Vor einigen Jahren kamen sie noch zu Tausenden, am vergangenen Mittwoch zog es nur noch knapp 900 Rechtsextremisten zum „Trauermarsch“ nach Dresden. Das harte Durchgreifen der Polizei und erfolgreiche Protestaktionen sorgen für Unmut und Enttäuschung bei den Rechtsextremisten. Der einstige Nazi-Großevent steht endgültig vor dem Aus. Zwei Tage später ringt die Szene noch immer um Fassung.
Von Felix M. Steiner
Mit der einbrechenden Dunkelheit treffen am Mittwoch immer mehr dunkel gekleidet junge Männer in Dresden ein. Am abgesperrten Hauptbahnhof sind es am frühen Abend rund 600, die zum einst bedeutendsten geschichtsrevisionistischen Aufmarsch Europas angereist sind. Zwischen Bahnhofsmauer und Polizeisperre stehen sie nun und warten auf den Transfer zum Versammlungsort. Gegenüber wächst die Zahl der Gegendemonstranten. Weitere 250 Neonazis sind auf dem Lenné-Platz von der Polizei eingekesselt. Unter ihnen auch der stellvertretende Bundesvorsitzende Udo Pastörs. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits wichtige Plätze auf der angemeldeten Route und der geplante Versammlungsort von Gegendemonstranten besetzt. Mit der Wartezeit steigt auch die Aggressivität. Immer wieder versuchen Neonazis aus dem Polizeikessel auszubrechen. Sowohl am Bahnhof als auch am Lenné-Platz werden Journalisten bedroht und geschlagen.
Die Blockaden halten bis zum späten Abend. Keinen Meter des angemeldeten Marsches werden die Neonazis laufen. Erst nach vielen Stunden in der Kälte geleitet die Polizei die am Bahnhof wartenden Rechtsextremen wieder in die Züge. Begleitet wird die Abreise vom Applaus der Gegendemonstranten. Doch noch immer warten zu diesem Zeitpunkt rund 200 Neonazis am Lenné-Platz. Sie sind umgeben von singenden Gegendemonstranten, die keine Anstalten machen, die Blockaden zu räumen. Als über den Lautsprecherwagen der Rechten bekannt gegeben wird, dass sich die Abreise noch bis 23 Uhr verzögern könnte wird die Stimmung immer gereizter. Wieder versuchen die Teilnehmer auszubrechen. Nach weiterem zähen Warten und Räumen einer Blockade gelingt es der Polizei endlich die Abreise der Rechtsextremen zu organisieren. Aus, vorbei, geschafft. Die Blockaden waren erfolgreich, auch dieses Jahr. Frustriert verlassen die angereisten Rechtsextremisten die Stadt. Zurück bleiben tausende Nazi-Gegner, die ihr Ziel zum dritten Jahr in Folge erreicht haben.
Dresden als Symbol für die Gesamtsituation der Szene
In Dresden lässt sich der derzeitige Zustand der Szene deutlich ablesen. Der einst bedeutende neonazistische „Gedenkmarsch“ reiht sich in den Bundestrend ein. Keine große rechtsextreme Demonstration kann in den letzten Monaten einen Zulauf aufweisen. Vielmehr brechen die Teilnehmerzahlen erheblich ein. Es gibt Hunderte, die nicht mehr zu den Aufmärschen reisen. Seit den Aufdeckungen um die Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) ist die Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus gestiegen. Verbote, Razzien und der wachsende Protest der Zivilgesellschaft hinterlassen ihre Spuren. Der subkulturell geprägte Rand der Szene schrumpft zusammen, somit sinken auch die Teilnehmerzahlen bei rechtsextremen Veranstaltungen. Übrig bleibt nur der harte Kern. Auch die Zahlen des Verfassungsschutzes bestätigen diesen Trend. Doch mit den sinkenden Gesamtzahlen steigt gleichzeitig die Zahl der dem militanten Rechtsextremismus zugeordneten Personen. Nach jahrelangem Kleinreden kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits für das Jahr 2011 zum dem Schluss: „Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene können vergleichbare Radikalisierungsverläufe für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden.“
Die zurückgehenden Personenzahlen scheinen alles andere als ein Zeichen für die zurückgehende Gefährlichkeit der Szene zu sein. Vielmehr erhöht der zunehmende Druck auf die Szene offensichtlich die Militanz. „Jetzt erst recht“ prangt es derzeit auf szeneinternem Propagandamaterial. Der Slogan fasst die Stimmung gut zusammen. Auch der Fachjournalist Andreas Speit beobachtet diese Entwicklung seit Längerem. „Die öffentliche Debatte um die Taten des NSU haben zu keinem veränderten Agieren geführt“. Die Gewaltbereitschaft und auch Gewaltumsetzung sei weiter hin hoch. Bei Aufmärschen und Kundgebungen gab es wiederholt Angriffe von NPD-Anhängern und Freien Kameradschafts-Aktivisten auf Gegendemonstranten und Polizisten.
„In Dresden waren hohe NPD-Funktionäre wie Udo Pastörs wieder mittendrin“, stellt Speit fest. 2013 wird – besonders auch im Hinblick auf ein anstehendes Verbotsverfahren der NPD – die weitere Entwicklung der Bewegung deutlicher hervortreten. Bisher scheint sich eine weitere Ausdifferenzierung zwischen vermeintlich seriösen Szeneteilen und der militanten Neonaziszene abzuzeichen.
Unterdessen streiten sich Neonazis in einschlägigen Internetforen, wie es überhaupt weitergehen soll. „Wie oft will man sich denn noch im Nasenring durch die Manege ziehen lassen? Dieser Trauermarsch wird den Toten nicht mehr gerecht“, jammern dort die „Kameraden“. Einige fordern gar keine Aufmärsche mehr anzumelden, sondern „spontane Aktionen durchzuführen“. Doch an den Erfolg solcher Ideen will bislang niemand so recht glauben. „Das Gerede von Tag X und dezentralen Aktionen ist so dermaßen lächerlich“, schreibt ein User. „Das Ergebnis: in zwei-drei Provinzkäffern sprühen ein paar 17jährige Rudolf Hess-Graffities und das wars. Game over!“