Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am frühen Mittwochmorgen insgesamt 73 Objekte durchsucht, in denen Neonazis leben oder arbeiten. Ziel der Razzia war die Sammlung von Beweismitteln für ein Verbotsverfahren gegen das Neonazi-Netzwerk „Freies Netz Süd“.
Über 700 Polizeibeamte sind am Mittwochmorgen ab vier Uhr gegen unzählige Neonazis des „Freien Netzes Süd“ (FNS) vorgegangen. Mit einer großangelegten Razzia wurde in 73 Wohn- und Arbeitsstellen sowie Postfächern in allen Regierungsbezirken nach Beweismitteln für die Einleitung eines Vereinsverbots gegen das Neonazi-Netzwerks gesucht. Durchsucht wurden dabei unter anderem die Wohnung der FNS-Führungskader Matthias Fischer, Norman Kempken, Sebastian Schmaus, Robin Siener und Daniel Weigl. Außerdem wurden die Räumlichkeiten des erst frisch aus der Haft entlassenen Tony Gentsch’ und der beiden verurteilten ehemaligen Rechtsterroristen Martin Wiese und Karl-Heinz Statzberger von Einsatzkräften durchsucht. Nebenher sollen auch die Neonazis Besuch von der Polizei bekommen haben, die in der Vergangenheit immer wieder bei Aktionen des „Freien Netzes Süd“ aktiv auftraten.
Betroffen von der Razzia waren dem Bayerischen Innenministerium zufolge vor allem das Umfeld um Mattias Fischer, die „Freien Nationalisten Hof“, die „Aktionsgruppe Bayreuth“, das „Nationale Bündnis Oberpfalz“ und das „Nationale Bündnis Niederbayern“ sowie der „Widerstand Schwandorf“ und die „Kameradschaft Geisenhausen“ in Niederbayern. Der Schwerpunkt der Aktion soll insbesondere in Mittelfranken gelegen haben. Neben den aufgelisteten Kameradschaften war ferner der von Daniel Weigl aus Wackersdorf betriebene „Final-Resistance-Versand“ Ziel der polizeilichen Aktion. Über den Neonazi-Versand ließ das „Freie Netz Süd“ zuletzt immer wieder seine menschenverachtende Propaganda vertreiben. Bei rund der Hälfte der insgesamt 73 Objekte rückte die Polizei mit Spezialeinsatzkräften an.
Bei einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag präsentierte das Bayerische Innenministerium schließlich eine Auswahl der beschlagnahmten Gegenstände: Hakenkreuzfahnen, Neonazi-CDs und Sampler der in Deutschland verbotenen „Blood-&-Honour“-Organisation lagen Dicht neben Pfefferspray, Schlagstöcken, Messer, Waffen und Stielgranaten. Die auf zwei Tischen ausgestellten Gegenstände waren jedoch nur ein sehr kleiner Teil dessen, was das Landeskriminalamt (LKA) bei der Razzia tatsächlich sichergestellt hat. Weiterhin wurden nämlich „zahlreiche rechtsextremistische Unterlagen und Gegenstände, zahlreiche PCs und andere Datenträger“ von Einsatzkräften der Polizei beschlagnahmt.
Den seit 6-8 Wochen „klug und professionell geplanten“ Einsatz wertete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann deshalb als Erfolg. Nach „vereinsrechtlichen Vorermittlungen“ und einem im April dieses Jahres eingeleiteten „förmlichen vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens“ habe man nun auf dieser Grundlage die „heutigen Maßnahmen“ durchführen können, sagte Herrmann. Ziel der vom Innenministerium in Auftrag gegebenen und vom LKA geleiteten Aktion sei die Aufklärung der Strukturen und die Sammlung von Beweisen für ein Vereinsverbot gewesen. Der hierfür eingeleitete Einsatz sei Joachim Herrmanns Auskünften zufolge die „größte und umfangreichste Aktion gegen Angehörige der rechtsextremistischen Szene gewesen, die es in Bayern je gegeben hat“.
Ein mögliches Verbotsverfahren will das Ministerium jetzt damit begründen, dass es sich beim FNS um eine Nachfolgeorganisation der 2004 wegen „Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“ vom damaligen Innenminister Günter Beckstein (CSU) verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF) handle. „Dafür haben wir sehr wertvolle Unterlagen gesammelt“, sagte Herrmann. Mittels dieser Dokumente lasse sich ein Zusammenhang zwischen FNS und FAF herstellen und folglich ein Verbot begründen. Außerdem gebe es „ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das ‚Freie Netz Süd’ versucht, die verfassungswidrigen Bestreibungen der ‚Fränkischen Aktionsfront’ weiterzuverfolgen“. Bei der Pressekonferenz hob er zudem die „bayernweite Bedeutung“ des FNS hervor und thematisierte die „offenkundigen Bezugspunkte zu den alten Nazis“. So würden sich die Neonazis ganz „offen an den Nationalsozialismus, das Dritte Reich, die NSDAP und an Adolf Hitler anknüpfen“. Auch könne man mittlerweile beim „Freien Netz Süd“ die für ein Verbot erforderliche Strukturen nachweisen, die die Neonazis bislang immer verbergen hätten wollen.
Im Anschluss an die Razzia müsse das gesammelte Beweismaterial nun ausgewertet und vom Landesamt für Verfassungsschutz entsprechend bewertet werden. Aufgrund der umfangreichen Asservate und Datenmengen, so Herrmann, werde diese Prüfung allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen. Erst wenn alle Materialien ausgewertet worden sind, wird man über ein Verbotsverfahren entscheiden können. Sofern die Materialien hierfür ausreichend Anlass geben, werde ein Verbot aber umgehend erfolgen, betonte der Minister.
Zu der Pressekonferenz im Ministerium sind auch die zwei bekannten Münchner Neonazis Lorenz M. und Thomas Schatt erschienen, die mit Presseausweis Einlass bekommen haben und Fragen stellen konnten. Trotz Hinweisen von Journalisten wurden sie mit Verweis auf die „Pressefreiheit“ nicht von der Veranstaltung entfernt – selbst dann nicht, als sie wissen wollten, von welcher Verfassung denn überhaupt die Rede sein würde.
Das seit Ende 2008 / Anfang 2009 bestehende „Freie Netz Süd“, das nun Ziel der Razzia war und demnächst verboten werden soll, ist die aktivste Neonazi-Kameradschaft in Bayern und vernetz bayernweit lokale Kameradschaften. Regelmäßig richtet das FNS Großveranstaltungen wie den alljährlichen „1.-Mai-Aufmarsch“, den „Trauermarsch“ in Wunsiedel und den „Nationalen Frankentag“ in Anlehnung an den „Frankentag“ des NSDAP-Politikers Julius Streicher aus Nürnberg aus. Die Akteure des FNS gelten als überaus gewaltbereit, sind teilweise mehrfach vorbestraft und betreiben zum Teil aktive Anti-Antifa-Arbeit. Regelmäßig werden auf der Homepage des Kameradschafts-Netzwerks engagierte Bürger, Politiker oder Journalisten angeprangert, woraufhin nicht selten Angriff auf die betreffenden Personen folgen. Experten rechnen dem FNS ein hohes Gewaltpotenzial zu, die Kameradschaft gilt zudem als überaus aktivistisch.