Hitlergruß, Hakenkreuze, Reichskriegsfahnen: Auf den Fanfesten der vergangenen Tage mischten sich immer wieder Neonazis unter die Zuschauer.
Von Olaf Sundermeyer
Sie haben gefeiert, gejubelt und zuletzt getrauert. Auf Deutschlands Fanfesten und Partymeilen fieberten Hunderttausende Menschen mit ihrer Mannschaft. Friedlich war es auf diesen Public-Viewing-Veranstaltungen, die Polizei verzeichnete nur wenige Zwischenfälle, mit Ausnahme der Stadt Magdeburg jedoch, wo rund 200 Fans in der Nacht zu Donnerstag randalierten.
Doch der Eindruck täuscht. Denn im Schatten des sanften Fußballpatriotismus der Massen tummeln sich auch etliche Neonazis. Kurz vor dem Halbfinalspiel gegen Spanien zeigten Rechtsradikale auf der Berliner Fanmeile den Hitlergruß und grölten rechte Parolen. Vier Personen nahm die Polizei fest.
Oder ein Beispiel aus der Vorrunde: Etwa Eineinviertelstunden nachdem der gläubige Moslem Mesut Özil in Johannesburg seine Hände mit den Handflächen nach oben zu einem kurzen Gebet vor den schmächtigen Oberkörper hielt, sorgt er für Jubel – unter Reichskriegsfahnen. Dank seines Tores zum 1:0 gegen Ghana ist Deutschland weiter. Darüber freuen sich auch die Gäste in einem Lokal im niedersächsischen Haste, wo eine solche Fahne – das Ersatzsymbol der verbotenen Hakenkreuzfahne – zur selbstverständlichen Dekoration beim Public Viewing gehört. Sie hing ganz sicher nicht zufällig dort. Schließlich gilt der dortige Landkreis Schaumburg-Lippe als eine der westdeutschen Hochburgen für Neonazis.
„Die breiten sich besonders dort aus, wo Rechtsextremismus von der übrigen Bevölkerung als normal angesehen wird“, stellte der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer im vergangenen Jahr in einer Studie fest, die sich mit menschenfeindlichen Einstellungen im Nachbarort von Haste beschäftigt. Nationalismus ist hier normal. Özil hin oder her. Und auch auf der Wuppertaler Fanmeile stören sich die Besucher nicht an der Reichskriegsfahne, die am Tag von Özils Kunstschuss über ihre Köpfe weht. Schließlich strömen die Neonazis an anderen Tagen auch zu den Heimspielen des örtlichen Drittligisten.
Im anonymen Klima des Massenphänomens Fußball fühlen sich Rechtsextreme wohl. Dort verbreiten sie ihre Botschaft von einem völkischen deutschen Reich, in dem Menschen wie Mesut Özil übrigens nichts verloren haben. Neonazis machen sich auch im Schutz der von einer multiethnischen Nationalmannschaft ausgelösten Euphorie breit. Das passiert mittels juristisch unbedenklicher Symbolik, wie sie die NPD über ihr „nationales Warenhaus“ vertreibt: Mit kleinen schwarz-weiß-roten Autofähnchen für fünf Euro das Stück, wie man sie derzeit beispielsweise im Berliner Osten gelegentlich an den Autos sieht.
Die Partei ist vorsichtig geworden, seitdem drei ihrer Spitzenfunktionäre, darunter Parteichef Udo Voigt, in diesem Frühjahr wegen eines volksverhetzenden WM-Planers von einem Berliner Gericht verurteilt wurden, den sie bei der WM vor vier Jahren verteilen ließ. Damals diskriminierte sie den Nationalspieler Patrick Owomoyela, Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers. Auch Mesut Özil sei bloß ein „Plastikdeutscher, ein Ausweisdeutscher“, sagte der ebenfalls verurteilte NPD-Landesvorsitzende von Brandenburg, Klaus Beier, in einem Fernsehinterview.
Und manchmal kommt das Völkische auch unverklausuliert zu den Fans: Etwa auf der Fanmeile am Frankfurter Roßmarkt, wo ein Mann (nach dem Hinweis eines Journalisten) von der Polizei festgenommen wurde, weil er sich ein Hakenkreuz auf den Körper gemalt hatte. Niemand hatte sich zuvor an der eigenwilligen Körperbemalung gestoßen. Auch nicht an dem Hitlergruß, den eine Gruppe einschlägig bekannter jugendlicher Neonazis beim Public Viewing zum Viertelfinalspiel Deutschland-Argentinien in der Frankfurter Commerzbank-Arena vorführte. Die wenigsten dieser Vorfälle werden publik.
In Witten wurde dieser Gruß unter den Zuschauern des ersten Deutschlandspiels gegen Australien in einem Kulturzentrum zum Thema, nachdem ein Lokalreporter der „Ruhrnachrichten“ darüber berichtet hatte. „Die Dummen sterben offensichtlich nicht aus“, schrieb er, und machte damit eine Gruppe jugendlicher Neonazis sichtbar, die in der Stadt aktiv ist, und schon seit der EM 2008 häufig bei Fußballübertragungen auftaucht.
In der Nachbarstadt Dortmund ballt sich die Fußballkultur wie an wenigen anderen Orten in Deutschland, gleiches gilt aber auch für eine jugendliche Neonaziszene. Das weiß auch die Polizei. Und so waren es mutmaßlich die Spezialisten des Staatsschutzes, die bei der Übertragung des Auftaktspiels der Deutschen in Südafrika eine Gruppe von Neonazis in offen neonazistischer Symbolik auf dem zentralen Fanfest ausmachte. Aus der obersten Etage des Rathauses, das einen freien Blick über den Festplatz bietet, hatten sie die Störer ausgemacht. Von einschlägigen Tätowierungen ist die Rede. Bereitschaftspolizisten holten die Neonazis aus der Menge. Der Einsatz verlief fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Zuvor schon hatten private Sicherheitsleute fast 30 äußerlich erkennbaren Neonazis den Einlass verwehrt. „Denen hat man ein offizielles Platzverbot erteilt“, sagt Berten.
Das Problem seien aber vor allem jene Rechtsextremisten, die nicht gleich als solche erkennbar sind, und die anonyme Masse für ihre Agitation nutzen, sagt Stefan Mühlhofer. Aus dem Büro seiner Koordinierungsstelle „Vielfalt und Toleranz“ blickt man dieser Tage ebenfalls auf das Fanfest. So nehme der Trend hin zu jugendlichen besonders gewaltbereiten Neonazis zu, die äußerlich den urbanen Stil linker Jugendkulturen annehmen. Die wenigsten Neonazis malen sich plump ein Hakenkreuz auf die Brust, oder lassen sich eine „88“ als Umschreibung für „Heil Hitler“ auf den Nacken tätowieren. Die meistens sind milchgesichtig und stehen vielleicht mit einer schwarzen Baseballkappe irgendwo auf einer Fanmeile in Deutschland. Und wenn sie sich unbeobachtet fühlen, dann recken sie die Hand zum Hitlergruß.