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Sido, Hitler und die Österreicher

 

Pflegt einen fragwürdigen Umgang mit der deutschen Geschichte: Rapper Sido, hier bei einer VIVA-Preisverleihung 2011 in Oberhausen © Getty

Deutschland ist Exportweltmeister. Doch  der neuste deutsche Export sorgt in Österreich für Empörung. Das „Superintelligente Drogenopfer“, kurz Sido, einer der bekanntesten deutschen Rapper, verursachte im Nachbarland einen handfesten Eklat. Auf einer Gala des ORF sagte der Künstler: „Ihr Österreicher habt uns mal einen rüber geschickt, der uns Ordnung beigebracht hat.“ Die Österreichische Presse reagierte empört und sah darin eine Beleidung des Landes. Doch der eigentliche Skandal, die Verharmlosung der Verbrechen der NS-Diktatur, war den meisten Medien kaum eine Zeile wert.

Ein Kommentar von Felix M. Steiner

Es ist nicht das erste Mal, dass Sido Schlagzeilen in Österreich macht. Schon vor einigen Wochen betitelte Sido einen prominenten österreichischen Boulevardjournalisten in der Show „Deine große Chance“ (vergleichbar mit „Das Supertalent“) als Hausmeister und jagte ihn und seinen Freund in pöbelnder Manier später von der Bühne. Dieser quittierte das Verhalten des deutschen Rappers mit der Bemerkung: „Deutschland und Österreich unterscheidet eben mehr als die Sprache.“ Die Revanche folgte prompt: Die österreichische Kronen Zeitung brachte pünktlich zur Ausstrahlung der Sendung eine Abrechnung mit Sido. All das wäre sicher zu verschmerzen gewesen.Doch nun legte Sido nach und traf die Österreicher direkt ins Mark, in den Kern ihres nationalen Selbstverständnisses als erstes Opfer des Nationalsozialismus, wie es im Gründungsdokument der österreichischen Republik von 1945 heißt.

Der ORF bemühte sich nach der Sendung vom Samstag um Schadensbegrenzung und verwies auf die Ironie der Aussage und auf den Versuch des Künstlers, so die Stimmung auf der Tanzfläche anzuheizen. Wie auch immer, die Provokation hat erreicht, was sie erreichen sollte: Aufmerksamkeit. Sofort begannen in den Foren wilde Diskussionen, die zusammengefasst vor allem einen Kern hatten: Hitler sei zwar Österreicher gewesen, aber zum Diktator sei er doch erst in Deutschland geworden.

Als wie dümmlich man Sidos Aussage auch immer bewerten mag, zeigt sie doch vor allem, dass das Nachkriegsnarrativ des ersten Opfers immer noch als geeignete Kerbe für eine Provokation taugt. Der deutsche Rapper musste nicht einmal den Namen Hitler erwähnen und sorgte schon für heftige Diskussionen über die Kriegsschuldfrage und über Täter-Opfer-Verhältnisse. „Österreich ist frei“, sagte die Symbolfigur Leopold Figl 1955 und leitete mit dem Staatsvertrag eine neue Phase für sein Land ein. Eine Phase ohne „gewisse Verantwortlichkeit“ am Weltkrieg. Doch wirklich frei scheint Österreich nicht zu sein.