Karl Pfeifer wollte über die extreme Rechte referieren (Foto: c/o LOTTA)
Karl Pfeifer ist 81 und überlebte den Holocaust. Bis heute ist der in Wien lebende Journalist antifaschistisch aktiv, schreibt für die englische Antifa-Zeitschrift Searchlight, für die Jungle World, gilt als ausgewiesener Kenner der Nazi-Szene in Ungarn und engagiert sich seit Jahrzehnten gegen die rechte FPÖ.
Nun sollte in der vergangenen Woche in einem Bielefelder alternativen Kulturzentrum mit Pfeifer ein Vortrag über die extreme Rechte in Ungarn stattfinden. Doch die Veranstaltung musste in einen anderen Raum verlegt werden, weil einige AJZ-Aktivisten den Vortragenden ablehnten: Er sei Gerüchten zu Folge in einer jüdischen Militäreinheit gewesen, die möglicherweise an „Massakern“ beteiligt war und außerdem sei er ja „Zionist“…
Wie redok berichtet, fußt die gesamte Entscheidung der Verweigerung von Räumlichkeiten auf Gerüchten und schlechter Recherche einiger weniger. Um einen umfassenden Einblick in die Ereignisse zu vermitteln, hier der redok-Beitrag in voller Länge:
„Seit vielen Jahren ist Karl Pfeifer als Journalist tätig. Der
81-Jährige kennt sich aus mit Rechtsextremismus und Antisemitismus,
insbesondere in Österreich und Ungarn. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr
hat er in Baden bei Wien gelebt; nach dem „Anschluss“ Österreichs an
das Nazi-Reich verließ die Familie das Land und ging nach Budapest.
Doch auch dort nahm die Bedrohung für Juden ständig zu. Mit 14 Jahren
konnte Pfeifer mit gefälschten Papieren in einem der letzten
Kindertransporte der linkszionistischen Jugendorganisation Hashomer
Hatzair, der Budapest noch verlassen konnte, vor der nahenden
Vernichtung flüchten. SS-Offiziere standen an der bulgarischen Grenze
bereit, den Transport aufzuhalten und umzuleiten; nur mit Mühe gelang
es, bulgarische Regierungsstellen einzuschalten und den Transport
durchzubekommen. Ein Jahr später sollten weit über 400.000 ungarische
Juden den Weg nach Auschwitz-Birkenau antreten müssen.
In Palästina angekommen, arbeitete Pfeifer in einem Kibbuz. Mit 17
Jahren ging Pfeifer zum Palmach, der Eliteeinheit der illegalen Hagana,
einer Selbstverteidigungstruppe, aus der dann später die israelische
Armee entstand. Beim Palmach war er von 1946 bis 1948, bis 1950 gehörte
er den israelischen Streitkräften Zahal an. 1951 kehrte er nach Europa
zurück; seit langem lebt er wieder in Wien, wo er seit 25 Jahren als
Journalist tätig ist. Von 1995 bis 2002 betrieben Rechtsextreme sieben Gerichtsverfahren gegen Pfeifer.
Seine Kenntnisse sind in Österreich und in Deutschland gefragt, wo er
oft Vorträge hält. Zuletzt führte ihn eine Vortrags-Reise nach
Westfalen. Über die extreme Rechte, über Antisemitismus und
Antiziganismus in Ungarn sollte Pfeifer auf Einladung örtlicher Uni-
und Antifa-Gruppen in Münster und Bielefeld erzählen, wo sein Vortrag
im AJZ („ArbeiterInnen-Jugend-Zentrum“) stattfinden sollte. Doch wenige
Tage vor der Vortrags-Veranstaltung stellte sich heraus: dort war
Pfeifer nicht erwünscht. Die Antifa-Gruppe organisierte schnell einen
Ersatzraum, sodass die Veranstaltung zumindest nicht abgesagt werden
musste. „Zwischen allen Stühlen“, heißt ein filmisches Porträt von Karl
Pfeifer; jetzt hatte ihm ausgerechnet ein alternatives Zentrum den
Stuhl vor die Tür gestellt.
Kulturzentrum mit Tradition
In Bielefeld gibt es seit Jahrzehnten das alternativ-autonome Kulturzentrum AJZ. Gegründet in den wilden 1970er Jahren, hat es bewegte und rau-rebellische Zeiten
hinter sich. Auseinandersetzungen mit Neonazis unterstrichen die
Bedeutung des Zentrums auch als politischen Fokus in der Region. Immer
noch findet montags ein „Antifa Café“ im AJZ statt.
