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Naziangriffe in Kreuzberg – Politiker streiten über Polizeitaktik

 

Der misslungene Polizeieinsatz bei dem Naziaufmarsch am vorletzten Wochenende in Berlin-Kreuzberg hat am Montag im Innenausschuss eine hitzige Debatte ausgelöst. Polizeipräsident Dieter Glietsch verteidigte die Entscheidung des Polizeiführers, die Neonazis durch den U-Bahntunnel unter den eingekesselten Gegendemonstranten hindurchzuführen. Der Einsatzleiter hätte nicht voraussehen können, dass die Rechten die 60 begleitenden Polizisten überrennen und Sitzblockierer angreifen würden.

Ein Verbot des Aufmarsches sei geprüft worden, es habe aber keine hinreichenden Verbotsgründe gegeben. Mehrfach war von Beobachtern darauf hingewiesen worden, dass das Demonstrationsmotto „Wahrheit macht frei“ nicht nur dem nationalsozialistischen KZ-Torspruch „Arbeit macht frei“ ähnelt, sondern auch der Titel eines Holocaustleugner-Kongresses mit 800 Teilnehmern 1990 in München war.

Glietsch übernahm auch die Verantwortung für die Geheimhaltung des Aufmarsches im Vorfeld. Er habe verfügt, dass nur mit seiner ausdrücklichen Zustimmung die Route und der Startort rechtsextremer Aufzüge von der Pressestelle bekannt gegeben werden dürften. Damit solle es Gegendemonstranten erschwert werden „rechtswidrige Verhinderungsaktionen“, zu denen er auch friedliche Sitzblockaden zählt, durchzuführen. Den Vorwurf, dass die Einsatzkräfte sich geweigert hätten für die von Neonazis verletzten Personen einen Krankenwagen zu rufen, wies Glietsch zurück. Insgesamt vier Mal hätten die Polizisten an dem Tag Rettungswagen für Verletzte alarmiert. Drei rechte Schläger seien inzwischen identifiziert worden.

Unterstützung erhielt der Polizeipräsident von der CDU-Fraktion. Kurt Wansner äußerte seinen „Respekt vor der Leistung der Polizei“, bei einem derart schwierigen Einsatz. Gleichzeitig sei er aber „erschrocken, dass die Rechtsextremen die Frechheit besitzen in Kreuzberg zu marschieren.“

Grüne, FDP und Linke kritisierten erneut, dass die Aufmarschroute Journalisten und Anwohnern verheimlicht wurde. Die Polizei hätte für Journalisten und Gegendemonstranten eine Art „Schnitzeljagd durch die Stadt“ veranstaltet, sagte Marion Seelig (Linke). Tatsächlich wurden am Tag des Aufmarsches Pressevertreter und Nazigegner von der Polizei zum Hermannplatz geschickt, während die Neonazis sich schon am Mehringdamm aufstellten.

Auf der Internetseite der NPD-Lichtenberg schreibt Anmelder Sebastian Schmidtke (NPD) von einem „schlauen Schachzug der Polizei“, die ihn vorher extra telefonisch mit dem Lautsprecherwagen zum Hermannplatz bestellt habe, um ihn anschließend mit Polizeibegleitung zum Mehringdamm fahren zu lassen. Zudem sei das Umgehen der Gegendemonstranten durch den U-Bahnhof bereits im Kooperationsgespräch mit der Polizei am Freitag vor dem Aufmarsch abgesprochen worden. Glietsch sagte dazu am Montag lediglich, dass er davon ausgehe, „dass diese Möglichkeit im Anmeldegespräch diskutiert wurde“. Dirk Behrendt (Grüne) sprach von einem „befremdlichen Schweigekartell mit Neonazis“. Die SPD forderte klare Konsequenzen für den Aufmarschanmelder. „Schmidtke trägt die persönliche Verantwortung für die Gewalttaten“, sagte Tom Schreiber.

Ob die von Innensenator Ehrhart Körting angekündigte Veröffentlichung von Naziaufmärschen, jeweils einen Tag vor der Veranstaltung, in Zukunft durchgesetzt wird, blieb im Innenausschuss offen. Staatssekretär Ulrich Freise betonte lediglich, dass die Polizeipressestelle auf konkrete Presseanfragen zu geplanten Aufmärschen Antworten geben müsse.