Aus Wut und Verzweiflung über die Lebensbedingungen für Asylsuchende in Deutschland ist auch eine dreiköpfige iranische Familie Teil des Refugee Protest geworden. Zur Zeit wohnen die drei Frauen in einer besetzten, ehemaligen Schule in Kreuzberg – einen Ablehnungsbescheid hat die Familie schon erhalten. Und das, obwohl im Iran der Geheimdienst nach ihnen sucht und ihre Leben gefährdet sind.
Mina hat gerade Architektur im Iran studiert, als der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad wiedergewählt wurde. Die Opposition und die Wähler betrachteten dieses Ergebnis als eindeutigen Wahlbetrug. Die damals 19-jährige Studentin ging, wie viele tausend andere, im Juni 2009 auf die Straße, um mit ihren Freundinnen zu demonstrieren.
Nach Angaben der Opposition sind bei diesen Protesten gegen die Regierung 72 Menschen getötet worden. Die Regierung selbst spricht von 36 Toten. Mehrere tausend Bürger wurden verhaftet, einige sitzen immer noch im Gefängnis. Andere wurden hingerichtet, von manchen fehlt jede Spur. Mina, ihre Mutter Mansureh (45) und ihre Schwester Maryam (20) hatten Glück: Sie wurden nicht verhaftet, weil sie sich versteckt haben.
Nach den politischen Protesten haben Geheimdienste und die Polizei die Familie verfolgt. „Wir wollten einfach nur überleben“, erinnert sich die heute 22-jährige Mina. In ihrem Versteck habe sich die Familie nicht lange sicher gefühlt und deshalb das Land verlassen müssen. „Ich habe schon mitbekommen, wie Menschen in unseren Gefängnissen getötet wurden, wir wollten nicht, dass es uns auch so ergeht“, erklärt Mina.
Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester dann nach Deutschland geflohen. Nur mit falschen Papieren hatten sie überhaupt eine Chance, Europa zu erreichen. „Wegen der falschen Papiere wurden wir am Frankfurter Flughafen auch sofort festgenommen und zehn Stunden lang getrennt voneinander zu unseren Einreisegründen befragt“, erzählt Mina. Die Familie sei müde von der Reise gewesen, aber trotzdem mit den immer wieder gleichen, umformulierten Fragen unter Druck gesetzt worden. „Wir hatten keine Zeit, um durchzuatmen“, sagt Mansureh, Minas Mutter.
Die 45-Jährige beschreibt die Beamten, die sie befragt haben, als unbarmherzig und emotionslos. Mit einem Rechtsanwalt, einem Dolmetscher und dem fragenden Mitarbeiter saß auch sie zehn Stunden lang in einem Raum. „Der Rechtsanwalt saß aber eigentlich nur da und hat mir überhaupt nicht geholfen“, berichtet sie.
Die Behörden wollten von ihnen wissen, warum sie nach Deutschland kamen. „Sie haben nur darauf gewartet, dass wir einen Fehler machen“, weiß Mansureh. Ihre Familie habe gewusst: „Wer einen Fehler macht, verliert“ und: Jedes falsch interpretierte Detail kann die Abschiebung bedeuten. Besonders für ihre jüngere Tochter Maryam sei das ungerecht gewesen, findet Mansureh: „Im Iran hatte Maryam schon als kleines Mädchen große Panik vor der Polizei. Sie war deshalb traumatisiert und bekam auch vor deutschen Polizisten Angst“.
Nach ihrer Ankunft und haben die drei Frauen 18 Monate in einem Flüchtlingsheim in Wrexen (Hessen) gelebt. Sie haben sich ein Zimmer teilen, auf schmutzigen Matratzen schlafen und mit unhygienischem Geschirr kochen müssen. „In unserem Zimmer waren Mäuse, die wir auch immer wieder tot gefunden und den Behörden gezeigt haben“, erzählt Mina. Eine Sozialarbeiterin habe darauf nur geantwortet: „Na und, ich habe auch eine Schlange als Haustier“.
