Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Was nun, Dresden?

 

Tausende Neonazis stehen am 13.2.2010 auf dem Schlesischen Platz in Dresden. Linke Demonstranten hatten den Aufmarsch verhindert
Tausende Neonazis stehen am 13.2.2010 auf dem Schlesischen Platz in Dresden. Linke Demonstranten hatten den Aufmarsch verhindert © dpa

2010 wurde erstmals ein Nazi-Aufmarsch am 13. Februar verhindert. Nun zeigt sich, was die Stadt gelernt hat. Die Bühne ist bereitet. Wenn sich am Sonntag wieder der Tag jährt, an dem Dresden 1945 in Asche fiel, wird die Innenstadt zur Arena. Polizeiketten und Straßensperren zerschneiden diese in Kampf-Areale. Auf einer Seite reihen sich dann Neonazis, etwa der Ring Nationaler Frauen samt Banner mit der Aufschrift: Den Müttern von Dresden. Wir vergessen euch nie. Auf der anderen Seite steht ein bunter Zug aus Gegendemonstranten, auf einem Antifa-Plakat liest man: Heult doch! Deutsche TäterInnen sind keine Opfer. Ein paar Straßen weiter schlängelt sich eine Menschenkette durchs Zentrum, und vor der Synagoge spenden Kerzen einer Mahnwache Licht. Dresden am 13. Februar: Von oben betrachtet, wo Polizeihubschrauber kreisen, muss dies alles wirken wie ein wirres Schauspiel.

Von Stefan Schirmer

Hans Müller-Steinhagen probt längst seine Rolle, die ihm für diesen Tag zugewiesen wurde. Er ist dafür im Kreis gelaufen. Er hat die Strecke in der Altstadt besichtigt, für die er eine Großkundgebung angemeldet hat: die Menschenkette, zu der Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) und ein großes Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen aufgerufen haben. Der 56-Jährige ist seit wenigen Monaten Rektor der TU Dresden. Die Zuständigkeit als Versammlungsleiter hat er von seinem Vorgänger geerbt, der 2010 die erste Menschenkette leitete – als Mann der Wissenschaft, losgelöst vom Parteienzank. So kam es, dass diesmal ein Maschinenbauingenieur aus Baden, ein Neudresdner, das symbolträchtige Zusammenstehen der Bürgerschaft anführt. An einem Datum, das für eines der komplexesten und ideologisch anfälligsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte steht.

Wem gehört der 13. Februar? »Uns«, sagen viele Dresdner, die in Ruhe an die Kriegstoten erinnern wollen. »Und uns!«, behaupten Tausende Rechtsextreme, die den Gedenktag für ein Schaulaufen benutzen; ihren scheinheiligen Trauermarsch, der inzwischen die Jahreshauptversammlung der Neonazi-Szene Europas darstellt. »Aber nicht mit uns!«, reklamieren Tausende Gegendemonstranten aus Dresden und dem Rest der Republik. Ihr mehrdeutiger Ruf lautet: »Dresden hat Nazis satt!« Zumal die Rechtsextremen angekündigt haben, in dieser Saison gleich ein zweites Mal binnen einer Woche und dann besonders massiv die Stadt heimsuchen zu wollen – angeblich am 19. Februar. Für den 13., einen Sonntag, fürchten die Braunen, nicht genug Anhänger mobilisieren zu können.

Die Auseinandersetzung wird nicht nur auf der Straße ausgetragen, sondern auch in Gerichtssälen und Versammlungshallen. Dahinter steht die Frage, wie die Stadt ehrlich und würdevoll an ihre Geschichte erinnern kann. Dahinter steckt vor allem ein Streit über den richtigen Umgang mit Neonazis. In diesem Jahr wird sich zeigen, ob Dresden aus alten Fehlern, aber auch aus jüngsten Erfolgen gelernt hat.

Der Rektor redet nun häufiger über Schuld – auch die der Universitäten

Hans Müller-Steinhagen lebte vor Jahren als Forscher in England, als er erstmals die Bilder aus Dresden sah. Die BBC zeigte in ihren Fernsehnachrichten eine braune Horde vor Canaletto-Kulisse. Die Botschaft schien klar: Es geht wieder los. Müller-Steinhagen hätte nicht gedacht, dass dies mal zu seinem Problem werden würde.

