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Verfahren gegen Sitzblockaden ohne rechtliche Grundlage

 

Die Ermittlungen gegen Sitzblockierer von Dresden haben offenbar ohne rechtliche Grundlage stattgefunden. Das geht aus einem neuen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hervor. Der Politiker Wolfgang Neskovic (Linke) hatte das Gutachten in Auftrag gegeben.

In einem Artikel der „taz“ heißt es, dass das Landesversammlungsgesetz, auf das die Justiz ihre Anklagen stützte, in diesem Fall nicht angewendet werden dürfe und die Ermittlungen womöglich „rechtswidrig“ seien. Als Quelle nennt der Bericht das 14-seitige Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Darin steht: „Die Norm gilt nunmehr als von Anfang an nicht mehr existent und kann daher nicht mehr Grundlage strafrechtlicher Ermittlungen und Verurteilungen sein“.

Hintergrund ist der Beschluss des sächsischen Landesverfassungsgerichtshofs vom April 2011. Die Richter hatten das neue Versammlungsgesetz aufgrund von Fehlern mit Wirkung des Januars 2010 als ungültig erklärt, wonach eine Anwendung bei dem Naziaufmarsch im Februar 2011 faktisch unmöglich ist. Und auch das Bundesversammlungsgesetz, das die Staatsanwaltschaft stattdessen anführen wollte, dürfe nicht herangezogen werden. „Im Ergebnis dürfte […] die Einleitung eines Strafverfahrens für Taten für den Zeitraum zwischen Verkündung und Nichtigerklärung wegen der dargestellten Strafbarkeitslücke nicht möglich sein“, befanden die Gutachter.

Konkret bedeutet das: die Angeklagten dürfen nicht nach dem Bundesgesetz verurteilt werden, da sie so ein höheres Strafmaß als beim Landesversammlungsgesetz erwarten würde. Dieser Sachverhalt konnte den Teilnehmern aber zum Zeitpunkt der Demonstration nicht bekannt sein, denn im Februar 2011 war das Landesversammlungsgesetz immer noch gültig. Deshalb sagen die Gutachter unter Berufung auf das im Grundgesetz erwähnte „Rückwirkungsverbot“, dass eine Verurteilung nach dem Bundesversammlungsgesetz nicht möglich sei.

Unbeirrt davon will die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen jedoch weiter auf das Bundesgesetz stützen. Der Sprecher des sächsischen Justizministers, Jürgen Martens (FDP), stellte jedoch klar, dass „strafrechtlich das mildere Gesetz anzuwenden sei“. Neskovic fordert, dass alle Verfahren im Zeitraum von Januar 2010 bis April 2011 einzustellen sind. Die Anwältin Kristin Pietrzyk, die mehrere Angeklagte vertritt, verlangte zudem, dass die Staatsanwaltschaft die Anwaltskosten tragen müsse.

Aktuell stehen noch 50 Verfahren aus dem Jahr 2011 und 4 Verfahren aus dem Jahr 2010 gegen Politiker der Linken an. Die Justiz beschuldigt die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Sachsen und Thüringen und die zwei hessische Vorsitzende, friedliche Blockaden gegen Europas größten Neonazi-Aufmarsch mitorganisiert zu haben. Für den anstehenden Prozess soll eigens die Immunität der Abgeordneten aufgehoben werden – einige, darunter auch der Thüringer Linkspolitiker Bodo Ramelow, wurden bereits von ihrer Immunität befreit.

Während die Justiz sich noch mit den Ermittlungen befasst, mobilisiert das Bündnis „Dresen Nazifrei“ erneut für die Proteste gegen den nächsten Nazi-Aufmarsch im Jahr 2012. Wie schon in den zwei Jahren zuvor, ist es erneut das Ziel von „Dresden Nazifrei“, den Aufmarsch durch wirksame Blockaden zu verhindern.