Schläge, Bedrohungen und ein Brandanschlag: Die Berliner Opferberatungsstelle Reachout hat am Mittwoch die von ihr erhobenen Zahlen rechter Gewalt für das Jahr 2010 vorgestellt. Demnach stieg mit insgesamt 109 Fällen erstmals seit mehreren Jahren wieder die Zahl der Übergriffe in der Hauptstadt. 2008 waren es noch 148 Angriffe, 2009 nur noch 102. „Eigentlich hatten wir gehofft, dass dieser Trend anhält“, sagte Reachout-Leiterin Helga Seyb.
Am häufigsten schlagen die Täter wie schon in den Vorjahren in Friedrichshain (16 Fälle) zu. Neu ist, dass Neukölln mit 15 Angriffen auf den zweiten Platz der Liste gerutscht ist. Dort habe es ganze „Angriffswellen“ der rechten Szene gegen alternative Cafés, Privatpersonen und Büros demokratischer Parteien gegeben, sagte Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Viele der „Ziele“ seien zuvor auf der Internetseite des „Nationalen Widerstand Berlin“ aufgelistet worden. In Interviews mit rechtsextremen Medien hatte in der Vergangenheit der Szenekader und NPD-Politiker Sebastian Schmidtke zugegeben für die Webseite verantwortlich zu sein. Sein Name wird auch auf Flugblättern und Aufklebern als V.i.S.d.P. genannt, die auf der Seite heruntergeladen werden können. Die auf der Seite angegebene Telefonnummer führt zu Schmidtkes Mobiltelefon.
Die wenigsten Gewalttaten wurden in Zehlendorf (2) und Steglitz (0) registriert. In der ehemals rechtsextremen Hochburg Lichtenberg wurden nur noch acht Fälle gemeldet. Das spreche für den Erfolg der vom Bezirk unterstützten Maßnahmen gegen die Neonaziszene. Auffallend ist, dass es inzwischen im Westen der Stadt beinahe genauso viele Angriffe gibt, wie im Osten. Bisher lag dort der Schwerpunkt. Mehr als die Hälfte aller Taten war rassistisch motiviert, 20 mal traf die Gewalt linke Jugendliche. Die Anzahl antisemitischer (8) und homophober (10) Taten blieb nahezu gleich. Die Täter sind laut Reachout häufig keine organisierten Neonazis, sondern zum Teil gewalttätige „Alltagsrassisten“. Auf der Webseite des Vereins findet sich eine Chronik der Angriffe und eine interaktive Karte der Tatorte. Doch nicht alle Fälle werden dort genannt. „Manche Menschen trauen sich nicht einmal Anzeige zu erstatten“, sagt Seyb. Die offiziellen Zahlen der Polizei liegen deshalb erfahrungsgemäß niedriger. Sie werden erst im April mit der Kriminalstatistik veröffentlicht.
Dass die Stadt vor rechten Schlägern auch im Jahr 2011 nicht verschont bleiben wird, zeigte sich erneut in der Nacht zu Mittwoch. Gegen 22.10 Uhr jagten zwei polizeibekannte Neonazis auf dem Bahnhof Lichtenberg eine Gruppe Asiaten über den Bahnsteig und riefen rassistische Parolen. Anschließend griffen sie einen zufällig anwesenden 26-jährigen Mann aus Polen mit einer zerschlagenen Bierflasche an. Er erlitt Schnittverletzungen an der rechten Hand. Noch im U-Bahntunnel konnten Bundespolizisten die beiden 20 und 21 Jahre alten Tatverdächtigen festnehmen. Die beiden betrunkenen Männer aus Marzahn-Hellersdorf zeigten sich äußerst aggressiv. Sie erwartet jetzt ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung.