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Deutsche Zustände: Besserverdienende werden islamfeindlicher

 

Bildung und gutes Einkommen schützen nicht vor Vorurteilen – die Elite wird zunehmend islamfeindlich. Aber auch antisemitische Tendenzen sind laut Studie erkennbar.

Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen

Das Bild der „deutschen Zustände“, das der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer und seine Kollegen zeichnen, ist eher düster. In diesem Jahr fühlten sich in Deutschland 53 Prozent der Menschen durch die wirtschaftlichen Entwicklungen bedroht, 2009 habe der Anteil noch bei 47 Prozent gelegen, sagte Heitmeyer am Freitag in Berlin, wo er den neunten Band der Langzeituntersuchung zu „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (erschienen in der Edition Suhrkamp) vorstellte. Die Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Bielefelder Universität, diesmal mit der Unterzeile „Unruhige Zeiten“, ist auch für Linksliberale unangenehm, die ihr Milieu für immun halten gegenüber Ressentiments.

„Islamfeindlichkeit steigt in der politischen Mitte und links der Mitte“, sagte Heitmeyers Mitarbeiterin Beate Küpper. In linken Milieus verliere die Norm der Toleranz, sonst fester Bestandteil der politischen Einstellung, beim Thema Islamfeindlichkeit an Wirkung, warnte Küpper. Parallel sei „links und in der Mitte“ das Gefühl für die Bedrohung durch Finanz- und Wirtschaftskrise gestiegen. Laut Studie sehen sich 25 Prozent der Bevölkerung als „links von der Mitte“.

Islamfeindlichkeit sei konsensfähig auch bei jenen, von denen es bisher nicht zu erwarten war, sagte Heitmeyer. Damit meinte er allerdings nicht nur Linksliberale. Wachsende Abneigung gegen den Islam sieht der Konfliktforscher gerade auch bei Besserverdienenden, von denen nur ein Teil links sein dürfte. Jedenfalls wirke ein hohes Bildungsniveau der Abwertung von Muslimen nicht entgegen.

„Bei den Veranstaltungen mit Sarrazin sitzen nicht die, die üblicherweise keine Bücher lesen“, sagte Heitmeyer. Und er warnte vor einer zunehmend „rohen“ und „entkultivierten Bürgerlichkeit“. Ein Beleg: In diesem Jahr – noch vor der Sarrazin-Debatte – stimmten 38,9 Prozent der 2000 Personen, die das Bielefelder Institut befragen ließ, der Aussage zu, „durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“. Im vergangenen Jahr vertraten 32,2 Prozent diese Ansicht. Und jetzt meinen 26,1 Prozent, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 2009 waren es 21,4 Prozent.

Erfolge einer rechtspopulistischen Partei hält Heitmeyer jedoch mangels charismatischer Anführer für „eher unwahrscheinlich“. Aber es gebe längst eine „verdeckte rechtspopulistische Bewegung“. Die Perspektive für eine liberale Zukunft der Gesellschaft sehe anders aus.

Auch Ressentiments gegen andere Gruppen nahmen zu oder verfestigten sich weiter. So bejahten 57 Prozent die antisemitisch gefärbten Aussage „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“. Und 38 Prozent fanden die Behauptung richtig: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“. Es gebe einen Anstieg beim „Israel-bezogenen Antisemitismus“, konstatieren die Forscher. Generell sei der Antisemitismus aber nicht so verbreitet wie 2002, beim Start der Langzeitstudie.

Heitmeyer nannte auch weitere Fortschritte. Das Ausmaß von Sexismus sinke nahezu kontinuierlich seit 2002. Nur noch 20 Prozent der Deutschen bestätigten die Aussage, Frauen sollten sich „wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“. Vor acht Jahren waren es 29,4 Prozent. Spürbar abgenommen haben auch abwertende Einstellungen gegenüber Homosexuellen.