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Seriösen-Holger und die radikale Verbotsangst

 

Parteichef Holger Apfel (l.) mit seinem Ziehvater Udo Voigt © Getty

Erst hat man kein Glück – und dann kommt auch noch Pech dazu. Diese alte Fußballerweisheit fasst die bisherige Amtszeit von Holger Apfel als NPD-Chef zusammen. Endlich war Apfel am Ziel – Parteivorsitzender. Doch die NPD steckt in einer Krise, die sich durch die Erkenntnisse über den NSU-Terror immer weiter verschärft. Zudem erweist sich Apfels schnittiges Konzept der seriösen Radikalität bei genauerer Betrachtung als wenig substantiell, geschweige denn besonders neu.

Von Alexander Hacker, erstveröffentlicht bei Publikative.org

Holger Apfel hat sich die erste Phase seiner Amtszeit sicher anders vorgestellt. Hatte er es nach einer groß angelegten Werbekampagne und dem darauf folgenden Sturz seines einstigen politischen Ziehvaters endlich geschafft sein großes Ziel zu erreichen – den Vorsitz der NPD. Nicht unwesentlich für seinen Erfolg dürfte auch sein vermeintlich neues Konzept der „seriösen Radikalität“ gewesen sein. Damit konnte er die Partei für sich gewinnen. Eine Partei, die nach Erfolg verlangt und diesen nur durch den Mann zu erreichen glaubte, der die NPD in Sachsen zum Wiedereinzug in den Landtag führte. Ein Neuanfang musste her und diesen glaubte man durch „seriöse Radikalität“ einleiten zu können.

Nebelkerzen im Wahlkampf

Schon im internen Wahlkampf um den Parteivorsitz hatte Udo Voigt hinterfragt, was eigentlich genau hinter dem Konzept stecken würde. Doch die Zeit, das zu hinterfragen, war im November 2011 bereits abgelaufen, der Wunsch nach Veränderung war in der NPD zu groß. Und so verwundert es kaum, dass Apfels Konzept eben genau damit endete, was die meisten in der Partei sich so sehr wünschten: „‘Seriöse Radikalität‘ ist das Verlassen von Nebenpfaden und das Einschlagen eines Erfolgsweges!“ Diese Hoffnung zu bedienen war Apfels größte Leistung im Wahlkampf, denn inhaltlich bietet das Konzept kaum etwas, das nicht bereits vor Jahren als Vorschlag in der extremen Rechten im Umlauf war. Sogar Formulierungen sind nahezu identisch. Schon 1991 im Konzept der „Befreiten Zonen“ wollte man die Herzen der Menschen gewinnen, Andreas Molau wollte 2009 Herzen gewinnen und Apfel will es natürlich auch. Gemein ist allen noch ein kräftiger Schuss Mao Tse-tung, um sich auch wirklich wie ein Fisch im Volk bewegen zu können.

Dass man, um diese Ziele erreichen zu können, deutlich sprechen muss und niemanden abschrecken darf, kann man wohl ohne Übertreibung als Gemeinplätze bezeichnen. Will man dem Vorsitzenden der NPD-Nordrhein-Westfalen, Claus Cremer, nun noch Glauben schenken, soll nicht einmal der Name des Konzeptes von Apfel selbst stammen. So schrieb Cremer bereits im Mai 2011: „Dazu gehört z.B. der von mir in die Diskussion gebrachte, und in der damaligen Arbeitsgruppe mit Kamerad Ulrich Pätzold ausgearbeitete, Begriff der ‚seriösen Radikalität‘, der heute bereits Verwendung und Akzeptanz in der NPD gefunden hat.“

Vom Land in den Bund und zurück ins Land

Spätestens seit dem ersten Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag galt der Freistaat als extrem rechtes Musterbeispiel. Besonders, weil hier die Zusammenarbeit mit den Kameradschaften maßgeblich zum erfolgreichen Wahlkampf beigetragen hatte. Nicht zuletzt war es ja diese Zusammenarbeit und der Einzug in den Landtag, der Apfel auch an die Spitze der Partei verhalf. Doch nun zeigt sich, dass genauso wie man den Erfolg in Sachsen auf Bundesebene übertragen wollte, die Zerfallserscheinungen vom braunen Musterland auf die Bundesebene zurückwirken. Der Zerfall in Sachsen hat begonnen.

