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Nazis sind gefährlicher als Nacktkontrollen

 
Aachen-Fans und Banner der Karlsbande bei einem Zweitligaspiel im August 2010Aachen-Fans und Banner der Karlsbande bei einem Zweitligaspiel im August 2010 © Getty

Die Aachen Ultras haben sich aufgelöst, weil sie von Rechtsextremen gejagt wurden. Nun braucht es unter Fans einen ähnlichen Aufschrei wie Ende des Jahres.

Was hat die Fanszene Ende vergangenen Jahres nicht alles auf die Beine gestellt: Demonstrationen, kreativen Protest, einen landesweiten Stimmungsboykott. Dabei ging es nie ums große Ganze, wie die organisierten Fans immer behaupteten, sondern streng genommen nur um Kleinigkeiten: Wer bei Auswärtsspielen wie viele Karten bekommt, solche Sachen. Jetzt geht es um mehr.

Die Fangruppierung „Aachen Ultras“ (ACU) hat sich am Wochenende aufgelöst. Die linksorientierte ACU, die sich dem Kampf gegen Rassismus, Faschismus und Homophobie verschrieben hat, wird nicht mehr die Spiele ihrer Alemannia besuchen, weil sie von Anhängern der Aachener „Karlsbande“ aus der Kurve gedrängt wurde. Das gab es noch nie. Immer wieder wurden ACU-Ultras von Mitgliedern der „Karlsbande“, die sich als unpolitisch darstellt, aber auch NPD-Kadern ein Zuhause gibt, bedroht, gejagt und verprügelt. Damit geht ein wichtiges Korrektiv der Aachner Fanszene verloren.

Nun ist es Zeit für einen Aufschrei, am Besten gleich zum Rückrundenauftakt der Bundesliga am Wochenende. Es braucht Demonstrationen, Boykotte, Proteste, Solidaritätsbekundungen an die Adresse der ACU. Nicht nur, weil jeder rechtsextreme Dummkopf in einem Fußballstadion einer zu viel ist. Sondern auch, weil die Fans erkennen müssen, dass Rechte in den Kurven derzeit ihr größtes Problem sind. Es ist so groß, dass die Existenz der Ultrabewegung auf dem Spiel steht. Nazis sind gefährlicher als Nacktkontrollen.

Christian Spiller

Christian Spiller

© ZEIT ONLINE

Christian Spiller ist Redakteur im Ressort Sport bei ZEIT ONLINE. Seine Profilseite finden Sie hier.

Nicht nur in Aachen, auch in Braunschweig, Dortmund, Düsseldorf und anderswo mischt sich die rechte Szene ins Stadion. Neonazis entdecken die Kurven wieder für sich, zeigen sich, rekrutieren oder verbreiten dreist ihre Parolen wie zum Saisonbeginn Anhänger von Borussia Dortmund, die mittels Spruchband Unterstützung mit einer verbotenen, rechtsextremen Gruppierung zeigten.

Natürlich ist es nicht allein Aufgabe der organisierten Fans, das Problem anzugehen. Auch die Politik, Polizei, Verbände und Vereine sind gefordert. Vor allem letztere agieren bis jetzt oft noch hilflos bis ignorant. Doch die Fans haben im Dezember gezeigt, welche Macht sie haben, welche Wirkung sie medial erzielen können.

Etwa 250 Ultras aus ganz Deutschland waren am Wochenende zum symbolischen letzten Auftritt der ACU ins Kölner Flughafenstadion gekommen. Doch das reicht nicht aus. Noch ist die Solidarität mit rechten Fußballfans viel größer, als sie sein dürfte. Zu oft schauen Fans noch weg, nach dem Motto: „Die waren doch schon immer da. Und die wollen wie wir doch nur Fußball gucken.“ Eine Einstellung, die auch auf den Haupttribünen dieses Landes mehrheitsfähig sein könnte.

Im Vergleich zu den großen Ligen Europas, zu England und Spanien, haben die Fans in den Kurven hierzulande noch immer einen großen Freiraum. Wollen sie den nicht verlieren, müssen sie gegen Rechtsextreme in ihren Reihen vorgehen, die genau diese Freiheiten missbrauchen. Sonst werden irgendwann Vereine und Liga eingreifen und mit ihren Maßnahmen alle Fans treffen.

Spätestens dann wird wieder fleißig demonstriert werden. Aber dann könnte es zu spät sein.