»Schon wegen ihrer Fremdenfeindlichkeit«, sagt der Rektor, »müssen wir uns gegen das Wiedererstarken rechtsradikaler Kräfte zur Wehr setzen.« Jeder Zehnte der 36.000 Studierenden an seiner Hochschule sei Ausländer, »und wir sind froh darüber«. Beim Abendessen mit Bekannten diskutiert Müller-Steinhagen neuerdings über Schuld; nicht nur Kriegsschuld: Nach Hitlers Machtübernahme 1933 habe die TU Dresden mehr als 20 Prozent ihrer Lehrkräfte entlassen. »Unsere Universitäten haben damals ihr Wächteramt nicht erfüllt.«

Der Rektor hat sich im Internet viele Videos vom 13.Februar des vergangenen Jahres angeschaut. Er spricht von Erfolg, er sagt aber auch vorsichtig: »Manches ist suboptimal gelaufen.« Der Erfolg im Vorjahr hatte zwei Seiten. Etwa 15.000 Bürger beteiligten sich an einer Menschenkette, die von der Synagoge und am Rathaus vorbei bis zur Frauenkirche reichte. Damit schickten die Dresdner positive Bilder und eine Botschaft um die Welt: Wir stehen zusammen als »Festung gegen Intoleranz und Dummheit«, wie es Helma Orosz formulierte.

Der zweite Erfolg trug sich auf der anderen Elbseite zu. Am Neustädter Bahnhof wollten etwa 5000 Rechtsextreme losmarschieren. Aber mehr als doppelt so viele, überwiegend linke Gegendemonstranten stellten und setzten sich ihnen in den Weg: Die Neonazis mussten sich erstmals seit Jahren geschlagen geben. Doch kaum waren sie abgezogen, wurde auf offener Bühne schon wieder jener Riss deutlich, der durch die Stadt und ihre Bürgerschaft geht.

Die Oberbürgermeisterin tat sich zunächst schwer damit, explizit auch die Leistung jener Menschen zu würdigen, die mit gewaltfreien Aktionen – und mit Unterstützung der umsichtig handelnden Polizei – die braune Menge aufgehalten hatten. Hätte diese Bürgercourage gefehlt, hätte die Menschenkette wohl als hilflose Veranstaltung dagestanden.

So war zu befürchten, dass alte parteipolitische Grabenkämpfe wieder aufbrechen. Der Streit eignet sich bestens, um bei der eigenen Wählerklientel zu punkten. Vor allem die konservative Stadt-CDU hielt lange nur eine Aktionsform am 13. Februar für akzeptabel, die sich auch viele ältere Dresdner wünschen: das »stille Gedenken«. Die Christdemokraten haben traditionell Probleme, sich im Kampf gegen rechts außen an die Seite der Linken zu stellen, der sie mangelnde Distanz zum militanten Schwarzen Block unterstellen. Die Aussicht, es könnte Straßenschlachten geben, schreckt das Bürgertum. Unerträglich finden viele auch die Festivalstimmung, die am Gedenktag durch die Stadt wabert.

Vor allem CDU-Kreischef Lars Rohwer fiel diesbezüglich immer wieder mit schrillen Äußerungen auf. Als kürzlich die Berliner SPD ihre Mitglieder dazu aufrief, an den friedlichen Protesten gegen Neonazis in Dresden teilzunehmen, verbat sich Rohwer diesen »Demonstrationstourismus«.

Oberbürgermeisterin Orosz, die seit dieser Woche krankheitsbedingt eine Auszeit nehmen muss, ging sachte auf Distanz zu ihrem Parteichef. »Ich bin dankbar für alle, die zum friedlichen Protest nach Dresden kommen«, stellte sie klar. Im Vorjahr hatte sie sich schließlich ein Lob »an alle« abgerungen, die gewaltfrei Widerstand geleistet hätten. Aus dem Vorwurf, sie habe die demokratischen Akteure auf der anderen Elbseite ausgegrenzt, hat Orosz gelernt: Die Menschenkette über zwei Brücken wird nun in die Neustadt ausgedehnt. Es ist ein Brückenschlag.

Bei allem Aufeinanderzugehen: Die Stadtchefin würde aber nie öffentlich gutheißen, was sich sonntags in einem Seminarraum der TU Dresden abspielt. Wo sonst Prozessautomatik oder Aerodynamik gelehrt werden, hat der Studentenrat ein vierstündiges Blockade-Training organisiert. Eine Probebühne für den 13. Februar. »Schon mal einen Wasserwerfer gesehen?«, fragt Jojo, der Trainer. »Ja, im Fernsehen!«, sagt einer aus dem Dutzend Anfänger, darunter zarte Mädchen und friedensbewegte Mittvierziger. Sie üben, sich wegtragen zu lassen. Sie bilden »Bezugsgruppen«. Sie spielen Polizei. Sie reden darüber, ob man sitzend oder stehend mehr Gewaltlosigkeit demonstriere. Jeder formuliert, wie weit der eigene Mut bei einer Blockade reichen würde. Allein das Wort »Bulle«, das mal fällt, erinnert daran: Hier tagt nicht die Heilsarmee, sondern hier probt eine bürgerliche Version der Antifa zivilen Widerstand.

