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Leipziger Stadtverwaltung lässt Nazitreffen gewähren – Politiker sind empört

 

2000 Menschen protestierten vor zwei Monaten gegen den Nazistützpunkt © Fabian Biastoch

Für kommenden Sonnabend hat der Leipziger NPD-Nachwuchs den früheren Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffman in seinen Treff in der Odermannstraße 8 eingeladen. Die Stadtverwaltung hätte das Nazi-Zentrum längst schließen können. Angesichts der Enthüllungen um das Zwickauer Trio fragen sich viele Messestädter, ob nicht auch die hiesige Verwaltung auf dem rechten Auge erblindet ist.

Von Patrick Limbach

Juliane Nagel ist entsetzt. Die Linken-Stadträtin kann nicht fassen, wie die Leipziger Verwaltung mit dem weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten NPD-Zentrum in der Odermannstraße 8 umgeht. „Es gibt mehrer Ansatzpunkte das Nazizentrum genauer unter die Lupe zu nehmen“, so die 33-Jährige. „Die Verwaltung verweigert sich einer Tiefenprüfung, die sie in anderen Fällen nur zu gern praktiziert.“

Seit Februar ist öffentlich bekannt, dass die Kameraden mehrfach gegen ihre Baugenehmigung verstoßen haben. Die Stadt hat rechtlich die Möglichkeit, den Szene-Treff zu schließen. Doch zu Nagels Verwunderung hat die SPD-geführte Stadtspitze darauf bisher verzichtet. Nicht nur die Stadträtin fragt sich inzwischen, ob die Verwaltung auf dem rechten Auge blind ist. Dabei ist spätestens seit der Mordserie des Zwickauer Trios der bundesweiten Öffentlichkeit bewusst, wie gefährlich die Neonazi-Szene in Ostdeutschland ist. Auch die Leipziger Kameraden haben mit Rechtsterroristen keine Berührungsängste. Statt sich angesichts der aktuellen Aufregung aus dem Rampenlicht zurück zu ziehen, hat Tommy Naumann, sächsischer Vorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) am Sonnabend, den 26. November Karl-Heinz Hoffmann eingeladen. Hoffmann stand der nach ihm benannten, rechtsterroristischen „Wehrsportgruppe“ vor, die 1980 verboten wurde.

Interessanterweise dürfte die Veranstaltung formaljuristisch gesehen gar nicht mehr in der Odermannstraße 8 stattfinden. Das Problem ist relativ simpel: Auf dem Grundstück befinden sich ein Alt- und ein Neubau. Rein rechnerisch passen in den Neubau mit einer Fläche von rund 109 qm über 200 Besucher. Damit fällt die Lokalität, nach NPD-Angaben ein überregionales Veranstaltungszentrum, eigentlich unter die strengen Bauvorschriften der Sächsischen Versammlungsstättenverordnung. Eine entsprechende Genehmigung wurde seitens Eigentümer Steven H., einem Anverwandten des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold, nie beantragt. Allein deswegen könnte die Verwaltung bereits den Laden dicht machen. In der Stadtverwaltung möchte man hiervon nichts wissen. Ordnungsamtschef Helmut Loris betonte auf Nachfrage, das Gebäude sei öffentlich nicht zugänglich. Die NPD dagegen freut sich über jeden Besucher, lud auf ihrer Homepage allein im Jahr 2011 gleich viermal „Interessierte“ zu Veranstaltungen ein. Zu Gast waren Rechtsrevisionist Wolfgang Juchem, „Reichsbürger“ Christian Bärthel, Holocaust-Leugnerin Sylvia Stolz und Rechtsterrorist Josef Kneifel.

Auch gegen die erteilte Baugenehmigung verstießen die Neonazis mehrfach. Danach darf der Bau nämlich nur von höchstens 100 Personen gleichzeitig betreten werden. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) teilte bereits am 26. Januar 2011 mit, dass diese Zahl 2009 und 2010 dreimal überschritten wurde. Nach einem Aufmarsch am 16. Oktober 2010 trafen sich demnach bis zu 150 Kameraden in dem Gebäude. Bei zwei Liederabenden, unter anderem mit dem Berliner NPD-Funktionär Jörg Hähnel, waren jeweils 150 bzw. 160 Gäste vor Ort. Für die Stadt Leipzig kein Problem. Ihr liegen „keine Informationen oder gerichtsverwertbare Erkenntnisse vor, dass gegen die Inhalte der Baugenehmigung verstoßen wurde“, so Baudezernent Martin zur Nedden (SPD). Allerdings hätten die braunen Nutzer der Stadt im Frühjahr versichtert, sich künftig an die baurechtlichen Auflagen zu halten. Der Stadt scheint das zu genügen. Zwar muss zur Nedden einräumen, wenn nachweislich mehrfach gegen die Baugenehmigung werde, käme „der Erlass einer präventiven Nutzungsuntersagung in Betracht.“ Bislang haben die Behörden diesen Schritt aber nicht für nötig erachtet.

Mit den Veranstaltungen nicht genug: Wer die braune Szene nur ein bisschen kennt, weiß, dass die „Kameraden“ dem Alkohol nicht abgeneigt sind. Daher darf angenommen werden, dass der ein oder andere Liter Bier in der Odermannstraße 8 ausgeschenkt wurde. In einer Webcommunity fand sich bis vor einiger Zeit eine Fotostrecke, auf der die Räume des Nazi-Treffs gut zu sehen waren. Auf einem Bild war sogar ein Schankraum mit Bar und Zapfanlage abgebildet. Nach dem Sächsischen Gaststättengesetz müssten die Kameraden den Alkoholausschank der Stadt mitteilen. Ordnungamtsleiter Loris vertritt dagegen die Ansicht, dass das Gesetz auf den Neonazi-Treff keine Anwendung finde, da die Betreiber mit dem Ausschank angeblich keinen Gewinn erzielen wollen.

Über die Gründe für die hartnäckige Weigerungshaltung der Stadt in Sachen NPD-Zentrum lässt sich nur spekulieren. In anderen Fällen verhielt sich die Stadt weitaus weniger zimperlich. Als beispielsweise ein vietnamesischer Kulturverein im Januar sein Neujahrsfest feiern wollte, ließ es sich das Bauordnungsamt nicht nehmen, die Veranstaltung wenige Stunden vor Beginn wegen nicht eingehaltener Auflagen zu untersagen.

Linke Gruppen und Leipziger Bürger haben angekündigt, am Sonnabend gegen die Hoffmann-Veranstaltung zu demonstrieren. Auch OBM Jung möchte sich in den Protest einreihen. „Eine ordnungsrechtliche Prüfung kann die inhaltliche Auseinandersetzung mit Neonazis nie ersetzen“, meint Nagel. „Wo wie im Falle der Odermannstraße Möglichkeiten da sind, sollten sie aber genutzt werden! Vielleicht sollte der OBM statt Reden zu schwingen, den Laden einfach dicht machen. Die Mittel dazu hat die Verwaltung seit Monaten in der Hand.“