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Worum es den Nazis in letzter Konsequenz geht…

 

Wenn die Nazis vom „Nationalen Sozialismus“ sprechen und sich grundsätzlich offen positiv auf die Nazi-Gewaltherrschaft beziehen, wenn sie Transparente mit Aufschriften wie „Eines Tages werden wir uns fürchterlich rächen“ auf ihren Demos tragen, wenn sie die SA auf Demos offen als historische Vorbilder bezeichen und im gleichen Atemzug ihre Gegner bedrohen, wenn sie vom „Linken Gezeter – 9 Millimeter“ sprechen usw. usf. – dann muss uns klar sein, dass sie in ihren ausufernden Gewaltphantasien grundsätzlich immer auch eins im Kopf haben:  in letzter Konsequenz die physische Vernichtung von politischen Gegnern, Minderheiten, jüdischen Menschen, letztlich allen, die nicht in ihr nationalsozialistisches Wahnbild passen.

Kürzlich habe ich zwei sehr heftige Bücher gelesen: Einmal „Der vergessene Holocaust“ über den Mord an den Ukrainischen Juden und dann von Jens Hoffmann das Buch „Das kann man nicht erzählen“  – „Aktion 1005“, in dem es darum geht, wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten.  Beide Bücher dokumentieren auf eindringliche und erschütternde Weise in Zeugenaussagen, Interviews und anderem Quellenmaterial, wozu „ganz normale Männer“ in der Lage sind, wenn sie – durchtränkt von antisemitischer Wahnpropaganda und Herrenmenschenphantasien, die Macht haben, ihre Ideologie konkret umzusetzen. Millionenfache, kaltblütige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas, davon allein 1,5 Millionen Kinder.

In einer Rezension zu Debois Buch wird in wenigen Sätzen, die ganze abgründige, barbarische und im Grunde nicht zu fassende Grausamkeit der Nazi-Täter auf den Punkt gebracht:

„Deutlich wird in Desbois’ Interviews und seinen zwischengeschalteten Kommentaren die unglaubliche Perfidie und Grausamkeit der Täter, aber auch ihre nahezu perfekte Organisation. Die Deutschen fuhren mit Motorrädern und Lastwagen in die Dörfer und versetzten ihre Opfer mit ihren routinierten Überfällen in eine Art Schockstarre, die dazu führte, dass die meisten Juden nicht einmal mehr zu fliehen versuchten. Alle mussten sich nackt ausziehen, ihr Hab und Gut wurde in Windeseile gesammelt und abtransportiert, und dann führte man sie an irgendwelche Erdlöcher, um sie zügig zu erschießen.

Ihr Tod war eine unglaubliche Qual, da die meisten nur verwundet in die Grube fielen und danach lebendig begraben wurden. Babys, die die Mütter auf den Armen trugen, fielen oft unverletzt mit hinunter. Eine der grausigsten Neuigkeiten in Desbois’ Buch ist es daher, dass sich im Grunde alle Massengräber in der gesamten Ukraine noch mindestens drei Tage nach den Erschießungen bewegten. Aus den Brunnen schrie es, und der Marktplatz des Dorfes Sataniw, unter dem man die Juden des Ortes lebendig eingemauert hatte, bebte noch vier Tage lang. Und zwar, weil die Menschen versuchten, wieder herauszukommen. Deshalb wird in verschiedenen Interviews auch von dem Entsetzen derjenigen Ukrainer erzählt, die gezwungen wurden, die Gräber zu schließen, und die erleben mussten, wie dabei plötzlich eine Kinder- oder Erwachsenenhand aus der Erde fuhr und nach ihrer Schaufel griff.“

Auch wenn es phasenweise unerträglich ist, in den Büchern weiter zu lesen, sind diese Bücher von unschätzbarem Wert, da sie immer wieder aufs Neue verdeutlichen und unvergessen machen, wozu rassistisch und antisemitisch aufgehetzte Menschen fähig sind und was es konkret heißen könnte, wenn die Nazis ein weiteres Mal die Macht erlangen würden: Vernichtung.

Wenn sich die Nazis heute in all ihren Publikationen, in ihren menschenverachtenden Songtexten, in ihren Demosprüchen, Flugschriften, Redebeiträgen offen positiv auf den Nationalsozialismus beziehen, Hitler als Staatsmann verehren, „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ brüllen, Hetzjagden auf politische Gegner und Minderheiten machen, deutet sich an, was kommen könnte, hätten diese Leute wirklich die Möglichkeit ihre Ideen umzusetzen.

Wir müssen uns immer wieder verdeutlichen, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, der sich die Unmenschlichkeit und die Barbarei auf die Fahnen geschrieben hat und der es historisch bewiesen hat, dass er Worten Taten folgen lässt. Es ist an uns, das zu verhindern.

Hier die Buchtips:

Patrick Desbois: Der vergessene Holocaust. Die Ermordung der ukrainischen Juden.
Mit einem Vorwort von Arno Lustiger.
Übersetzt aus dem Französischen von Hainer Kober.
Berlin Verlag, Berlin 2009.
303 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 978382700826

Jens Hoffmann
„Das kann man nicht erzählen“
„Aktion 1005“ – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten
konkret texte 46/47 – Ermittlung
Doppelband 448 Seiten, broschiert
EUR 29.80
ISBN 978-3-930786-53-4