Den Antifa-Arbeitsgruppen an der Uni und der Fachhochschule, die Karl
Pfeifer als Referenten eingeladen hatten, schien es daher wohl
selbstverständlich, den Vortrag im AJZ stattfinden zu lassen. Wochen
vor dem geplanten Termin wurde deshalb bei einer „Kneipengruppe“ des
Zentrums angefragt, ob diese als Schirmherr der Veranstaltung am
Donnerstag, den 19.11., mitmachen würde. Zunächst schien es dabei kein
Problem zu geben. Doch am Montag vor der Veranstaltung hieß es dann in
einer Email der „Kneipengruppe“, aufgrund von „Recherchen“ sei
beschlossen worden, die Veranstaltung nicht mitzutragen. Am folgenden
Dienstag trat die „Hausversammlung“ zur regulären Sitzung zusammen –
entsprechend dem basisdemokratischen Konzept des Zentrums das
entscheidende Gremium.
In dieser Versammlung ging es zur Sache. Eine kleine Minderheit
legte ein Veto gegen die Pfeifer-Veranstaltung ein – das war gemäß dem
„Konsensprinzip“ das Aus für den Vortrag im AJZ. Die Vortragsgegner
legten eine „lose Informationssammlung“ ohne Angabe von Quellen vor,
wie ein vorliegendes Gedächtnisprotokoll der veranstaltenden
Uni-Antifa-AG festhält. Damit wurde Pfeifer beschuldigt, einer
militärischen Einheit angehört zu haben, die „an einem Massaker und
Vertreibungen in einem palästinenschen Dorf teilgenommen, bzw diese
durchgeführt“ habe.
Unklar war selbst den Veto-Einlegenden, wann Pfeifer in der besagten
Einheit gewesen war „und wie dieses Massaker abgelaufen ist“. Auch
wurde zugestanden, dass die genannten Informationen nicht sicher seien.
Irgendwas musste für die Bielefelder Kneipengruppe trotzdem wohl an
der Sache dran sein, denn – so im Wortlaut – „Er ist ja Zionist …“.
Ein Verbot sei zudem vollkommen nachvollziehbar, denn Veranstaltungen
mit Mitgliedern des „Schwarzen September“ seien doch ebenfalls
unerwünscht. Damit war die palästinensische Terrororganisation gemeint,
die unter anderem für den Anschlag auf die israelische Mannschaft bei
den Olympischen Spielen 1972 in München verantwortlich war. Und mit
einer derartig als terroristisch entlarvten Gruppierung – wie hier in
diesem Falle per Gleichsetzung des israelischen Militärs mit dem
„Schwarzen September“ – will man offenbar nichts zu tun haben im AJZ.
Es sei denn, die Gruppierung heißt „militante gruppe“, die als
„terroristische Vereinigung“ angeklagt war und sich beim „Antifa Café“
einer solidarischen Aufmerksamkeit und Spendenaufrufen zur juristischen
Verteidigung sicher sein konnte, wie man der Webseite des „Infoladen
Anschlag“ entnehmen kann.
Das Gerücht als fundierte Grundlage durchdachter Entscheidungen
Damit war der Anschlag auf den Pfeifer-Vortrag auf Grundlage eines
Gerüchts perfekt. In früheren Jahren hatte der Philosoph Theodor Adorno
einmal geschrieben, der Antisemitismus sei das Gerücht über die Juden
(Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben).
Obwohl die Mehrheit der basisdemokratischen Hausversammlung
keineswegs die Anwürfe gegen Pfeifer und die Aussperrung mittrug, galt
nun gemäß den gültigen Prinzipien das Veto und die Veranstaltung als
abgelehnt. Im alternativ-autonomen Milieu gibt es keine
Mehrheitsentscheidung, kein Tie-Break wie im Tennis, keinen antiken
Helden zum Durchschlagen eines gordischen Knotens oder gar ein
Krisenmanagement wie in kommerziellen Unternehmen.
Und es gibt keine Öffentlichkeit. Eine Anfrage an das AJZ wegen des
Vorgangs wurde erst nach drei Tagen mit dem lapidaren Verweis auf die
nächste „Hausversammlung“ beantwortet, damit bleibt man auf die
Darstellung der veranstaltenden Antifa-AG angewiesen. Darüber hinaus
bleibt zur Zeit nur die Stille Post mit Andeutungen aus dritter Hand –
Gerüchte eben.
Tribunal oder nicht – jedenfalls lange Bank
Wie es nun in Bielefeld weitergehen soll, ist nicht ganz klar. Auch
die veranstaltende Antifa-AG muss sich erst in der eigenen Gruppe
abstimmen, um eine Stellungnahme herauszugeben. Sie will den Vorgang
aber unbedingt beim AJZ auf den Tisch bringen, soviel steht fest. Eine
Stellungnahme des AJZ kann man frühestens Anfang Dezember erwarten,
denn die „Hausversammlung“ als oberstes Gremium tagt alle vierzehn Tage
dienstags. Dort werde „über das Thema und den weiteren Umgang damit“
gesprochen werden, heißt es inzwischen. „Bei entsprechendem Beschluß“,
so die AJZ-Mitteilung, werde es „zeitnah weitere Informationen geben“.
