Aus den Lautsprecherboxen dröhnt ein Lied, in dem die Russen als Enkelkinder der heidnischen Gottheit Swarog bezeichnet werden. Russland sei das „dritte Rom“, ein tausendjähriges Reich, das niemals fällt. Was wie die Momentaufnahme eines Rechtsrock-Konzertes scheint, war Teil der Inszenierung, des bis dato teuersten Boxkampfes in der Geschichte des Sports. 23 Millionen Dollar hatte der russische Immobilien-Milliardär Andrej Ryabinsky ausgegeben, um die Pflichtverteidigung von Wladimir Klitschko Anfang Oktober 2013 nach Russland zu holen.
Von Björn Resener
Der von Blut-und-Boden-Ideologie geschwängerte Text war die Einlaufmusik des Herausforderers Alexander Powetkin, von dem wenige Minuten zuvor noch Aufnahmen über die riesigen Bildschirme im ausverkauften Olympiisky Sport Komplex flimmerten. Dabei präsentierte sich der ehemalige Olympiasieger mit einen T-Shirt, das bärtige Krieger vor dem Kolowrat, einem russischen Hakenkreuz zeigt, darunter in kyrillischen Pseudo-Runen das Wort „slawisch“.
Die Szene wurde in der Moskauer Sporthalle von 14.000 Zuschauern verfolgt und weltweit auf Millionen Fernsehgeräte übertragen. Allein in Deutschland sahen mehr als elf Millionen Menschen das zum „Machtkampf von Moskau“ stilisierte Aufeinandertreffen des Russen mit dem ukrainischen Superchampion.
Vor Ort war die Propaganda-Show allerdings der Oberschicht vorbehalten, denn selbst die günstigsten Tickets waren für Durchschnittsverdiener unerschwinglich. Und die Eliten wollten Powetkin siegen sehen. Der Schwergewichts-Boxer, der von sich behauptet die Ehre des russischen Volkes zu verteidigen, sollte mit einem Sieg zum Volkshelden werden. Als bekennender Patriot und Mitglied von Putins Staatspartei „Einiges Russland“, eignet er sich dafür auf den ersten Blick hervorragend.
Verbindungen in die rechte Szene hatte Alexander Powetkin stets bestritten. Und doch hat er wiederholt mit Symbolen gespielt, die eine Zugehörigkeit zu ihr codieren. Bereits beim öffentlichen Wiegen trug er einen Kettenanhänger mit Peruns Axt. Als er sich danach für die Kameras in die Pose eines Bodybuilders brachte und seinen riesigen Bizeps präsentierte, kam auf der Innenseite des Arms ein Tattoo zur Vorschein, das ein Swarog-Quadrat darstellt. Beide Symbole gelten russischen Neonazis als Erkennungszeichen.
Peruns Axt ist nicht nur ein slawischer Mythos, sondern auch der Name der ukrainischen Rechsrock-Band „Sokyra Peruna“. Und das Swarog-Quadrat wurde von der 2011 verbotenen Neonazi-Organisation „Slawischer Bund“ benutzt. Auch die rassistische „Nordische Bruderschaft“, die als Teil der ebenfalls verbotenen „Bewegung gegen illegale Immigration“ (DPNI) fungierte, verwendete das Symbol als Gruppenlogo. Das russische Hakenkreuz, mit dem sich Powetkin vor Millionen von Fernseh-Zuschauern offenbarte, ist Namensgeber der russischen Rechtsrock Band „Kolowrat“. Und in einem Interview mit dem neonazistischen Online-Fanzine „Revolt NS“ behaupten die Musiker selbst, dass es „heute eins der wichtigsten Symbole des nationalen Widerstands ist.“
Doch Alexander Powetkin pflegt auch persönliche Kontakte in die Szene. Im Internet finden sich verschiedene Fotos auf denen er in freundschaftlicher Verbundenheit mit Roman Zentsov posiert. Der ehemalige Kampfsport-Profi, der in den Jahren 2005 und 2006 beim international renommierten „Pride Fight Club“ unter Vertrag stand, tritt inzwischen als Sprecher der Neonazi-Organisation „Soprotivlenie“ auf.
Auf ihrer Website zitiert die Gruppe den faschistischen Kulturphilosophen Julius Evola. Dort erklären sie auch, dass sie „gegen Wellen von Migranten, insbesondere gegen die kaukasische Diaspora“ kämpfen und bezeichnen „das internationale spekulative Finanzkapital“ als ihren Hauptgegner. Dieses gilt auch in Russland als Chiffre für das Judentum. Dass es sich bei „Soprotivlenie“ um Anhänger antisemitischer Verschwörungstheorien handelt, wird auch im Artikel „Der jüdische Krieg“ unter Beweis gestellt. Hier wird die Mär reproduziert, die Juden würden die Medienlandschaft kontrollieren.
Der deutsche Boxstall „Sauerland Events“ wollte zur möglichen Verbindung des bei ihnen unter Vertrag stehenden Powetkin zu „Soprotivlenie“ kein Statement abgeben. Vielleicht ahnen sie, dass es unmöglich ist, den Kontakt von Powetkin zu Zentsov auf die sportliche Ebene zu reduzieren. Denn in russischen Neonazi-Foren kursiert auch ein Foto, das Powetkin mit einer Jogginghose zeigt, auf der das Logo von „Soprotivlenie“ prangt.
Die Hose entstammt der Kollektion der Marke „Rusycz“, von der Powetkin auf dem Foto auch ein T-Shirt mit Runenschrift trägt. Doch „Rusycz“ produziert nicht nur Merchandise für „Soprotivlenie“ und Bekleidung mit zweideutigen Botschaften. In der Kollektion der Marke finden sich auch Schmuck und ein T-Shirt mit dem Motiv der Schwarze Sonne. Im Gegensatz zu den heidnischen Symbolen lässt diese keine zwei Deutungen zu. Schließlich wurde die Schwarze Sonne erst von der SS entworfen, um als Bodenornament im Nordturm ihrer Kultstätte Wewelsburg eingelassen zu werden.
Alexander Powetkin scheinen die Hemden von „Rusycz“ zu gefallen. Er trägt sie in seiner Freizeit, oder zum Staatsempfang beim kirgisischen Präsidenten. Im Internet finden sich mindestens drei Fotos auf denen er mit jeweils verschiedenen T-Shirts der Marke zu sehen ist. Für diese Werbung hat sich „Rusycz“ unlängst bedankt und dem Schwergewichts-Boxer ein eigenes Fanshirt entworfen. Darauf sind der slawische Kriegerfürst Swjatoslaw Igorewitsch und die von ihm geprägte Kriegserklärung „Idu na wy“ – „Ich komme zu euch“ zu sehen.
Es bleibt zu hoffen, dass es damit nach der deutlichen Niederlage gegen Wladimir Klitschko vorbei ist. Doch auch unabhängig von der sportlichen Leistung sollte ein Boxer, der mit seiner Kleidung für eine Neonazi-Gruppe und eine rechte Bekleidungsmarke wirbt, weder durch das Sauerland-Team, noch durch die internationalen Boxverbände protegiert werden.