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Nazis blamieren sich in Hamburg

 

Statt den angekündigten 1000 kamen nur halb so viele Neonazis © Hartl

Weit über 10.000 HamburgerInnen wehrten sich am Samstag, den 02. Juni 2012, gegen den neonazistischen Aufmarsch unter dem Motto „Tag der deutschen Zukunft“ in Wandsbek. Massive Proteste und Blockaden an der Marschroute der Neonazis konnten den Aufzug zwar nicht verhindern, dafür aber von ursprünglich 4 auf 1,5 Kilometer verkürzen. Überschattet wurden die überwiegend friedlichen Proteste von gewalttätigen Ausschreitungen.

Es sollte wohl der Aufmarsch schlechthin für die Neonazi-Szene in Norddeutschland werden. Und tatsächlich versprach es mit 1.000 erwarteten Teilnehmern und einer ca. vier Kilometer langen Marschroute auch etwas großes zu werden. Doch schon im Vorfeld stellte sich die Sache für die Neonazis wohl schwieriger als angenommen dar. Denn ursprünglich wollten die Nazis erst direkt in der Innenstadt marschieren, was ihnen gerichtlich allerdings ebenso verwehrt bliebt wie der Marsch durch den Hamburger Bezirk Altona. Die Stadt hatte zuvor beide Routen aus Gründen der Sicherheit verboten und den Neonazis in Wandsbek lediglich eine „stationäre Kundgebung“ genehmigt. In diesem Punkt widersprach das Verwaltungsgericht der Stadt aber und erlaubte trotzdem einen Aufmarsch in Wandsbek, da das Demonstrationsrecht ansonsten zu drastisch eingeschränkt werden würde. Kurz vor dem Aufmarsch kam es in einschlägigen Neonazi-Foren dann auch noch zu Drohgebärden hinsichtlich des 2. Juni, in denen unter anderem angekündigt wurde, dass die „Schonzeit“ vorbei sein würde.

Doch dann kam für die Nazis irgendwie alles ganz anders. Schon einige Zeit bevor der Nazi-Aufmarsch um 12 Uhr Mittags starteten sollte, kam es in der Hamburger Innenstadt nämlich zu eindeutigen Protesten unter dem Motto „Hamburg bekennt Farbe“, die unmissverständlich klar machten, dass rechte Einstellungen und Aufmärsche in der Hansestadt unerwünscht sind. Annähernd 3000 BürgerInnen beteiligten sich gegen 10 Uhr Vormittags an einem Protestzug, der auch am Rathaus vorbeiführte. Weit über 10.000 Menschen nahmen zudem an der offiziellen Veranstaltungen am Rathaus-Markt teil, bei der auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sowie einige Zeitzeugen als Redner auftraten. Scholz stellte laut Berichten der Hamburger Morgenpost in seiner Rede klar, dass die „Vielfalt“ Hamburgs ein „Schatz“ ist und sagte: „Wir sind stolz darauf, eine weltoffene Stadt zu sein!“. Für das gelingen des Protestes sorgte ebenfalls ein umfassendes Rahmenprogramm wie die Lesung von Harry Rowohlt oder eine Interviewrunde mit dem Boxer Alexander Dimitrenko und vieles mehr.

Während auf dem Rathausmarkt ein deutliches Zeichen gesetzt wurde, versammelten sich viele BürgerInnen auch direkt im Bezirks Wandsbek, um gegen den Aufmarsch zu protestieren und diesen zu blockieren. Erste Versuche hierzu erfolgten bereits einige Zeit bevor die meisten Neonazis überhaupt eingetroffen waren. Direkt an dem Ort, an dem der Aufzug starten sollte, hatten sich gegen 12 Uhr Mittags einige Personen auf die Straße gesetzt und unternahmen einen Blockadeversuch. Trotz mehrmaliger Aufforderung der Polizei und einer Provokation seitens des Neonazis Thomas Wulff, der überdies als Veranstaltungsleiter fungierte, blieben die couragierten BürgerInnen sitzen, um sich gegen die Neofaschisten zur Wehr zu setzen. Wie bereits angekündigt, begann die Polizei kurz darauf damit, die Personen wegzutragen, wobei eine Frau durch Gesang klarmachte, dass man sich gegen die „Faschisten in unserem Land“ wehren muss. Der Vorgang blieb absolut friedlich und die DemonstrantInnen wurden hinter den abgesperrten Bereich und somit aus dem Veranstaltungsgebiet der Nazis gebracht. Ein weiteres Durchkommen wäre angesichts der massiven Polizeipräsenz vor Ort wohl kaum möglich gewesen.