Dies bedeutet in erster Linie, dass sich immer mehr Personal, welches aus den freien extrem rechten Strukturen in die NPD eingetreten war, nun von der Partei löst. Nicht zuletzt ist dies darauf zurückzuführen, dass sich die neue Führung der NPD von verschiedenen Personen distanzierte oder Redeverbot bei Parteiveranstaltungen erteilte. Auftrittsverbot erhielt unter anderem Karl-Heinz Hoffmann, dessen Buch vor wenigen Monaten noch groß im „Deutsche-Stimme-Verlag“ beworben worden war. Dies gefällt vielen Aktivisten der extremen Rechten überhaupt nicht, denn es erinnert an den Niedergang der NPD in den 1970er Jahren, als eine Reihe von Unvereinbarkeitsbeschlüssen erging, die damals der Verbotsangst geschuldet waren. Trotz aller vollmundigen Bekundungen dürfte auch diesmal die Verbotsangst keinen unwesentlichen Teil des Verhaltens der Parteispitze erklären.

Bio-Siegel für Kameradschaften

Diese Auseinandersetzungen dürfte eine weitere Ankündigung des neuen Bundesvorstands nicht besonders befrieden. So arbeite die Führung der NPD derzeit an einem Leitfaden für den Umgang mit den „Freien Kräften“, wie es an verschiedenen Stellen bereits verkündet wurde. Der Neonazi Axel Reitz gehört bisher zu den Wenigen, von denen sich Holger Apfel direkt distanzierte. Im Gegenzug warf Reitz Apfel vor, ihm gehe es nicht um „die gemeinsame Sache“, sondern schlicht um das „Fortkommen seiner Partei und seiner eigenen Person“. Apfel sortiere nach der Dienstbarkeit der jeweiligen Aktivisten und danach, ob diese den Herrschaftsanspruch der NPD anerkennen, so der Vorwurf weiter. Als dann Maik Scheffler, Führungsfigur des „Freien Netzes“ aus Sachsen und nun stellvertretender NPD-Landesvorsitzender, mit einem Artikel auf die derzeitige Situation reagierte, wurde der Ton schärfer. Kommentiert wurden Schefflers Äußerungen in den einschlägigen Kommentarspalten mit deutlichen Worten: „Scheffel-Scheffler, wie er von vielen aufrechten sächsischen Kameraden genannt wird, ist ein erbärmlicher kriecherischer Wurm …“

Dass vor kurzem auch noch der Vorsitzende des niedersächsischen Landesverbandes zurücktrat, dürfte die Situation nicht gerade verbessern – mit dem Rücktritt weiterer Funktionäre atomisiert sich offenbar auch der Landesverband der NPD in ihrem Stammland. Zudem tauchte kürzlich auch ein offensichtlich internes Schreiben Karl Richters auf, der dem Bayrischen Landesverband attestierte, dieser sei „derzeit strukturell nicht kampagnenfähig“. Nun vermuten viele, Richter strebe neben dem Posten des stellvertretenden Bundesvorsitzenden auch noch den Landesvorsitz in Bayern an.

Die anderen sind schuld?

All diese Probleme lassen sich schwer – wie sonst üblich – als Folge von äußeren Einflüssen erklären, wie dies die NPD gern tut. Vielmehr scheint das Konzept von „seriös“ und „radikal“ schlichtweg nicht zu funktionieren. Genau das, was unter Apfel nun zu scheitern droht, nämlich die Einbindung der NPD in die gesamte extrem rechte Bewegung, war Udo Voigts Stärke. Voigt hatte verstanden, dass die NPD als eine rein erfolgsorientierte Partei den Anschluss an die „Bewegung“ verlieren würde, da all das, was Apfel nun versucht zu verbieten, die Bewegung zusammenhält.

Die NS-Symbole und provozierende menschenverachtenden Aktionen führen nicht zum Erfolg einer Partei, sind aber der Kitt der Szene. Die derzeitigen Distanzierungen von solchen Aktionen stoßen vor allem bei den Freien Kräften auf Unverständnis, da die NPD nur Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck sein soll. Und dass Holger Apfel den Holocaust im Spiegel-Interview nun auch noch als Verbrechen bezeichnete, dürfte vielen Kameraden nicht gefallen.

Voigt hatte es über Jahre geschafft die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der NPD zusammenzuhalten – und dazu gehörte auch, dass er „NS-Gekasper“ akzeptierte. So bekommt Voigts szeneinterner Spitzname, Pattex-Udo, der eigentlich auf Voigts lange Amtszeit anspielte, nun noch eine ganz andere Bedeutung, was den abnehmenden Zusammenhalt in der NPD angeht. Ob Seriösen-Holger diesen Trend noch umkehren kann, erscheint derzeit ungewiss.