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Gewalttäter in der westdeutschen Provinz

 

Neonazis aus dem Kreis Heinsberg bei einem Aufmarsch in Remagen (Rheinland-Pfalz) © Max Bassin

Ermittlungen wegen versuchten Mordes, Schüsse aus Softairwaffen, Überfall einer Kneipe, ein abgebranntes Auto, Hakenkreuzgraffiti am Rathaus und der Polizeiwache, mehrere Versammlungen im Kreisgebiet, sowie Werbeaktionen und martialisches Auftreten bei Dorfevents. Die Neonaziszene im Kreis Heinsberg ist aktiv. Neben einer steigenden Gewaltbereitschaft ist auch das Bestreben nach sozialer Verwurzelung im ländlich geprägten Landkreis zu beobachten. Die regionalen Protagonisten waren fast alle Anhänger der vor kurzem verbotenen Kameradschaft Aachener Land (KAL).

Stadt Wassenberg ist Schwerpunkt rechter Gewalt

Schwerpunkt rechter Gewalttaten ist die an der Grenze zu den Niederlanden gelegene Stadt Wassenberg. Mehrmals gerieten eine alternative Gaststätte und deren Besucher in den Fokus der Rechten. Während eines antifaschistischen Konzerts 2009 zündeten Unbekannte den Kleinbus eines mutmaßlichen Konzertteilnehmers an. Nachdem zwei Neonazis mit rassistischen und antisemitischen Parolen im Februar 2011 Gäste provoziert hatten folgte noch am selben Abend ein direkter Angriff auf die Kneipe. 15 Vermummte überfielen das Lokal, versprühten Pfefferspray und verschütteten Benzin im Eingangsbereich. Vier Monate später folgte ein erneuter Angriff auf Gäste der Kneipe. Mit Sturmhauben vermummt und aufgeteilt in mehrere kleine Personengruppen griffen Rechte unter anderem mit Softairwaffen aus dem Lokal kommende Gäste an. Teilweise erlitten diese blutende Verletzungen. Zu Weihnachten 2011 steckten Neonazis ein blutiges Tierherz und einer „Grußkarte“ der KAL in den Briefkasten eines alternativen Jugendlichen. Sein Wohnhaus wurde vorher wiederholt beschmiert. Den vorläufigen Höhepunkt neonazistischer Gewalt erreichte Wassenberg im September 2011. Vier junge Personen sollen einen 48-Jährigen bewusstlos geprügelt zu haben. Erst ein Jahr später konnten die Täter ermittelt werden. „Der Hintergrund der Tat lag wahrscheinlich darin, dass neue Mitglieder für eine Kameradschaft im rechtsradikalen Milieu geworben werden sollten“, erklärte Oberstaatsanwalt Robert Deller gegenüber der Aachener Zeitung. Die Beschuldigten befinden sich derzeit in Untersuchungshaft.

Kampf um die Straße

Auch in der Region Heinsberg wird ein „Kampf um die Straße“ geführt. In den vergangenen vier Jahren fanden mindestens fünf Kundgebungen beziehungsweise Aufmärsche im Kreisgebiet statt. Immer wieder besuchen Neonazis auch Veranstaltungen in den umliegenden Dörfern, um für sich zu werben und um alternative Jugendliche einzuschüchtern. Laut der Chronik auf der Internetseite der Antifa Heinsberg haben Neonazis 2012 vor einem Karnevalszelt in Wassenberg Flyer verteilt. Bei öffentlichen Liveübertragungen von WM- bzw. EM-Spielen griffen sie teilweise gezielt alternativ aussehende Menschen an. Anzutreffen sind rechte Gruppen mitunter auch bei Jugenddiskos, dort versuchten sie missliebige Jugendliche von einem Besuch selbiger abzuhalten. Von den Dominanzansprüchen der Szene zeugen auch zahlreiche Schmierereien und Sticker im gesamten Kreisgebiet. Im Juli 2011 besprühten Neonazis sogar das Wassenberger Rathaus und die daneben gelegene Polizeiwache mit Hakenkreuzen und Parolen. Ferner wurden auch immer wieder Schulen im Kreisgebiet mit rechtsradikalen Parolen und Symbolen, wie z.B. mit dem Kürzel „KAL“ besprüht.