Vereinzelt trafen zwischenzeitlich immer wieder Neonazis ein, nach einiger Zeit dürften es wohl an die 50 gewesen sein, darunter Thomas „Steiner“ Wulff und Christian Worch. Unterdessen brannten in der näheren Umgebung immer wieder Barrikaden, die Polizei ging mit Wasserwerfer und Pfefferspray gegen Demonstranten vor, die Feuerwehr musste anrücken. Nach einer schieren Ewigkeiten trafen die restlichen Neonazis mit drei Bussen des HVV schließlich an der Ecke Hammerstraße/Pappelalle ein, wo sie nach den offiziellen Reden auch erst einmal eine ganze Zeit lang festsaßen. Direkt hinter dem abgesperrten Bereich hatten sich nämlich einige Menschen absolut friedlich auf die Straße gesetzt, sodass es vorerst kein Durchkommen gab. Erst nachdem die Polizei, die mit Wasserwerfern und Räumpanzern vorangefahren waren, die Blockade rigoros auflöste, konnten sich die Neonazis in Bewegung setzen. Die Polizei bannte den Nazis somit den Weg und ging bisweilen extrem hart gegen GegendemonstrantInnen vor. Insgesamt dürfte es wohl etwas über 400 Neonazis gewesen sein, die mit Bannern und Transparenten durch die Straßen zogen.

Doch weit gekommen sind sie nicht, denn bereits an der Kreuzung Papelalle/Hammer Steindamm musste der Aufmarsch abermals stoppen. Wieder hatten sich Blockaden gebildet, die erneut von der Polizei aufgelöst wurden; allmählich spitzte sich die Lage zu. Knallkörper explodierten, einige versuchten, zu den Nazis vorzudringen, die Lage war prekär. Während die Nazis die Hasselbrookstraße entlangmarschierten, kamen sich GegendemonstrantInnen und Neonazis extrem nah, die Nazis begannen mit Flaschen zu werfen und drückten stellenweise massiv gegen die Polizeikette. Nachdem sie in den Peterskampweg abgewogen waren, musste der Zug dann wider stoppen. Erneut waren die Straßen dicht.

Unzählige Menschen hatten die Ecke Marienthaler Straße/Peterskampweg besetzt und ein weiterkommen unmöglich gemacht. Erneut blieb alles friedlich, zu Eskalation kam es erst, als die Polizei mit einer relativen Härte gegen die DemonstrantInnen vorging. Zwischenzeitlich wirkte die Polizei aber unsicher, Wasserwerfer und Räumpanzer sowie unzählige Beamte hatten Stellung bezogen, die Situation war angespannt – unternommen wurde vorerst jedoch nichts. Einige Zeit später kam dann Bewegung ins Spiel: die Polizei forderte die BürgerInnen auf, den Platz zu räumen und drohte an, ansonsten Wasserwerfer einzusetzen. Doch ohne Erfolg, die DemonstrantInnen beugten sich nicht und blieben couragiert sitzen. Daraufhin ging die Polizei unverhältnismäßig hart vor, setzte Wasserwerfer ein und löste die Blockaden durch körperlichen Einsatz auf, wodurch die Lage eskalierte. Flaschen und Steine flogen, Polizisten stürmten wie wild auf DemonstrantInnen los. Nach und nach bröckelte die Blockade und die Polizei lotste die Nazis in die Marienthaler Straße. Wieder waren sich beide Lager extrem nahe, lediglich getrennt durch eine überaus dünne Polizeikette.

Es folgte der Marsch durch die Marienthaler Straße, der die Nazis zurück zum Hammer Steindamm führte, wo der Aufmarsch schlussendlich an der S-Bahn Station Hasselbrook stoppte. Nach nur etwa 1,5 Kilometer war für die Nazis Schluss, es ging nicht mehr weiter, die rechten Demonstrationsteilnehmer mussten ihren Aufzug beenden. Alles war umstellt von Gegendemonstranten, die wiederum von der Polizei abgeschirmt wurden. Ehe die Nazis ihre S-Bahn besteigen konnten, flogen noch einmal Gegenstände, die Polizei drängte die Gegendemonstranten zurück und errichtete eine Kette. Auch die Nazis provozierten zwischenzeitlich, warfen Gegenstände und drückten wieder gegen die Polizeiketten. Als die Nazis dann in ihre S-Bahnen gestiegen sind und Wandsbek verließen, kehrte allmählich wieder Ruhe ein. Übrigens wurde auch bereits in neuer „Tag der deutschen Zukunft“ angekündigt, der 2013 in Wolfsburg stattfinden soll.

Das Fazit, das die Polizei am Ende ziehen konnte, dürfte wohl eher durchwachsen ausgefallen sein. 17 Personen sind festgenommen und 63 in Gewahrsam genommen worden und einige Polizeibeamten wurden verletzt. Doch auch die Polizei steht in der Kritik, dass ihr Einsatz deutlich zu massiv gewesen ist. So wird das Vorgehen der Polizei in der nächsten Zeit vom Innenausschuss der Hamburger Bürgschaft untersucht werden. Kritik am Vorgehen der Polizei kam vor allen von Seiten der Grünen und der Linken, die ein rabiates Vorgehen anprangerten, aber auch CDU und FDP hätten „Fragen“, wie NDR.de berichtet.

Positiv hervorzuheben bleibt aber, dass sich ein überwältigender Teil der HamburgerInnen friedlich und couragiert gegen Neonazis geweht hat und dazu beigetragen hat, dass der „Tag der deutschen Zukunft“ zu einer regelrechten Blamage verkam und den Neonazis ein Strich durch die Rechnung gemacht werden konnte. Negativ hervorzuheben gilt es indes, dass die Polizei teilweise sehr drastisch, womöglich gar unverhältnismäßig vorging und keinerlei Chancen für Blockaden ließ.