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„Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin“

 

Im Prozess zu dem Beinahemord in Berlin-Friedrichshain sieht es für die vier Angeklagten Neonazis schlecht aus: Ein 19-Jähriger will gesehen haben, wie die Angeklagten auf ihr am Boden liegendes Opfer eintraten – mit Stampfkicks auf den Kopf.

Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen

Der junge Zeuge redet hastig und weint kurz. „Ich schäme mich so dafür, dass ich nicht helfen konnte“, doch der Vorsitzende Richter der Jugendkammer des Landgerichts beruhigt den Schüler. „Sie haben ziemlich viel Mut an den Tag gelegt, Sie müssen sich nicht schämen“, sagt Kay-Thomas Diekmann und nickt dem 19-Jährigen zu. Der hat in der Nacht zum 12. Juli 2009 die Misshandlung des jungen Linken Jonas K. durch Rechtsextremisten hautnah miterlebt. „Ich rief: lasst den in Ruhe, der ist bewusstlos“, erinnert er sich am Dienstag vor Gericht. Es half nichts. „Alle haben durchgängig auf den Kopf eingetreten“, sagt der Zeuge. Zuvor hat er auf jeden der vier Angeklagten gezeigt. Die blicken eisig.

Am zweiten Tag im Prozess zu dem Beinahemord in Friedrichshain sieht es für Oliver K., Marcel B., Michael L. und Michael G. nicht gut aus. Der Zeuge belastet die angeklagten Rechtsextremisten und bestätigt weitgehend, was die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift zusammengetragen hat. Zunächst habe es nahe dem U-Bahnhof Frankfurter Allee eine Schlägerei zwischen den Beschuldigten und anderen Leuten gegeben, „das waren vier gegen vier“. Michael L., der Zeuge nennt ihn „der Herr mit der Thor-Steinar-Jacke“, habe einen Schlag auf den Kopf bekommen und geblutet. Dann sei von einem der Täter eine Person zu Boden geschlagen und dort getreten worden. Das Opfer habe jedoch aufstehen und weglaufen können. Der Geschädigte blieb unbekannt, die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten in diesem Fall gefährliche Körperverletzung vor. Doch es folgte in jener Nacht eine weitere, noch brutalere Tat – laut Anklage ein versuchter Mord.

Der Zeuge sagt, Michael L. habe sich eine Person „gegriffen und geboxt“. Es handelte sich um Jonas K., den der Zeuge nach eigenen Angaben nicht kannte, auch wenn beide von einer Party in einem „alternativen Wohnprojekt“ kamen. Der Zeuge sah dann die Tritte gegen den reglosen Jonas K., darunter „Stampfkicks“ auf den Kopf. Schließlich habe „der mit der Everlast-Jacke“, gemeint ist der Angeklagte Oliver K., den „bewusstlosen Körper“ in Richtung Straße gezogen „und den Kopf gerichtet“ – um ihn anschließend mit weiteren Fußtritten zu traktieren. Als die Polizei kam, rannte der Zeuge zu den Beamten und zeigte auf Oliver K. und Michael L., die sich offenbar absetzen wollten. Beide wurden noch am Tatort festgenommen.

Jonas K. habe „potenziell lebensbedrohliche Verletzungen“ erlitten, sagt ein Gerichtsmediziner als Zeuge und erwähnt die „Einblutung im Hirngewebe“. Jonas K. selbst hat zuvor den Richtern gesagt, dass er sich an nichts mehr erinnern kann. „Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin“, die Stimme des 22-Jährigen stockt häufig. Er wirkt traumatisiert, kann sich schlecht konzentrieren und wird psychologisch betreut. Und er versucht, die Tat nicht an sich herankommen zu lassen. „Ich will nichts wissen und ich bin froh, dass ich nichts weiß“, sagt er.