Am Mittwoch werden wieder hunderte Neonazis nach Dresden reisen, um ihren jährlichen „Trauermarsch“ durchzuführen. Doch längt haben die Gegenproteste das Szene-Event an den Rande der Bedeutungslosigkeit gedrängt.
Über viele Jahre war Dresden das wichtigste Event der bundesdeutschen und teils auch internationalen Neonaziszene. Bis zu 6.000 Teilnehmer erreichte der extrem rechte Trauermarsch im Jahr 2009. Doch seit 2010 wurde der Marsch immer wieder durch tausende Nazigegner blockiert. Die Folge ist ein eklatanter Bedeutungsverlust des einst so wichtigen Szene-Events, welcher klar zeigt, was erfolgreicher Protest bewirken kann. Mit den immer weiter sinkenden Teilnehmerzahlen folgt auch der geschichtsrevisionistische „Trauermarsch“ in Dresden dem bundesdeutschen Trend. Selbst der als Ausweichveranstaltung gehandelte Aufmarsch in Magdeburg wies im Januar 2013 deutlich geringere Teilnehmerzahlen als die Jahre zuvor auf. Der enorme Druck durch Proteste und staatliche Repression zeigt somit deutliche Spuren innerhalb der rechten Szene. Doch die rückgängigen Zahlen dürfen nicht zu einer Verharmlosung der Szene führen. Mit dem zurückgehenden Personenpotential der extremen Rechten steigt gleichzeitig die Militanz der Szene, wie auch das Bundesamt für Verfassungsschutz feststellte.
Neonazis und deutscher Opfermythos
Der jährliche Neonaziaufmarsch in Dresden ist jedoch nicht Kern des Problems im Umgang mit Gedenken in Deutschland. Vielmehr zeigt er, wie auch die extreme Rechte an deutsche Opferdiskurse problemlos anschließen kann. Neben vielen anderen Städten, die durch Bombardierungen während des zweiten Weltkriegs zerstört wurden, entwickelte sich Dresden eben zu jenem Symbol eines unkritischen Gedenkens, welches einen deutschen Opfermythos vorantreibt. Nach 1945 gab es auch in der ehemaligen DDR kaum eine Auseinandersetzung mit dem Kontext der Zerstörung deutscher Städte. Im „Land der Antifaschisten“ gab es eben keine Faschisten mehr, die man mit der gesellschaftlichen Dimension der Verbrechen hätte konfrontieren können. Indes wurde die Zerstörung deutscher Städte durch Engländer und Amerikaner in das propagandistischen Sammelsurium des staatlichen verordneten Antiimperialismus aufgenommen, welcher es erlaubte, sich als Opfer der westlichen Imperialisten zu definieren. Ein kritischer Umgang mit den Ursachen blieb hingegen aus. Kritik am neonazistischen „Trauermarsch“ zu üben, muss eben auch nach den gesellschaftlichen Diskursen fragen, welche sich als anschlussfähig für derartige Ideologien gerieren.
„Kommt nach vorne!“
Breits im Vorfeld des diesjährigen Neonaziaufmarschs sorgte das Urteil gegen einen Gegendemonstranten aus dem Jahr 2011 für Empörung. Wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung hatte das Amtsgericht Dresden einen 36-jährigen Familienvater zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Doch weder Zeugen noch ein Video konnten zur Identifizierung des Mannes beitragen, wie der Spiegel berichtet. Selbst das Video der Szene konnte keinen Gewaltaufruf belegen, sondern lediglich die Aufforderung „Kommt nach vorne!“, welche kaum als solche verstanden werden kann. Obwohl das umstrittene Urteil bereits in erster Instanz für Empörung sorgte, ist es der Staatsanwaltschaft nicht genug. Sie ging in Berufung und fordert eine härtere Strafe. Doch statt Abschreckung scheint das Kalkül der Justizbehörden ins Gegenteil umzuschlagen. Bundesweit begann eine Solidaritätskampagne mit dem verurteilten Neonazigegner, der sich mittlerweile zahlreiche Menschen und Initiativen angeschlossen haben.
13. Februar, 18 Uhr: Wir sehen uns in Dresden
Auch dieses Jahr rufen verschiedene Bündnisse wie „Dresden nazifrei“ zu friedlichen Blockaden des Neonazi-Aufmarsches auf. Entgegen früherer Informationen beginnt der extrem rechte Aufmarsch erst um 18 Uhr. Der Sammlungsort und die Demonstrationsroute sind bisher nicht bekannt. Wie die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtet, rechnet die Polizei mit mehr als 10.000 Gegendemonstranten und wird selbst mit rund 3.000 Beamten aus dem gesamten Bundesgebiet im Einsatz sein. Laut der LVZ machte Polizeipräsident Dieter Kroll erneut deutlich: „Blockaden sind strafbar.“ Gleichzeitig verwies Kroll allerdings auf die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen und machte deutlich, dass Großblockaden nicht geräumt werden könnten. „Wir werden für Nazis nicht kämpfen“, sagte Kroll. Auch die Sicherheitsbehörden rechnen mit weiter einbrechenden Teilnehmerzahlen des Neonaziaufmarsches. Nur rund 800-1.200 Neonazis werden in Dresden erwartet.
Ob der Neonaziaufmarsch dieses Jahr zum vierten Mal in Folge blockiert werden kann, wird wieder von der Zahl der Gegendemonstranten abhängen, die sich den Geschichtsrevisionisten in den Weg stellen. Noch ist Dresden Reiseziel hunderter Neonazis, um ihre Ideologie in der sächsischen Landeshauptstadt auf die Straße zu tragen.
Publikative.org wird per Twitter den ganzen Tag aus Dresden live berichten.