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Expertengremium zu Antisemitismus kritisiert Fixierung auf muslimischen Judenhass

 

Alltäglicher Antisemitismus - Polizisten auf einem verwüsteten jüdischen Friedhof 2008 in Berlin © getty

Ein Expertengremium Antisemitismus, dessen Bericht noch in diesem Jahr erwartet wird, hält den Judenhass deutscher Rechtsextremisten für das größere Problem.

Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen

Vom Votum der Abgeordneten bis zum Bericht der Fachleute hat es lange gedauert, doch nun ist es bald soweit. Das vom Bundestag im November 2008 beschlossene „Expertengremium Antisemitismus“ wird nach Informationen des Tagesspiegels noch in diesem Jahr seinen ersten Bericht zu Judenhass in Deutschland vorlegen. „Der Bericht der Experten wird voraussichtlich Ende des Jahres dem Deutschen Bundestag übermittelt“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor. Im Umfeld des Expertengremiums war zu erfahren, dass der 300 Seiten umfassende Report wahrscheinlich im November vorgestellt werde und weitgehend geschrieben sei.

In dem Bericht wird nach Informationen des Tagesspiegels kritisiert, Bundesprogramme zur Bekämpfung des Antisemitismus seien zu stark auf muslimische Judenfeindschaft ausgerichtet. Der Judenhass deutscher Rechtsextremisten sei aber das größere Problem, hieß es im Umfeld des Gremiums. Kritisch beleuchtet wird auch die Bildungspolitik.

Es sei ein vor allem bei Lehrern weit verbreiteter Trugschluss, mit der Darstellung des Holocausts im Unterricht werde bei jungen Menschen genügend gegen Antisemitismus vorgebeugt, hieß es. Notwendig sei jedoch, dass mehr über aktuelle Erscheinungsformen der Judenfeindschaft aufgeklärt werde. Das betreffe vor allem den auch von Linken propagierten Anti-Zionismus, der vorgeblich Fehler der israelischen Politik anprangere und dabei unterschwellig antisemitische Ressentiments bediene. Als Prävention empfiehlt das Expertengremium, gerade in Schulen intensiv über die Ursachen des Nahost-Konflikts zu sprechen. Da gebe es ein großes Defizit, war im Umfeld des Gremiums zu hören.

Irritiert reagierten die Experten, als von FDP und Grünen keine Antworten auf Fragen zum Umgang mit antisemitischen Tendenzen kamen. Das Gremium hatte an alle im Bundestag vertretenen Parteien einen mehrere Punkte umfassenden Katalog geschickt. Trotz Nachfragen sei bei FDP und Grünen nichts gekommen. „Das hat die Experten sehr verwundert“, hieß es im Umfeld des Gremiums. Auf Anfrage des Tagesspiegels konnten sich weder FDP noch Grüne erklären, warum die Fragen nicht beantwortet wurden. „Wir sind sehr verwundert über diese Äußerungen aus dem Umfeld des Expertengremiums“, sagte ein Sprecher der Grünen. „Wir begrüßen und unterstützen ausdrücklich die Arbeit des Expertengremiums Antisemitismus und beantworten selbstverständlich gerne alle an uns gestellte Fragen“. Es werde nun untersucht, „wann und in welcher Form Fragenkataloge an uns gestellt wurden“ und welche Nachfragen es gegeben habe. „Dazu werden wir auch das Gespräch mit den Verantwortlichen des Expertengremiums suchen“, betonte der Sprecher. Auch in der FDP wird der Vorgang geprüft.

Der Bundestag hatte die Bildung des Gremiums anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 beschlossen. Bis auf elf Abgeordnete der Linken hatten alle Fraktionen des Bundestages dem Beschluss mit dem Titel „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“ zugestimmt. Das zunächst zehnköpfige Gremium aus Wissenschaftlern und anderen Experten konstituierte sich im September 2009. Inzwischen trat ein Mitglied aus gesundheitlichen Gründen zurück. Das Bundesinnenministerium unterstützt die Arbeit des Gremiums, das aber unabhängig agiert.

In dem Beschluss des Bundestages vom November 2008 war auch der Aufbau einer „Hebraic Graduate School of Europe“ in Berlin vorgesehen. Dieses Projekt eines geisteswissenschaftlich orientierten Graduiertenkollegs ist jedoch gescheitert. Eine Machbarkeitsstudie habe „keine realisierbare Option zur Integration in die Berliner Wissenschafts- und Hochschullandschaft“ aufgezeigt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die aktuelle Anfrage der Linksfraktion. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte die Studie von Oktober 2009 bis März 2010 gefördert. Die Regierung teilte nun mit, in Berlin würden die Humboldt-Universität, die Freie Universität und die Technische Universität gemeinsam mit der Universität Potsdam „die Etablierung eines Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg“ anstreben. Das Bildungsministerium „prüft eine Förderung wohlwollend“.