzbar sei. Das Wort „Asylbetrüger“ soll politisch Verfolgten legitime Gründe für ihre Flucht und die Aufnahme in Deutschland absprechen. Das Schlagwort der „Überfremdung“ übertreibt den Anteil von Migranten hierzulande.
Und wenn Neonazis den Begriff „Kulturbereicherer“ benutzen, versuchen sie das antirassistische Argument, dass eine Gesellschaft von Zuwanderung profitiert, ironisch umzudrehen – denn er wird von Rechtsextremisten nur in den Mund genommen, wenn es um negative Phänomene geht, etwa um „Ausländergewalt“. Dieser Begriff versucht – wie auch die Rede von einer „multikriminellen Gesellschaft“ –, einen ursächlichen Zusammenhang von Einwanderung und Kriminalität herzustellen.
Tatsächlich tauchen ja Migranten bei einigen Delikten überproportional häufig in Kriminalstatistiken auf – doch das hat nichts mit genetischer oder ethnischer Prägung zu tun, wie Neonazis unterstellen, sondern beispielsweise mit sozialen Problemen und mangelnden Bildungschancen, und davon sind Menschen mit ausländischen Vorfahren hierzulande öfter betroffen.
Zwar sprechen auch Boulevardmedien oder (vor allem) konservative Politiker bisweilen von „Ausländerkriminalität“, doch bei den anderen genannten Begriffen gelang der NPD die Etablierung in der breiten Öffentlichkeit bisher nicht. Einzig die „national befreite Zone“ ist in den allgemeineren Sprachgebrauch eingeflossen – allerdings mit einer durchweg negativen Konnotation.
Anfang der Neunzigerjahre war in einer Zeitschrift der NPD-Organisation Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) dazu aufgerufen worden, Straßenzüge, Stadtviertel oder ganze Ortschaften durch Rechtsextremisten so zu dominieren, so dass potenzielle Opfergruppen wie Schwarze, Homosexuelle, Behinderte oder nicht-rechte Jugendliche jederzeit mit Gewalt rechnen müssen. Es sollten Machtstrukturen parallel zur Staatsgewalt aufgebaut werden, durch die Gründung eigener Kleingeschäfte (genannt wurden beispielsweise Buchläden, Druckereien, Werbeagenturen oder „Reiseunternehmen für kleine Geldbeutel“) sollte die Szene auch ein ökonomisches Rückgrat erhalten und so die Ausgrenzung von Neonazis auf dem Arbeitsmarkt unterlaufen werden. Ende der Neunzigerjahre wurde der Begriff „national befreite Zone“ in der NPD breit propagiert, Medien griffen ihn daraufhin auf, und mit der Wahl zum Unwort des Jahres 2000 wurde der Terminus bundesweit bekannt. Rechtsextreme Internetforen bejubelten das damals ausgiebig.
Holger Kulick/Toralf Staud (Hg.): Das Buch gegen Nazis. Rechtsextremismus – was man wissen muss und wie man sich wehren kann. 12,95 Euro. ISBN 9783462041606