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„Du Zecke wirst nicht mehr aufstehen“

 

Mordversuch aus "Gründen der Machtdemonstration" dpa
Mordversuch "aus Gründen der Machdemonstration" © dpa

Prellungen, Platzwunden, Schädelhirntrauma. Mit diesen Verletzungen blieb ein junger Student am S-Bahnhof Frankfurter Allee zurück, als vier mutmaßliche Neonazis mit ihm fertig waren – inklusive Stampfkicks auf den Kopf. Wegen versuchten Mordes stehen die Männer nun vor dem Berliner Landgericht.

Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen

Der Verteidiger nimmt die „Erklärung“ seines Mandanten in die Hand und liest tonlos vor, was einen jungen Linken beinahe das Leben gekostet hätte. „Ich bin ausgerastet“, zitiert der Anwalt den Angeklagten Oliver K., „ich habe auf ihn eingeschlagen und getreten, auch gegen den Kopf.“ Absolute Stille im Saal 501 des Landgerichts. „Ich war in Rage“, der Verteidiger senkt ein wenig die Stimme, „eine konkrete Erinnerung an die Schläge habe ich nicht“. Irgendwann sei die Polizei gekommen. Dass er das Opfer so schwer verletzt habe, „tut mir leid“, referiert der Anwalt. Aber die Tat habe nichts mit den Konflikten zwischen Rechten und Linken zu tun

Nicht nur dieser Satz klingt zweifelhaft. Beim Auftakt im Prozess gegen vier Rechtsextremisten, die am 12. Juli 2009 in Friedrichshain nahe dem S-Bahnhof Frankfurter Allee den 22-jährigen Jonas K. fast totgeprügelt haben sollen, kollidiert am Donnerstag eine harte Anklage mit widersprüchlichen Aussagen der Beschuldigten. Oliver K. (26), Marcel B. (20), Michael L. (23) und Michael G. (24) hätten den Entschluss gefasst, Jonas K. „aus übersteigerter Wut und aus Gründen der Machtdemonstration gegenüber einem vermeintlichen politischen Gegner zu töten“, trägt Staatsanwalt Jörg Wetzel der Jugendkammer vor. Dem wehrlos am Boden liegenden Studenten seien „zahlreiche massive Tritte gegen den Oberkörper und insbesondere gegen den Kopf“ versetzt worden. Dabei hätten Oliver K. und Michael L. auch „Stampfkicks“ gegen den Kopf des Opfers geführt, „wobei sie ihre Knie bis zur Brust hoben, um sodann mit der Schuhsohle auf den seitlich liegenden Kopf des Geschädigten zu treten“. Währenddessen soll Oliver K. oder Marcel B. gerufen haben, „du Zecke wirst nicht mehr aufstehen“. Zecke ist die Hassvokabel der rechten Szene für Linke

Der Gewaltexzess war damit laut Anklage aber noch nicht beendet. Oliver K. soll das Opfer zu einem Fahrradweg gezogen haben. Der Angeklagte habe dort den reglosen Studenten mit dem Gesicht nach unten abgelegt – und „mit voller Wucht und in Tötungsabsicht“ einen weiteren Stampfkick auf den Kopf geführt. Nur das Eintreffen der Polizei habe Oliver K. und die drei „weiterhin einsatzbereiten Mitangeschuldigten“ gestoppt. Staatsanwalt Wetzel wirft allen Angeklagten vor, einen Mord versucht zu haben

Die Prügelorgie hatte enorme Empörung erregt. Am Wochenende nach der Tat demonstrierten Tausende gegen rechtsextreme Gewalt. Die Nazi-Gegner passierten den Tatort und zogen weiter zur nahen Diskothek „Jeton“, von wo die vier Rechtsextremisten gekommen waren. Wenige Tage zuvor hatten 200 Linke die Fassade des Jeton, das als Treffpunkt von Neonazis und Hooligans gilt, mit einem Steinhagel angegriffen.

Im Gerichtsaal bleibt es friedlich. Im Publikum sitzen zumindest keine erkennbaren Neonazis, offenbar sind nur Linke gekommen. Das Opfer ist nicht dabei, Jonas K. wird erst am Dienstag erscheinen und als Zeuge aussagen. Er hatte schwere Kopfverletzungen erlitten und fast zwei Wochen auf der Intensivstation des Klinikums Friedrichshain gelegen. Der Student konnte sich, wie es in seinem Umfeld heißt, einigermaßen erholen.

Die Angeklagten, alle strafrechtlich bekannt, verweisen in ihren Aussagen auf den Angriff von Linken, dem sie in jener Nacht ausgesetzt gewesen seien. Auslöser war offenbar, dass Michael L. eine Jacke der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“ trug. Michael L. sagt, er sei geschlagen worden und habe einen Tritt ins Gesicht bekommen, „da sind bei mir die Lichter ausgegangen“. Von den Stampfkicks gegen Jonas K. bekam L. angeblich nichts mit. Marcel B. gibt Tritte zu, will aber auch Oliver K. zurückgehalten haben. Michael G. sagt, er habe sich mit Leuten geschlagen. Von Stampfkicks spricht er nicht.