Im Flüchtlingsheim habe die Familie außerdem oft kein warmes Wasser gehabt. „Das hat den Hausmeister nicht interessiert, er sagte, das sei unser Problem“, berichtet Mansureh. Schlimm sei für die Familie auch gewesen, so abgeschieden und ohne Kontakt zu anderen Menschen zu leben. „Wir konnten mit niemandem reden, durften nicht arbeiten und konnten zu keinem Arzt gehen, wenn wir einen brauchten“, erinnert sie sich.
Daher haben sich die drei Iranerinnen im Oktober dem Protestmarsch der Flüchtlings-Aktivisten nach Berlin angeschlossen. „Wir waren ein paar Wochen unterwegs und haben als einzige Frauen unter lauter Männern am Brandenburger Tor am Hungerstreik teilgenommen“, erzählt Mansureh.
Dort seien Abgeordnete gekommen, haben sie in den Arm genommen und ihnen ein besseres Leben versprochen. Mansureh wird wütend, wenn sie daran denkt: „Niemand von ihnen kam wieder“. Sie erzählt vom Besuch der Regierungsbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer: „Frau Böhmer hat Mina in den Arm genommen und ihr gesagt, sie sei ein starkes Mädchen und alles würde gut werden“. Böhmer habe der Familie vor den Medien Veränderung gesprochen, aber passiert sei seitdem nichts.
Mittlerweile sei Mansureh müde vom vielen reden. „Was soll ich meinen Kindern bieten?“, fragt sie. Sie habe Angst, dass ihre Töchter irgendwann durchdrehen, weil sie nicht zur Schule dürften und den ganzen Tag nur rum säßen. „Mina hat im Iran schon zwei Jahre studiert. Ich bin nach Deutschland gekommen, um das Leben meiner Kinder zu retten, aber hier geht es kaputt“, erklärt die Mutter verzweifelt.
Momentan sind sie und ihre Töchter als Asylbewerber gemeldet – gegen den Ablehnungsbescheid hat ein Anwalt für sie schon Widerspruch eingelegt. Jetzt müssen sie auf die Gerichtsverhandlung warten. „Man muss großes Glück haben und starke Beweise vorbringen, um als politischer Flüchtling anerkannt zu werden und eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten“, weiß die zweifache Mutter.
Seit zwei Monaten lebt sie nun mit ihren Töchtern in der ehemaligen Schule in Berlin-Kreuzberg. „Hier ist es auch nicht einfach, aber viel besser als in der Flüchtlingsunterkunft in Wrexen“, betont die 45-Jährige. In Berlin könne die Familie wenigstens Deutsch lernen, sich in einem Verein für iranische Flüchtlinge engagieren und bei Protesten für ihre Rechte kämpfen. Denn die Demonstrationen im Iran und in Deutschland seien nicht vergleichbar, so Mina. Sie erinnert sich: „Wenn wir im Iran demonstrierten, wussten wir, dass wir nicht mehr sicher sind. Hier haben wir wenigstens die Sicherheit, zu überleben“.
Mina wolle in Deutschland auch deshalb weiter demonstrieren, damit die Flüchtlinge, die nach ihr kämen, ein besseres Leben haben. Ihre Mutter Mansureh ist unglücklich in Deutschland: „Ich liebe mein Heimatland und würde gerne dort leben, aber wir waren gezwungen, es zu verlassen“. Sie habe Angst davor, wie es weiter gehe, wenn sie mit ihren Kindern nicht mehr in der Schule wohnen kann oder das Gericht sich für ihre Abschiebung entscheide. Die 45-Jährige sagt: „Wir kamen vom Morgenland ins Abendland, weil unser Körper in Gefahr war, aber die Situation hier gefährdet unseren Geist“.
Das war der 11. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.