Vor zwölf Monaten wurde die rassistische Mordserie der Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt. Journalisten, Initiativen gegen rechts und Antifa-Aktivisten hatten jahrzehntelang vor der tödlichen Dimension rechter Gewalt gewarnt. Doch die Taten des NSU übertrafen selbst die schlimmsten Befürchtungen, wozu Neonazis fähig sind, die ihre Ideologie bis zur letzten Konsequenz durchsetzen wollen.
Viele hatten gedacht, dass danach ein gesellschaftliches Umdenken einsetzen würde. Ein gemeinsames Aufstehen gegen Rechtsextremismus. Aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, der Ermittler dazu brachte stets von Migranten als Tätern auszugehen und Medien ermutigte von „Döner-Morden“, anstatt von Menschen zu sprechen.
Vor diesem Hintergrund ist besonders erschütternd, was nun eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgefunden hat: Jeder Sechste im Osten verfügt laut der Untersuchung über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Ein erschreckendes Ergebnis. Natürlich heißt das nicht, dass jeder dieser Bürger auch die NPD wählt oder gar Gewalt gegen Menschen anderer Hautfarbe ausübt. Aber ein rechtsextremes Weltbild ist die Voraussetzung für solche Taten.
Die Studie (hier als pdf) zeigt vor allem eines: Rechtsextreme sind besonders dort stark, wo ihre Gegner schwach sind. Die extreme Rechte hat erkannt, dass sie die Jugend mit kulturellen Angeboten am besten erreicht – gerade auf diesem Gebiet bringen Verbote wenig, weil sie die Nazis nur noch spannender erscheinen lassen. Wenn Rechtsextremismus zum Lifestyle geworden ist, muss man mit Lifestyle dagegenhalten.
Deshalb ist es so grundfalsch, wenn Bürgermeister Punks und Graffiti als größte Bedrohung des Dorffriedens hinstellen, wenn Skaterbahnen abmontiert und Sprayer aus den Jugendclubs geworfen werden. Schnell nämlich haben dann rechtsextreme „Kümmerer“ freie Bahn und geben bald den Ton an. Genau das ist in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren passiert. Rassistischen Einstellungen bei Jugendlichen wird wenig entgegengesetzt. Der Schritt in die rechtsextreme Szene wird dadurch leicht gemacht.
Sicher ist: Rechtsextreme Einstellungen werden nicht von selbst wieder verschwinden. Man muss ihnen mit Aufklärung und Engagement begegnen. Die Arbeit gegen Rechtsextremismus muss langfristig geführt werden und unabhängig davon, ob das Thema gerade in Mode ist oder nicht. Die Bundesregierung muss weiterhin die finanzielle Unterstützung sicherstellen. Im Osten gibt es kaum andere Geldquellen: Landesregierungen verharmlosen bisweilen das Problem, die kommunalen Kassen sind leer, und die Wirtschaft ist noch zu schwach für große Sponsoringaktivitäten. Konservative Politiker tun gern so, als sei die Arbeit gegen Rechtsextremismus bloß „linksextreme“ Panikmache. Sie stellen viele Anti-Nazi-Aktivitäten selbst unter Extremismus-Verdacht.
Undifferenzierter Anti-Extremismus verstellt aber den Blick auf Ursachen des Rechtsextremismus und erfolgversprechende, konkrete Gegenstrategien. Er suggeriert, dass „das Böse“ an den Rändern des politischen Spektrums lauert. Rassismus, Antisemitismus und andere Einstellungen aber sind bis weit in die vermeintlich gute Mitte der Gesellschaft verbreitet. Das zeigt die FES-Studie eindrücklich.
Also was tun? Ein deutliches Signal wäre es, jetzt eine Stiftung gegen Rechtsextremismus aus Bundesmitteln ins Leben zu rufen. So könnten die stets um ihre Existenz bangenden Projekte endlich langfristig planen und müssten sich nicht laufend vom Familienministerium unter Extremismus-Verdacht stellen lassen. Zivilgesellschaft braucht Zeit und Geld, um sich zu vernetzen und aktiv zu werden. Die Förderung einer nicht-rechten (Jugend-)Kultur ist aber die wichtigste Voraussetzung, um Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches Problem anzugehen. Gerade in Ostdeutschland, wo die Zivilgesellschaft immer stärker wegbricht, muss die Politik die Engagierten am Ort direkt unterstützen und fördern.
Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, wie das funktionieren kann. In Wolgast versuchte die NPD ausgerechnet am 9. November, dem Tag der Pogrome der Nationalsozialisten, mit einem Fackelmarsch Stimmung gegen ein Flüchtlingsheim zu machen. Trotz kurzfristiger Mobilisierung stellten sich mehr als 1.000 Menschen den 180 Neonazis in den Weg und blockierten einen Großteil der Route. Die Neonazis mussten umgeleitet werden und traten nach einigen Stunden genervt den Heimweg an.