Was in der Sache besprochen werden soll, ist ebenfalls unklar. Ob nun
ein alternatives Bielefelder Kriegsverbrechertribunal ins Haus steht
oder ein autonomes Beratungskollektiv zur diffizilen Selektion von
Juden in Opfer und Täter, muss sich noch herausstellen. Vielleicht
fällt es aber doch noch jemandem ein, welch ungeheure Anmaßung es
bedeutet, dass sich ausgerechnet Deutsche am Bielefelder Gerüchtshof
als Richter über Überlebende des von Deutschen verursachten Holocaust
aufschwingen, die es gewagt haben, ihr Leben mit der Waffe zu
verteidigen. Die große Mehrheit in der „Hausversammlung“ hatte offenbar
nichts mit den Anwürfen gegen Pfeifer zu tun, doch da ja dort
bekanntlich Basisdemokratie und Konsensprinzip herrschen, kann man auf
solche einhellige Einsicht nicht unbedingt vertrauen.
Der Fall wurde bislang nur im englischen Internetforum „Engage“
aufgegriffen, wo die Bielefelder Aussperrung des jüdischen
Antifaschisten Pfeifer mit den Jahrhunderte alten „blood libels“
(Ritualmordlegenden) in Verbindung gebracht wird. Die moderne
„antizionistische“ Version der Mordlegenden wird Pfeifer persönlich und
seiner damaligen Einheit Palmach gerade auch von linken Gruppen seit
Jahren zugemutet. So heißt es etwa, der Palmach sei an einem Massaker
in dem palästinensischen Dorf Deir Yassin beteiligt gewesen. Es hat
offenbar wenig genützt, dass Pfeifer bereits vor Jahren auf Angriffe
von Islamisten und Linksradikalen mit dem Text „Warum ich Soldat wurde„
reagiert hatte und dass er darauf hingewiesen hat, dass selbst
„antizionistische“ Quellen als Urheber des Massakers nicht den linken
Palmach, sondern die rechtsgerichteten Gruppen Irgun Zvai Leumi und Lochamei Herut Yisrael
nennen. Eine „Liga der Sozialistischen Revolution“ in Österreich hat
ebenfalls schon vor Jahren das Programm für ein Tribunal gegen Pfeifer
skizziert, indem beispielsweise gefragt wurde, in welcher Einheit
Pfeifer gedient habe und wo er 1948 eingesetzt worden war.
Nun kann das Tribunal ja vielleicht in Bielefeld stattfinden,
selbstverständlich basisdemokratisch, konsensprinzipiell und unter
Ausschluss der Öffentlichkeit. Der „Beschuldigte“ wird freilich nicht
zugegen sein. Vielleicht wird die Atmospäre jenem weltbekannten
Tribunal entsprechen, das allerdings öffentlich war, weil es landesweit
vom Fernsehkonzern ABC übertragen wurde und in dem ein Vertreter der
beschuldigten Partei – es war die US-Armee – dem Ankläger den berühmten
Satz entgegen warf:
„Have you left no sense of decency?“
(Haben Sie keinen Sinn für Anstand übrig?)
Joseph N. Welch, Rechtsvertreter der US-Armee zu Senator Joseph R. McCarthy während einer Anhörung des „Ständigen Unterkomitees für Untersuchungen“ 1954.“
Es ist fatal und ein erschreckendes Signal, dass nach den antisemitischen Übergriffen gegen die Filmvorführung des Lanzmann-Films „Warum Israel“ durch sich selbst als links bezeichnende Aktivisten der B5 in Hamburg, erneut ein jüdischer Antifaschist und Holocaustüberlebender aus angeblich linken Kreisen in so ungeheuerlicher Weise diffamiert und angegriffen wird.
Im Falle des AJZ Bielefeld habe ich alter Optimist noch die vage Hoffnung, dass die unsegliche Tragweite dieser antisemitisch motivierten“Aussperrung“ erkannt, sich schnell und unmissverständlich hiervon distanziert und eine angemessene Entschuldigung ausgesprochen wird. Es wird ansonsten unerträglich…
In „Strange days in Germany“ äußert sich Karl Pfeifer zu den Vorfällen in Bielefeld und hier könnt Ihr ein sehr gutes Interview lesen, dass Karl Pfeifer der antifaschistischen Zeitung LOTTA gegeben hat.