Neuerdings dürfe man für solche Aktionen auch auf dem Campus werben, heißt es beim Studentenrat. Der neue Rektor, der als junger Mann Ostermarsch-Teilnehmer in Kanada war, verkündet: Ihm seien rund um den 13. Februar neben der Menschenkette viele weitere Formen friedlichen Protests recht, »von Mahnwachen bis Barrikaden… Nein«, Müller-Steinhagen korrigiert sich schnell: »Blockaden!« Die neue Einigkeit ist für alle Seiten ungewohnt.

Derweil fehlt es in der Stadt weiter am Minimalkonsens darüber, welche Mittel beim Widerstand gegen braune Aufmärsche zulässig sind. 2010 hatte die Staatsanwaltschaft die Räume von »Dresden nazifrei« nach Plakaten durchsucht, auf denen das Bündnis zu Blockaden aufrief. »In diesem Jahr«, sagt Bündnis-Sprecherin Judith Förster, »sind Versuche, uns zu kriminalisieren, bisher ausgeblieben.«

Gegen 34 Blockadeteilnehmer ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Sprengung einer Versammlung und Nötigung. Bis auf vier Verfahren sind alle eingestellt: Das Motiv für »das widerrechtliche Verhindern des Marsches« sei »mithin ein anerkannt-sittliches« gewesen. Für Irritationen sorgt nun ein neues, allerdings noch nicht rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden. Danach hätte die viel gelobte Polizeiführung im Vorjahr die Demonstration der braunen Szene durchsetzen müssen. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) gefällt dieses Urteil nicht.

Nähme sich jeder das Recht, anderer Leute Versammlungsfreiheit zu behindern, »kommen wir in Teufels Küche«, warnte der Hamburger Juraprofessor Jürgen Schwabe im Januar auf einem Dresdner Podium. Er empfahl Aktionen, die Neonazis lächerlich erscheinen ließen, etwa mit Lachsäcken.

Kann man tatenlos zusehen, wenn Verfassungsfeinde ihr Recht ausnutzen?

Neben Schwabe saß der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter. Kein Jurist, vielmehr ein Pfarrer, der einst führend an der friedlichen Revolution beteiligt war. Damals habe er etwas gelernt, sagt Richter: »Der Bürger sollte die innere Haltung haben, geschriebenes Recht immer wieder infrage zu stellen.« Kann man also tatenlos zusehen, wenn die Feinde der Verfassung deren Freiheiten ausnutzen? Sollte der Bürger nicht aktiv werden, wo der Staat sich neutral verhalten muss? Letztlich, sagt Frank Richter, schaffe der 13. Februar ein ethisches Dilemma – »aber das ist der beste Ort, um ethisch urteilsfähig zu werden«.

Es gibt einen neuen Raum der Erkenntnis, er liegt im zweiten Stock der Unibibliothek SLUB. Auf Wänden und in Vitrinen sieht man, dass Dresdens Geschichte schon oft für platte Erzählungen von Gut gegen Böse herhalten musste. An einer Stelle liegt ein Essay von Victor Klemperer aus dem Jahr 1950, in dem er Dresden als »Schönster unter den Schönen« nachtrauert und die alliierten Angriffe eine »Barbarei« nennt. Dabei hatte die Bombardierung seiner Heimatstadt ihm, dem verfolgten Juden, zur Flucht verholfen. Der 13. Februar, zeigt dies einmal mehr, ist kein Datum für einfache Aussagen.

»Die Einzigen, die an dem Tag eine klare Botschaft kommunizieren, sind die Rechtsextremen«, sagt der Historiker Matthias Neutzner. Er hat die kleine SLUB-Ausstellung mitgestaltet. Sie soll der Stadt mehr Klarheit über ihre kollektive Erinnerung schaffen. Es beginnt mit gut einem halben Zentner Bücher, stapelweise Fachliteratur, Landser-Lektüre, Kunst und Kitsch: Das Massaker neben Klemperers Tagebüchern und Dresden starb mit Dir, Johanna. Neutzner ist immer wieder beeindruckt »vom Aufwand, mit dem auch heute noch an ein 66 Jahre zurückliegendes Ereignis erinnert wird«.

Dieses Gedenken, hofft er, werde irgendwann nicht mehr nur getrieben sein von Provokationen der anderen. Damit Dresden zu sich selbst findet. Etwa als »Friedenszentrum«, das diesen Namen verdient. Dafür könnte die Stadt eine Bühne sein. Nachdem die Auftritte der Neonazis vom Spielplan gestrichen sind.