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Verfassungsschutz im Zwielicht

 

In den Trümmern sollen die "legalen illegalen Ausweise" der Gruppe gefunden worden sein © Peter Endig/dpa

Je mehr Details zu der rechtsextremen Terrorgruppe bekannt werden, desto dringlicher wird die Frage, was der Verfassungsschutz tatsächlich von dem mörderischen Trio wusste. Besonders brisant ist, dass in den Trümmern der Wohnung der Gruppe angeblich sogenannte „legale illegale Papiere“ entdeckt wurden. Der Fund bringt den Verfassungsschutz gehörig in Erklärungsnot.

„Legale illegale Papiere“ sind Scheinpapiere mit echtem Foto und falschen Namen, die aber offiziell ausgestellt wurden. Der Nachrichtendienst stellt solche falschen Ausweise für seine Mitarbeiter her. Auch Menschen in einem Zeugenschutzprogramm erhalten von den Behörden die Papiere für ihre neue Identität. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte am Sonntag, den Berichten über Verwicklungen von Verfassungsschützern müsse intensiv nachgegangen werden. Im Bundestag soll möglichst bald das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste tagen.

Bisher bestreiten die Sicherheitsbehörden von Ländern und Bund vehement jeden Kontakt mit den drei Rechtsterroristen. Dabei war beispielsweise der Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“, Tino Brandt, nachweislich ein Verbindungsmann des Verfassungsschutzes. Andere Mitglieder der Gruppierung sind ebenfalls angesprochen worden. Ob die Verfassungsschützer Beate Z., Uwe M. und Uwe B. auch ein Angebot machten, ist unklar. Sie gehörten jedenfalls zum „Thüringer Heimatschutz“, bevor sie in den Untergrund gingen.

Möglicherweise hat V-Mann Brandt die Gruppe gewarnt. Im Januar 1998 durchsuchte die Polizei mehrere Wohnungen in Jena nach Bomben und Sprengstoff. Sie entdeckte jede Menge Nazipropaganda und vier Rohrbomben in einer Garage. Doch aus unerklärlichen Gründen konnten die drei Rechtsextremisten trotz Überwachung und Haftbefehlen unbemerkt fliehen.

„Wie kann es sein, dass der Verfassungsschutz die drei kennt und sie trotzdem abtauchen?“, fragt Grünen-Politiker Cem Özdemir. Nach jedem militanten Linksradikalen sei zu dieser Zeit sofort bundesweit mit Fahndungsplakaten gesucht worden, aber nicht nach drei gefährlichen Bombenbauern aus der Neonazi-Szene? Durch die vielen offenen Fragen gerät das heikle V-Mann-Programm der Behörden erneut in die Kritik.

Schon 2003 kritisierten zahlreiche Politiker die V-Mann-Strategie, weil das NPD-Verbotsverfahren an den vielen Spitzeln scheiterte. Die Richter konnten einfach nicht schlüssig belegen, welche verfassungsfeindlichen Aussagen von der NPD kamen und welche von VS-Spitzeln, die sich wichtig machen wollten.

Das Problem sei, dass der Verfassungsschutz aufgrund seiner konspirativen Arbeitsweise fast vollständig der demokratischen Kontrolle entzogen ist, sagt der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Selbst wenn Erkenntnisse über Straftaten vorliegen, sei die Behörde nicht verpflichtet, diese zu melden.

Was viele nicht wissen: Ein V-Mann des Verfassungsschutzes ist keineswegs ein eingeschleuster „Undercover-Polizist“ oder ein ehemaliger Neonazi, der die Seiten gewechselt hat und jetzt gegen seine früheren „Kameraden“ arbeitet. Der Angeworbene bleibt ein überzeugter Rechtsextremist, der lediglich gegen viel Geld monatliche Berichte für die Beamten verfasst. Ob der angeheuerte Rechte echtes oder erfundenes Material abliefert, kann sein V-Mann-Führer kaum überprüfen.

Die Vorgehensweise der Verfassungsschützer ist immer die gleiche. Sie suchen sich Szenemitglieder, die in schwierigen Lebensumständen und Geldnot stecken, passen sie auf dem Heimweg ab und bitten sie um ein Gespräch. Dann wird eine Summe für wöchentliche oder monatliche schriftliche Berichte über interne Informationen aus der Szene ausgemacht.

Reden will der Verfassungsschutz über diesen Teil seiner Arbeit nur ungern. Als vor einigen Monaten ein Neonazi Fotos von mutmaßlichen VS-Mitarbeitern schoss, die ihn anwerben wollten, und diese mit hämischen Kommentaren im Internet veröffentlichte, hieß es von der Pressestelle lediglich, die fotografierten Personen seien dem Verfassungsschutz nicht bekannt.

Für notorisch klamme Mitglieder des rechten Spektrums sind die Jobs als Spitzel eine lukrative Einnahmequelle. Niemand weiß genau, wie viele V-Männer sich in der Szene befinden. Aussteiger berichten von bis zu 40.000 Euro Jahresgehalt und – viel besorgniserregender – von einem gut organisierten Netz der Neonazis, das die Spitzel einbindet und unter Kontrolle hält. Nach Aussagen früherer Rechtsextremisten, gibt es in der NPD Leute, die sich nur darum kümmern, dass die intern bekannten V-Leute möglichst harmlose Berichte schreiben und einen Teil ihres Spitzelgehalts brav in die Parteikasse einzahlen.

Dass der Verfassungsschutz über all die Jahre Kontakt zu einer rechtsextremen Mörderbande gehalten hat, gilt als nahezu undenkbar. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Gruppe professionelle Hilfe hatte. „Als Kriminalist glauben ich nicht an die Geschichte, dass diese Leute 13 Jahre lang unbemerkt agieren konnten“, sagt der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz. „So schlampig kann man gar nicht ermitteln.“

„Wir brauchen eine lückenlose Erklärung vom Landesamt für Verfassungsschutz, was da passiert ist“, sagt der Vizepräsident des Thüringer Landtags, Heiko Gentzel. Bereits am vergangenen Freitag habe es eine erste Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gegeben. Eine weitere ist für diese Woche geplant. Eine Lehre hat Gentzel aus dem Fall jedoch jetzt schon gezogen: „Die Verfassungsschutzämter sagen immer, sie seien das Frühwarnsystem der Demokratie – das ist mächtig in die Hose gegangen.“