Stadt Wassenberg reagiert zögerlich

Die Stadt nimmt sich des Problems in Wassenberg jedoch nur begrenzt an. Ein Beitritt zum kreisweiten „Bündnis gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Toleranz “ lehnte der Stadtrat 2010 und 2012 wiederholt ab. Grund: die Unionsfraktion wollte erst eine Umbenennung und Neuausrichtung des Bündnisses erreichen, dass auch eine Ausrichtung gegen Linksradikale beinhalte. Zudem versuchte Peter Weyermanns (CDU) an Hand von Links auf der Homepage der Antifa eine Kooperation des Bündnisses mit der Antifa nachzuweisen. Der Rat beschied letzlich nur einen Antrag der CDU-Fraktion auf einen Beitritt zum bundesweiten „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“ (BfDT) positiv. Dieses sei schließlich „über jeden Zweifel fehlender Neutralität erhaben“. In einem offenen Brief an den Stadtrat zeigt das Heinsberger Bündnis das Groteske dieses Beitritts auf. Mit ihrem Beitritt zum BfDT werde die Stadt automatisch Netzwerkpartner aller Mitglieder des BfDT – darunter befänden sich zahlreiche Bündnisse „gegen Rechts“. Zu den Mitgliedern dieser Bündnisse wiederum gehören teilweise auch Antifagruppen. Ob sich der Rat in Zukunft konstruktiver zum Neonaziproblem verhält bleibt abzuwarten. Dafür dürfte jedenfalls ein Umdenken in Punkto Extremismustheorie dringend erforderlich sein, die bisher ein wirksames Handeln gegen Rechts verhindert.

KAL von Vereinsverbot unbeeindruckt

Trotz des Vereinsverbots der KAL wird das Naziproblem damit alleine nicht zu lösen sein. Bisher zeigen sich die ehemaligen Mitglieder der Kameradschaft Aachener Land vom Verbot wenig beeindruckt. Schon zwei Tage nach dem Verbot fand eine Neonazi-Kundgebung im benachbarten Düren statt. Mit dabei war auch René Laube, der bis zum Verbot „Kameradschaftsführer“ der KAL war. In einem T-Shirt mit der Aufschrift „Anti-Antifa Aachen-Düren Supporter“ moderierte er die braune Versammlung und verkündete zum Abschied selbstbewusst Richtung Innenminister: „Trotz Verbot sind wir nicht tot“. Neben Laube beteiligte sich auch das ehemalige KAL-Mitglied André Plum mit einem Redebeitrag an der Versammlung. Am gleichen Tag hatte Laube zumindest eine Kundgebung in Pulheim angemeldet, wie die Polizei auf Nachfrage bestätigte. Die ehemaligen Kameradschaftsstrukturen scheinen zumindest in Teilen weiterhin aktiv zu sein. Ferner werden Nazischmierereien seit einiger Zeit im Namen der „AG-HS“ begangen. Vermutlich handelt es sich dabei um die Abkürzung für eine „Aktionsgruppe Heinsberg“. Dies würde auf eine Strukturänderung der Szene hindeuten, die bereits vor dem Verbot der KAL eingeleitet wurde.

Aktionsbündnis plant Demo und Konzert

Um den Neonaziaktivitäten auch neben des staatlichen Verbots Engagement von unten entgegen zu stellen, ruft ein Aktionsbündnis für den 29. September zur Demonstration mit abschließendem Open-Air-Konzert in Erkelenz auf. „Unsere Demonstration wird in Erkelenz stattfinden, weil wir hier durch öffentliche Stellen unterstützt werden und weil die Stadt durch Bahnhof und Busbahnhof eine gute Erreichbarkeit bietet“, sagt Christoph Stolzenberger. Auch nach dem Verbot sehen sie die Notwendigkeit selbst aktiv zu werden. „Das Verbot der KAL löst das Problem nicht. Die handelnden Personen sind nach wie vor aktiv und neonazistische Gesinnung, sowie rassistische und antisemitische Denkmuster gibt es in der Gesellschaft nach wie vor. Den Kampf dagegen möchten wir nicht staatlichen Stellen überlassen.“ Außerdem gehe es den Organisatoren darum Jugendlichen Alternativen anzubieten und die Zivilgesellschaft zum eigenständigen Engagement zu animieren. Den Aufruf zur Demonstration unterstützen bisher viele Antifagruppen, mehrere Verbände der Grünen und Linken sowie deren Jugendorganisationen und zahlreiche Bundestagsabgeordnete der Linken, Grünen und SPD.