Das Foto im sozialen Netzwerk „MySpace“ lässt wenig Zweifel an der Einstellung des Users aufkommen: Ronny S. aus der sächsischen Kleinstadt Oschatz posiert biertrinkend vor einer Reichskriegsflagge. Der 25-Jährige ist einer von drei Tatverdächtigen, denen die Staatsanwaltschaft Leipzig vorwirft, an der tödlichen Misshandlung eines Obdachlosen Ende Mai diesen Jahres beteiligt gewesen zu sein.
Von Heike Kleffner
Der 50-jährige André K. war in der 16.000 Einwohnerstadt in Nordsachsen schon länger als wohnungslos bekannt. Am Morgen des 28. Mai 2011 fanden Zeugen den Mann blutüberströmt und mit schwersten Kopfverletzungen im Wartehäuschen des Oschatzer Südbahnhofs. Vier Tage später starb André K. an den Folgen des Angriffs. Die Staatsanwaltschaft Leipzig geht davon aus, dass André K. massive Tritte und Schläge gegen den Kopf zugefügt wurden – ob auch Waffen eingesetzt wurden, müsse noch geklärt werden, sagte der Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft, Ricardo Schulz.
Öffentlich wahrgenommen wurde der Tod von André K. erst, nachdem die Staatsanwaltschaft am 4. Juni die Festnahme von Ronny S. und zwei weiteren Tatverdächtigen bekannt gab. Einer der drei Männer im Alter von 25, 27 und 36 Jahren verbüßte noch eine Bewährungsstrafe. Oberstaatsanwalt Schulz betont jedoch, dass es sich hierbei nicht um eine „einschlägige Vorstrafe“ handele, sondern um Eigentums- und Beleidigungsdelikte. Zu den Motiven der Täter und den Hintergründen der Tat werde derzeit „in alle Richtungen“ ermittelt, so Schulz weiter. Unklar ist derzeit unter anderem, ob noch weitere Personen an den Misshandlungen beteiligt waren und inwieweit sich Täter und Opfer schon vor der Tat kannten. „Wir können bislang nur mit Sicherheit ausschließen, dass sie sich überhaupt nicht kannten,“ lautet die vorsichtige Formulierung der Strafverfolger. Auch das Foto von Ronny S. und der Reichskriegsflagge ist den Ermittlern bekannt. Ob Hass auf Obdachlose bei der Tat eine Rolle gespielt habe, werde im Rahmen der Ermittlungen geprüft.
Für Beobachter der rechtsextremen Szene in Nordsachsen ist der Tod von André K. ein Alarmsignal: „ Es gibt hier jenseits der organisierten Strukturen von NPD, JN und so genannten Freien Kräften eine breite subkulturelle Mischszene, die sich an rechtsextremen Botschaften, Codes und Musik orientiert“, sagt der regionale Rechtsextremismusexperte Mirko Salzmann. „Und dazu gehört natürlich auch die Verachtung gegenüber Menschen, die als minderwertig oder unnütz angesehen werden.“
Die flächendeckende Verankerung von NPD und JN ist in Städten wie Oschatz, im nahegelegenen Mügeln, Eilenburg und Delitzsch ohnehin offensichtlich. Die NPD ist im Kreistag von Nordsachsen gleich mit vier Abgeordneten vertreten und tritt entsprechend offensiv auf. „Die Hauptzielgruppe von NPD und JN sind Jugendliche und junge Erwachsene“, betont Salzmann.
Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf nicht-rechte und alternative Jugendliche. Auch das E-Werk, ein alternatives Jugendzentrum in Oschatz, war in den letzten Jahren Ziel von Neonaziattacken. Parallel dazu versuchen sich NPD und JN hier als bürgernahe kommunalpolitische Akteure zu etablieren. Erst am vergangenen Wochenende hatten sich auf dem Bolzplatz eines örtlichen Vereins in Hohenwussen bei Oschatz nach NPD-Angaben rund 100 Neonazis zum so genannten ersten „Nordsächsischen Fußballturnier“ versammelt, das auf der Website der NPD-Nordsachsen stolz als Gemeinschaftsprojekt von NPD und Freien Kräften präsentiert wird. Auf die in Oschatz kursierenden Gerüchte, Ronny S. habe sich im Umfeld der Strukturen der JN Nordsachsen bewegt, reagierte der NPD-Kreisvorsitzende und bekannte Delitzscher Neonazi-Aktivist Maik Scheffler dann auch sofort mit einem öffentlichen Dementi.
Derweil organisiert das Oschatzer „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Menschenwürde“ am Freitagnachmittag eine Mahnwache im Gedenken an André K. „ Wenn ein Einzelner Wehrloser von einer Überzahl von Menschen derart zugerichtet wird, darf Gleichgültigkeit keine Reaktion sein“, schreibt das Bündnis und kündigt an, den Verlauf der Ermittlungen und einen etwaigen Prozess gegen die Tatverdächtigen aufmerksam zu beobachten.