SPD-Landeschef Michael Müller kritisiert das Buch „Deutschland schafft sich ab“ des Ex-Senators Thilo Sarrazin. Genossen fordern seinen Austritt aus der SPD.
Von Tagesspiegel-Autor Ulrich Zawatka-Gerlach
In der Berliner SPD wächst der Druck auf den früheren Finanzsenator Thilo Sarrazin, das rote Parteibuch zurückzugeben. „Seine Positionen haben absolut nichts mit sozialdemokratischer Integrationspolitik oder überhaupt mit demokratischer Politik zu tun“, sagte der SPD-Landeschef Michael Müller dem Tagesspiegel. Die reine Lust an der Provokation treibe ihn zu „immer fragwürdigeren und menschenverachtenden Aussagen“. Anlass der Kritik ist ein Buch Sarrazins über muslimische Migranten, das Ende August erscheint. Der Titel: „Deutschland schafft sich ab“. SPD-Chef Müller sprach von „absurden Ergüssen“.
Für den Spandauer SPD-Kreischef Rahed Saleh gehört der Ex-Senator und Bundesbanker nicht in die SPD, sondern „zu den Rechtspopulisten von Pro Deutschland oder in die NPD“. Saleh, der in West-Jordanien geboren ist, sieht Sarrazins Positionen „völlig quer zur Sozialdemokratie“. Er grenze aus, stigmatisiere und schüre Vorurteile. Mit seinem Buch reihe er sich endgültig in die anti-islamische Hetze ein, die von Ultrarechten wie Geert Wilders oder Patrik Brinkmann europaweit angeheizt werde. Saleh erwartet vom SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und Landeschef Müller, „dass sie Sarrazin auffordern, die SPD zu verlassen“.
Auch Robert Drewnicki, der die SPD-Abteilung Neu-Westend leitet, in der Sarrazin organisiert ist, forderte den Genossen „dringend auf, sein Parteibuch abzugeben“. Als gegen den Finanz- und Wirtschaftsexperten, der 1974 in die SPD eintrat, auf Betreiben der Spandauer und Pankower Sozialdemokraten 2009 ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet wurde, hatte sich der Ortsverein noch zurückgehalten. Erst nachdem Sarrazin während eines Vortrags in Hessen die These vertreten hatte, dass Deutschland wegen der wachsenden Zahl der Muslime „durchschnittlich dümmer wird“, luden ihn die Charlottenburger Parteifreunde zur internen Diskussion ein. Aus Termingründen sagte er ab und verteidigte in einem kurzen Brief seine Positionen. „Die Abteilung forderte daraufhin ihr Mitglied Thilo Sarrazin auf, sich von seinen Äußerungen zu distanzieren oder zu überlegen, ob er die Partei nicht verlassen will“, sagte der Vorsitzende Drewnicki.
Die Abgeordnete Ülker Radziwill, die die SPD-Arbeitsgruppe „Migration“ leitet, warf Sarrazin am Montag eine „menschenverachtende Grundhaltung“ vor. Sein Weltbild über Muslime sei diffamierend und gefährlich. Wer Menschen allein nach ihrem wirtschaftlichen Mehrwert beurteile, habe in der Sozialdemokratie keine politische Heimat mehr.
Ob es ein neues Parteiordnungsverfahren geben wird, bleibt vorerst offen. Im März hatte das SPD-Landesschiedsgericht den Bundesbank-Manager von dem Vorwurf freigesprochen, sich rassistisch geäußert und gegen Grundsätze seiner Partei verstoßen zu haben. Aber der Genosse wurde verwarnt. Der Beschluss des Schiedsgerichts sei „kein Freifahrtschein für alle künftigen Provokationen“. Rundumschläge gegen weite Bevölkerungskreise seien „auf Dauer geeignet, parteischädigend zu sein“, und von einem Mitglied zu unterlassen, das auch in Zukunft die SPD als politische Heimat ansehe.
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Udo Wolf, kritisierte Sarrazins neue Veröffentlichung als „unerträglich rechtspopulistisch“ und an der Grenze zur Volksverhetzung. Seine Thesen wirkten „gesellschaftszersetzend“. Auf den Internetseiten von Rechtsparteien hat Sarrazin inzwischen einen festen Platz. Pro Deutschland bemüht sich seit Jahresbeginn erfolglos darum, den SPD-Mann zur Abgeordnetenhauswahl 2011 als Zugpferd für die Rechtspopulisten abzuwerben. Die DVU lobt Sarrazins Thesen und nimmt ihn gegen „politisch korrektes Trommelfeuer“ in Schutz. Auch die NPD gemeindet Sarrazin in einem Papier „gegen die Islamisierung“ wohlwollend ein.