Lesezeichen
‹ Alle Einträge

„Bis ich nicht mehr kann“

 

Zivilcourage ist keine Frage des Alters. Elsa Dietrich* engagiert sich gemeinsam mit ihren Enkeln in ihrer Region seit Jahren gegen die Neonazi-Szene. Doch seit ihre Tochter einen Neonazi als Freund hat, fürchtet sie, dass die Familie daran zerbrechen könnte.

Mit 60 Jahren unermüdlich gegen Neonazis aktiv   F. Pawlitzky
Auch mit 60 Jahren unermüdlich gegen Neonazis aktiv © F. Pawlitzky

Eigentlich ist die Demonstration vorbei, diesmal war alles ruhig geblieben. Die Teilnehmer, meist Schüler und Studenten, haben ihre Banner zur Seite gelegt und freuen sich über die gelungene Aktion. Die Polizisten wollen die Kundgebung gerade auflösen, als sich ihnen diese zierliche alte Dame in den Weg stellt. Sie kocht vor Wut und hätte sie ihre Gehhilfe dabei, sie würde damit drohen. „Dieser junge Mann hat meinem Enkel ‚Scheiß Zecke‘ zugeraunt“, ruft sie voller Empörung und zeigt auf einen der Kollegen. Plötzlich ist es mit der Ruhe dahin.

„Ich habe keine Angst“

Wie viele Großeltern begleiten ihre Enkel auf Demonstrationen gegen Rechts? Wie viele Großeltern wissen, dass „Zecke“ kein gewöhnliches, sondern ein rechtsextremes Schimpfwort ist? Elsa Dietrich weiß es, sie kennt sich mit der Problematik aus. Während andere in ihrem Alter lieber zu Hause bleiben oder über „die Jugend von Heute“ schimpfen, geht sie auf die Straße. Trotz des künstlichen Hüftgelenk und halbseitiger Lähmung. „Das erste Mal war ich auf einer Demonstration, bei der an einen ermordeten Jungen gedacht wurde“, erinnert sie sich. „Der war 15, genau wie unser Großer damals, und wurde von drei Nazis erschlagen.“ Seitdem begleitet sie ihre beiden Enkelsöhne so oft es geht, weil sie richtig findet, was ihre Jungs machen. Und weil sie Sorge um sie hat. Der Ältere ist mittlerweile 19 und studiert Physik. Der Jüngere ist 13, auch er will sein Abitur machen. Beide sind Punks, beide haben die menschenverachtende Gewalt der Rechtsextremisten bereits zu spüren bekommen. „Der Große wurde vor einem halben Jahr von einem Rechten krankenhausreif geprügelt. Seitdem hält eine Metallplatte seine Wangenknochen zusammen.“ Dass auch sie eine Gefahr eingeht, ist Elsa Dietrich bewusst. „Vor wenigen Wochen waren wir auf einer Gedenk-Demo hier in der Nähe. Das Opfer war eine Frau in meinem Alter.“ Dietrich besitzt einen alten Fotoapparat, mit dem sie während der Demonstrationen oft knipst. Als sie von dem Gedenkstein ein Bild machen wollte, fragte ein Passant, ob sie sich nicht lieber ein anderes Hobby suchen wolle. „Warum sollte ich? Ich habe keine Angst.“

„Außer Meinungsfreiheit hat mir die Wende nichts gebracht“

Dietrich ist 60 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und Großmutter von fünf Enkeln. Ihr Mann starb als sie 34 war, seitdem hält sie die Familie zusammen. Ihre Kinder erzog sie nach bestem Gewissen, sie sollten immer wissen, dass Zusammenhalt im Leben das Wichtigste ist. Als die Menschen 1989 begannen, sich gegen die DDR zu wehren, war sie dabei. Sie wollte die Wende. „Mein Sohn und der Ex-Mann meiner Tochter waren auf den Montagsdemos, während meine Tochter und ich die Kleinen versorgten.“ Es war eine gefährliche Zeit, im Haus wohnten Stasi-Spitzel, „aber uns war das egal. Über unsere Wohnungstür hängten wir ein großes Schild: ‚Wir sind das Volk‘.“ 20 Jahre später hat sich viel verändert. Elsa Dietrich lebt von Hartz IV, ihre Kleider bekommt sie gespendet, das Haar schneidet sie sich selbst. „Außer Meinungsfreiheit hat mir die Wende nichts gebracht“, sagt sie trocken. „Ich stehe vor den Schaufenster und drücke mir die Nase platt. Es ist nicht mal Geld für eine Tafel Schokolade da.“ Was sie hat, teilt sie mit ihrer Tochter und deren „bunten Jungs“, wie sie die Punker liebevoll nennt. Sie hilft, wo sie kann, denn sie will nicht auch noch ihr jüngstes Kind verlieren. Die ältere Tochter ist alkoholabhängig, der Sohn seit langem tot. Drei Jahre hatte die Familie um ihn gekämpft und dafür sämtliche sozialen Kontakte aufgegeben. „Im Dorf habe ich deshalb kaum Freunde. Man redet auch nicht – da herrscht Stillschweigen.“ Still war man auch, als während eines Dorffestes das Tagebuch der Anne Frank verbrannt wurde. Still ist man, wenn es um die Liebesaffäre der Nachbarn geht. „Seit kurzem hat meine Tochter einen neuen Freund – einen richtigen Nazi, mit Glatze und allem drum und dran.“ Jetzt fürchtet sie, dass sie in die rechte Szene abrutschen könnte. Das will sie nicht zulassen. Sie kämpft weiter gegen die rechtsextreme Ideologie – auch im eigenen Umfeld. „Ich mache weiter bis ich nicht mehr kann.“

„Da bin ich provokant“

Wenn sie von den Rechtsextremisten in ihrem Dorf spricht, kneift Elsa Dietrich ihre Augen fest zusammen. Ihre Worte klingen düster, denn glaubt man ihr, sind die Neonazis überall: Im Sportverein, auf der Kegelbahn. Wie eine Seuche, die sich ausbreitet. „Der Mann betreibt mit meiner Tochter Gehirnwäsche“, sagt sie und ballt die Hand zur Faust. Neulich habe er ein Lied über Hitler angestimmt und Dietrich zum Hohn Eva Braun genannt. Sie ist zornig und so verzweifelt, dass ihr immer wieder Tränen in die Augen steigen. „Ich kann mich nicht mit meiner Tochter zerstreiten – Ich habe sonst doch niemanden mehr.“ Die größten Sorgen macht sie sich aber um ihre zwei Enkel. Bisher verheimlicht ihre Tochter dem neuen Freund, dass die beiden in der alternativen Szene aktiv sind. „Was, wenn der Kleine mit seinem Irokesenschnitt nach Hause kommt und dieser Nazi sitzt am Küchentisch?“ So machtlos sie dem Verhalten ihrer Tochter gegenübersteht: Sie will hartnäckig bleiben. „Letzte Woche sollte meine Tochter für ein Nazi-Grillfest Kartoffelsalat machen.“ Die Tochter bat Dietrich, für sie den Salat vorzubereiten. „Aber ich stelle mich doch keine drei Stunden hin und schnipple Kartoffeln für diese dummen Nazis!“ Am Ende hat sie doch geholfen. Das Salz fehlte, aber die alte Dame verlor kein Wort darüber. „Ich wusste, dass der Nazi sauer wird. Die Rechten behandeln ihre Frauen ja sehr herablassend. Aber das muss sie allein merken, da bin ich provokant!“

* Der Name wurde zum Schutz der Beteiligten geändert.